[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 20.09.1990

Junger Notar nutzte die Gunst der Stunde
Dr. Leewog wirkte als schlichtender Anwalt

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Junger Notar nutzte die Gunst der Stunde
Dr. Leewog wirkte als schlichtender Anwalt

"Hallo, Sie, warten Sie, guten Tag, können Sie mir sagen, wo die Dr. Leewog-Straße ist?" Überrascht hält die Fehntjerin an und guckt dem Autofahrer verdutzt in die Augen. "Die Dr. Leewog-Straße? Ja, wissen Sie, warten Sie mal, die Dr. Leewog-Straße, ja, die müßte, die könnte - nein, da ist die nicht. Tja, vielleicht fragen Sie mal auf dem Rathaus nach, die müßten das doch wissen, nicht wahr ?"

Straßenschild "Dr. Leewog-Straße"

Es könnte ja sein, daß auch unsere Leser nicht wissen, wo die Dr. Leewog-Straße ist, und es könnte ja sein, daß sie auch keinen Ortsplan von den drei Gemeinden im Overledingerland haben. Mit Vermutungen, wo diese Straße wohl liegen könnte, kommen wir nicht weiter. Schließlich kennen die meisten doch alle hiesigen Ärzte, und ein Doktor Leewog ist nicht dabei, auch kein "Kuusendokter". Nein, von dem Dr. Leewog haben wir noch nie gehört.

Jetzt sind unsere Leser auf einer völlig falschen Fährte. Wir haben sie sozusagen aufs Glatteis geführt, auf eine falsche Spur gelotst. Denn der Dr. Leewog, nach dem die Straße in Rhauderfehn benannt wurde, ist gar kein "Doktor". Aber er hat einen "Dr.", und das ist ein Unterschied.

Johann Otto Leewog hat seinen "Doktor" an einer juristischen Fakultät "gebaut". Das Thema seiner Dissertation befaßte sich mit der "rechtlichen Stellung der Frau im Gewerbe des Mannes". Er hätte sicherlich auch über ein Thema wie "Das Rechtverständnis der ostfriesischen Stände und des ostfriesischen Fürstenhauses" schreiben können, aber das interessierte ihn nicht so sehr. Er war ein Mann aus dem Volke, ein Fehntjer, ein Kapitänssohn, der das Leben auf dem Fehn aufmerksam beobachtete.

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Damit sind wir bei den Leewogs. Wo kamen sie her und wo sind sie abgeblieben? Wer viel und oft in den Kirchenbüchern stöbert, dem fällt auf, daß in dem bekannten Seefahrerort Timmel der Name "Levoge" häufig vorkommt. Auch im Kirchenbuch Hesel steht dieser Name, diesmal aber in der Schreibweise, wie wir sie vom Segelmacher "Leefoge" kennen, also mit "f" und zwei "e". Wann und wo sich Leewogs zum erstenmal mit "w" und ohne "e" am Ende schrieben, konnte ich so schnell nicht herausfinden. Alle Namensinhaber hatten, soweit ich das feststellen konnte, etwas mit der Seefahrt zu tun, vom Wattschiffer, Schifferknecht bis hin zum Muttjer und Kapitän auf großer Fahrt.

In Westrhauderfehn gab es drei Leewogs, Otto, Hinrich und Johann. Zwei waren Mitglied im Schifferverein Germania: Johann Leewog, Kapitänsexamen A 4 in Papenburg, verheiratet mit Gerhardine Renken, Eigner der "Hoffnung". Der andere, Otto Leewog, Kapitänsexamen A 5 in Leer, war verheiratet mit Johanna Schankser, Tochter einer ebenfalls bekannten Fehntjer Kapitänsfamilie. Die beiden hatten drei Kinder: die Töchter Antine und Grenette sowie Johann Otto, der 1902 geboren wurde. Zu dieser Zeit um 1900 fand die große Umstellung in der Schiffahrt statt. Die meisten Segler waren alt und neue wurden kaum noch gebaut, denn die Dampfmaschine hatte auch hier längst einen Verdrängungswettbewerb ausgelöst.

An den Kapitänsfamilien ging diese Entwicklung nicht spurlos vorbei. Während früher die Söhne fast immer in die Fußstapfen der Väter traten, änderte sich dies jetzt. Kapitänssöhne studierten, wenn sie die geistigen Voraussetzungen mitbrachten. Und da "Johann Ottos" Vetter "Johann Hinrich" Theologie studierte, entschloß sich ersterer, Jura zu studieren.

Die Abiturientenklasse des Papenburger Gymnasiums. Ganz links sitzt Johann Otto Leewog, der alles immer so akkurat in Ordnung hatte und so gut lernen konnte, daß er den Spitznamen "Tiptop Leewog" erhielt. Daraus machten die Fehntjer das heute noch gebräuchliche "Top Leewog". Der junge Mann rechts hinten könnte ein Huismann sein. Die anderen Namen stehen leider nicht unter diesem Foto

Nach dem Abitur, das Johann Otto übrigens in Papenburg ablegte, besuchte er die Universitäten in Marburg, Münster und Kiel. Nach der Promotion verbrachte er seine Assessorenjahre in Göttingen, um dann wieder nach Hause zu kommen. Hier in Westrhauderfehn gab es noch keinen Rechtsanwalt und Notar, und so machte er sich in seinem Heimatort selbständig.

Nun ergibt sich die Frage, ob auf dem Fehn ein Rechtsanwalt sein Brot verdienen konnte, und wenn ja, warum dann nicht schon vorher jemand auf diesen schlauen Gedanken gekommen war. Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir wieder einen kurzen Blick zurück in die Geschichte werfen. Wer im vorigen Jahrhundert ein Grundstück von der Fehngesellschaft in Erbpacht nehmen wollte, mußte dies auf dem Amt in Stickhausen beschreiben lassen. Dazu waren die notariell beglaubigten Unterschriften der Beteiligten notwendig. Also gab es in Stickhausen einen und manchmal sogar zwei Notare, die ihr Geld mit diesen Beglaubigungen (und anderen Rechtsgeschäften) verdienten.

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Als das Amt Stickhausen 1879 aufgelöst wurde (der FK berichtete am 16.8.90) und die Akten zum Amtsgericht nach Leer kamen, waren die Stickhauser Notare arbeitslos. Sie zogen notgedrungen mit nach Leer. Die Fehntjer Bürger mußten von nun an in die Kreisstadt, um Testamente und Grundstücksverkäufe amtlich beglaubigen zu lassen.

Das war teilweise sehr umständlich für alle Seeleute auf großer Fahrt. Manche - aber nur wenige - gaben ihrer Frau eine Generalvollmacht, so daß sie solche Geschäfte allein abwickeln konnte. Bei anderen Familien war es wiederum so, daß die Angelegenheit solange warten mußte, bis der Ehemann einmal zufällig zu Hause war. Dann hieß es, den vor allem in Wintertagen beschwerlichen Weg nach Leer zu nehmen, um dort seine Unterschrift notariell beglaubigen zu lassen. Irgendwann hatte das Amtsgericht ein Einsehen und hielt in Westrhauderfehn sogenannte "Gerichtstage" ab, über die auch noch nie ausführlich berichtet worden ist. Die hohen Herren vom Gericht und mit ihnen verschiedene Anwälte und Notare kamen aus Leer mit der Kleinbahn nach Westrhauderfehn und hielten im "Goldenen Anker" einen Gerichtstag ab.

Diese Situation kannte der junge Rechtsanwalt Dr. Johann Otto Leewog. Als er beim Justizminister seine Zulassung für Westrhauderfehn beantragte, legte er großen Wert auf die Notariatsgenehmigung, die er trotz seines jungen Alters und trotz seiner wenigen Berufserfahrung tatsächlich sofort erhielt (s. Anzeige).

Vor genau 60 Jahren erschien diese Anzeige am 20.September 1930 in der Ems-Zeitung, Papenburg.

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Sein Vater, der Kapitän i.R., kaufte seinem Sohn das Jhmelsche Haus im Untenende. An der rechten Hausseite steht unten links neben der Eingangstür in die Ziegelsteine eingeritzt: "H. J. Jhmels, G. J. gb. Diekmann, D. Jhmels, B. Jhmels". Es handelt sich hierbei um den Langholter Hauptlehrer Hermann J. Jhmels, der sich nach seiner Pensionierung dieses Haus in Westrhauderfehn im Jahre 1910 baute. Nach seinem Tode betrieb Ulpt Janssen von hier aus einen florierenden Torfhandel (siehe FK vom 31.3.88). Als es hieß: "Laot uns de Beudel man binanner smieten", erwarb Vater Leewog 1930 das Haus. Sein Sohn Johann Otto kaufte einige Jahre später von Etje Plümer, geb. Meyerhoff ein Stück Land dazu, so daß hinter dem Haus ein großer Garten entstehen konnte.

Der Notar mußte ab und zu auch sonntags in Testamentsangelegenheiten weite Strecken mit dem Kraftwagen zurücklegen. Dr. Leewog liebte Automobile, und dieses Cabriolet war sein ganzer Stolz.

Als Auktionator und Rechtsbeistand Heiko Athen im Jahre 1932 das Inventar des Freiherrn von Göden versteigerte, der von Busbooms Landstelle am Deich in Rhaudermoor wegzog, erwarb der junge Rechtsanwalt und Notar den riesengroßen Schreibtisch mit Geheimfächern und den fast zehn Zentner schweren Panzerschrank mit dem wunderschönen hölzernen Passepartout. Beide Gegenstände befinden sich heute noch auf dem Fehn.

Am 1.Dezember 1934 heiratete Dr. Leewog seine Gertrud. Eine Tochter und ein Sohn wurden geboren. Das Glück schien vollkommen. Wenn da nicht das Herzleiden gewesen wäre. Schon 1950 verstarb der angesehene Rechtsanwalt und Notar, der lieber schlichtete als prozessierte und vielen Bürgern half, sich in der komplizierten Rechtsmaterie bei Testamenten und Grundstücksverkäufen zurechtzufinden. Er hinterließ eine junge Witwe von 37 Jahren, die in der schweren Nachkriegszeit zwei halbwüchsige Kinder aufziehen mußte.

Dr. Leewog mit seiner Jagdhündin "Senta von Ostfriesland". Sie verbrachte ihre letzten Lebensjahre bei Bürgermeister Zimmermann in Jhrhove.

Wer von der 1. Südwieke Ostseite aus in die Bürgermeister Eilts-Straße einbiegt, der kommt bald links zur Dr. Leewog-Straße, an der die hübschen Altenwohnungen liegen. Der Fehntjer Kurier ist stolz darauf, für heute und morgen eine Zeitung in diesen historischen Räumen zu machen, die 1910 Lehrer Jhmels aus Langholt erbauen ließ, von denen aus Ulpt Janssen seinen Fehntjer Torfhandel betrieb und in denen der erste Rhauderfehner Rechtsanwalt Dr. Leewog vielen Fehntjer Bürgern in schwierigen Grundstücks- und Testamentsfragen beratend zu Seite stehen konnte.

Sonntag nachmittag im Garten hinterm Haus: Mutter Gertrud, Sohn Otto, der Rechtsanwalt sowie Tochter Hanna auf dem Schoß einer Kollegengattin aus Bassum.

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Die einzige Freizeitbeschäftigung, die sich Dr. Leewog leistete, war die Jagd. Er war Jagdpächter von Rhaude und Collinghorst. Somit wurde er natürlich auch von anderen Jagdpächtern eingeladen. Hier nahm er an einer Treibjagd im Jahre 1938 im Holter Hammrich teil. Das Foto entstand vor dem alten Schöpfwerk in Holte. Der dritte von links hinten, das ist Dr. Leewog. Vordere Reihe: Wilke Folkers aus Langholt, in der Mitte knieend ein Cordes aus Breinermoor oder Potshausen, und rechts der einladende Jagdpächter Arnold Müller aus Holte. Mittlere Reihe von links: Gastwirt Harm Diekhoff und Bäckermeister Johann Schmidt, beide aus Westrhauderfehn, 1. Südwieke, dann Annäus Lünemann aus Schatteburg und Heinrich Follrichs, der - man sieht es - gerade aus den USA auf Heimatbesuch war. In der hinteren Reihe Niklas Schaa, der damalige Pächter der Sarrazinschen Apotheke, mit dem Dr. Leewog (der nächste) eng befreundet war, dann Hero Hündling aus Holte, Hans Meyerhoff aus Holterfehn, unbekannt, Renko Schmidt aus Langholt sowie (hinter dem amerikanischen Ostfriesen) Heinrich Rodenbäck aus Leer sowie ganz rechts der spätere Kreisjägermeister Jakob Zitting aus Langholt.

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