[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 15.02.1990

"Up Latter" und das Südende von Völlen
Häuptling Koppe Hatten war ein "hitziger" Mann

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"Up Latter" und das Südende von Völlen
Häuptling Koppe Hatten war ein "hitziger" Mann

Der versierte Kirchengeschichtler Franz J. Klee aus Emden hat es vorsichtig formuliert: "Wer heute die Ortschaft Völlen auf ihrer langgestreckten Hauptstraße durchfährt, gewinnt nicht unbedingt den Eindruck, daß er hier einem Ort mit einer langen und wechselvollen Geschichte begegnet." Anders ausgedrückt: Kaum jemand kann erkennen, daß das Dorf Völlen im mittelalterlichen Ostfriesland mehrfach eine besondere Rolle gespielt hat. Es gibt kein Museum in Völlen, es gibt keine Ritterburgen, es gibt nur ein paar schwerverständliche Straßenschilder und eine alte Kirche.

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Das Haus Ackermann "up Latter". Eigentlich ist es "oll Klaver sien Huus". Vorn steht Frau Klaver mit ihrer Tochter Elsi auf dem Arm und Tochter Johanne. Daneben die beiden Brüder Bernhard und Johann Klaver, von denen einer nicht geheiratet hatte. Tochter Johanne Klaver hat dann eine Ackermann geheiratet, so daß dies Haus zu einem neuen Namen kam. Die Leser mögen das kleine Häuschen zwischen Baum und Hinterhauswand beachten: Ich werde es demnächst genau erklären.

Wer von der B 70 kommt, muß zuerst nach Völlenerfehn, um dann über den "Furkeweg" nach Völlen zu gelangen. Von Papenburg aus kommend, sieht der Besucher ein Schild "Am Wehrdeich", und wenn der Feriengast um den neuen Badesee spazierengeht, sieht er das Straßenschild "Truffen". Einige dieser Straßennamen werden sich - wie der "Platterweg" in den Hammrich von Mitling-Mark - von alten Flurnamen ableiten. Der "Wehrdeich" allerdings weist auf die wechselvolle Geschichte Völlens hin.

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Das Dorf Völlen liegt im südlichsten Zipfel Ostfrieslands dicht an der Ems. Da die Grenzen früher nicht durch Stacheldrahtzäune und Pfähle in den jeweiligen Landesfarben gekennzeichnet waren, ist die Grenzziehung heute schwer nachvollziehbar. Auf jeden Fall lag Völlen am Rand einer riesigen Moorfläche im Westen, wo niemand wohnte. Im Osten überschwemmte die flache Ems in den Frühlingstagen die Hammrichwiesen, und im Süden lag Bokel. Zwischen Völlen und Bokel ließ Dietrich van Velen 1639 das Sieltief graben, und so entstand das Papenburger Vehn.

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Das Dorf Völlen liegt langgestreckt an einem Weg. Im Norden "dor is Latter" und im Süden zum Wehrdeich hin "dor is Sud-Enn". Dieses Wort "Latter" kann niemand plausibel erklären. "Up Latter" stand dieses Heuerhaus, das dem Bauern Wübbena gehörte. Es wurde von den Koks bewohnt, die bei Wübbenas arbeiteten. Zweite von links ist Frau Kok und rechts steht ihr Sohn. Links steht das Nachbarkind Henny Frey und in der Mitte ihre Schwester Auguste (Gusti). Im "Achterenn" wohnte ein Fritz Reuter, der irgendwie hier in Völlen hängengeblieben war.

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Gleich hinter Wübbenas Heuerhaus stand der Hof von August Frey, dessen Töchter auf nebenstehendem Bild abgelichtet sind. Dieses Foto gefällt mir besonders wegen der Saaneziege, die wohl Koks gehörte. Im Vordergrund einer der vielen Kolke, die es um Völlen herum gibt. Zur Ems hin gab es in der kolkreichen Niederung "dat Huus van Truchen", in dem Arbeiter und Gesindel hausten. Daran erinnert der Weg "Truften" am heutigen Badesee.

Diese Grenzlage des südlichsten ostfriesischen Dorfes bedingte einen ständigen Kampf, vor allem während der Reformationszeit. Allerdings, das muß der Gerechtigkeit halber gesagt werden, hauste in Völlen auch einmal ein schlimmer "Raubritter", nämlich der Häuptling Koppe Hatten. Er wohnte in der Eppenburg, die auch Eppingaburg genannt wurde.

Zur Klarstellung sei erklärt, daß es in Ostfriesland keine Ritter und damit auch keine Leibeigenschaft gab. Wir hatten "Häuptlinge", was nicht bedeutet, daß diese Dorfherrscher Rothäute vom Stamm der Plattfußindianer waren. Nein, diese Häuptlinge waren reiche ostfriesische Bauern, die ab und zu etwas eigensinnig ihre Rechte forderten und durchfochten.

So meinte der Koppe Hatten, der ein "hitziger" Mann gewesen sei, wie es in den alten Akten heißt, daß die Groninger (Holland) seinem Bruder einen Erbteil verweigerten. Er "bat" einige seiner Heuerleute und auch einige seiner Nachbarn, ihm zu helfen. So plünderten etliche Völlener einige Bauernhöfe im Groninger Land. Schon war wieder ein Streit entstanden, der ziemlich böse ausartete.

Das Ende vom Lied war, daß Ulrich Cirksena, der damals die Herrschaft über Ostfriesland hatte, seinen eigenen Häuptling bekämpfen mußte. Er schickte Soldaten von Aurich nach Völlen. Davon berichtet der Geschichtsschreiber Ubbo Emmius: "Er ließ das mit starken Mauern und das mit einer Besatzung von Räubern gesicherte Haus Hattens angreifen, nahm es, da die Besatzung es aus Furcht vor harter Strafe verlassen hatte, ein und ließ es zerstören."

Jetzt wissen wir also, warum es in Völlen keine Burg mehr gibt. Diese sogenannten "Burgen" waren nämlich nichts anderes als Steinhäuser, deren Wände besonders dick waren. Das ostfriesische Bauernhaus mit seinem langen Wirtschaftsteil war leicht zu zerstören. So hatten sich die "Steinhäuser" entwickelt, die bei kriegerischen Auseinandersetzungen einen gewissen Schutz boten. Ein solches Steinhaus können wir heute noch in Bunde besichtigen. In ihm ist jetzt die Ostfriesische Orgelakademie untergebracht.

Völlen hatte drei solcher Steinbauten. Die älteste Befestigungsanlage aus dem Jahr so um 1250 wurde von den Münsterländern gebaut. Sie wurde "Stürmünster" genannt und war eine Art Trutz-und-Schutz-Haus mit administrativen Aufgaben. Das zweite Steinhaus, die Eppenburg, haben wir oben schon kennengelernt. Das dritte Steinhaus wurde im Jahr 1495 durch Graf Edzard I. weiter ausgebaut und mit einer ständigen Besatzung belegt. Da die Auseinandersetzungen mit den Münsteranern aber bald ein Ende fanden, verfiel das Steinhaus an der "Königstraat" immer mehr und verschwand eines Tages völlig.

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So weist in Völlen eigentlich nur noch der "Wehrdeich" auf die ehemals kriegerischen Zeiten hin. Doch auch hier müssen wir eine Einschränkung machen. Ursprünglich war dieser Wehrdeich ein Wall, der die Schanze im Hampoel zusätzlich schützen sollte (vergleiche: Die Sternschanze von Rhaude(rfehn), Fehntjer Kurier vom 4. Januar 1990). Der Drost von Leerort hatte diese Maßnahme 1556 angeordnet.

Als im Jahr 1672 der Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen die Dieler und Hampoeler Schanze zerstören ließ, wurde der Wehrdeich zu einem Abwehrwall gegen die sauren Moorfluten aus dem Papenburger Vehn, die vom Sieltief her den Völlener Hammrich manchmal zu überschwemmen drohten. Dieses neue Fehn entwickelte sich so schnell, daß Papenburg zeitweise die "längste Stadt" Deutschlands war. Das braune Kanalwasser bedrohte die saftigen Wiesen und Weiden der Völlener, die aus diesem Grund ihren alten Wehrdeich erhöhten.

Völlen blieb das kleine Bauerndorf im südlichsten Zipfel von Ostfriesland. Kaum noch etwas erinnert an die kriegerischen Zeiten vergangener Jahrhunderte. Da auch die Landwirtschaft sich in unserer Zeit im Umbruch befindet, hat die Gemeinde Westoverledingen verstärkt auf den Fremdenverkehr gesetzt. Die Emsdörfer von Völlen bis Esklum könnten mit ihren alten Kirchen (in Völlen hängt die zweitälteste Glocke Ostfrieslands!) und der weiten Hammrichlandschaft den Erholungssuchenden Stadtmenschen Ruhe und Beschaulichkeit bieten. Von daher ist es sogar zu begrüßen, daß in Völlen keine kriegerischen Denkmäler erhalten geblieben sind.

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In diesem Haus befand sich einst die "Posthülfstelle Völlen". Der Postagent mußte die Briefe und Pakete für die Postkutsche bereithalten. Später haben Johann und sein Bruder Heinrich hier eine Kolonialwarenhandlung eröffnet. Hier kannte jeder jeden, und wer das Neueste erfahren wollte, kaufte ein bißchen Marmelade (das Glas mußte mitgebracht werden!) oder Senf und vielleicht noch ein Kälbertau.

image49.jpg (22791 Byte)Das alte Lehrerhaus von Völlen. Rechts steht Lehrer Gerhard Anton Becher mit seiner Frau und seinem Sohn. Lehrer Becher war seit 1919 an der Völlener Schule. Er wurde im alten Lehrerhaus 1885 geboren, denn sein Vater Siefko Wilhelm Becher war an dieser Schule auch schon Lehrer gewesen. Dieser hatte am 10. November 1883 die Lutherlinde gepflanzt während einer Schulfeier zum 400sten Geburtstag von Martin Luther. Das ganz alte, ursprüngliche Schulhaus von 1806 sei, so wird erzählt, an einem Sonntagmorgen in Brand geraten. Der Pastor hörte überhaupt nicht auf zu predigen, so daß ein ziemlich großer Schaden entstand.

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Viele Dörfer in Ostfriesland haben eine "Villa", so auch Völlen. Zur Kaiserzeit muß das eine Modeerscheinung gewesen sein. Als der Müller Rudolf Löning - im Vordergrund mit der Flinte und seinem Jagdhund - seine Mühle in Völlenerfehn verkauft hatte, ließ er sich diese "Villa Roseneck" 1909 in Völlen bauen, denn sein Bruder lebte hier: Es war der Mühlenbesitzer Johann Löning. Rudolf Löning war mit einer Goudschaal verheiratet, und die hatte eine Schwester, die einen Luitjens geheiratet hatte. So ist es heute "Luitjens Huus". In den zwanziger und dreißiger Jahren hatte Mimi Luitjens, geb. Goudschaal, hinter den linken beiden Fenstern eine Drogerie eingerichtet, in der sie ihre eigene Spezialsalbe gegen Hämorrhoiden verkaufte.

Zur Verfügung gestellt (6) von Heinz Schipper

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