Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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"Eine Kuh macht muh, viele Kühe machen Mühe." Eine Kuh gibt im Durchschnitt 15 Liter Milch täglich. Damit wäre heute kein Landwirt mehr zufrieden. Allein die Menge Milch, die im vergangenen Jahr nötig war, um das beliebte Speiseeis herzustellen, kann nur mit der astronomisch großen Zahl von 506 Millionen Litern beziffert werden. Die Gesamtmenge der in Deutschland gemolkenen Milch kann sich niemand so richtig vorstellen.
Trotz ihrer 80 Jahre läßt es sich Engelina Kramer nicht nehmen, selbst die Kuh zum Haus in Rhaudermoor zu treiben. |
Diese Milch wird nicht getrunken, sondern zu Butter und Käse verarbeitet, zu Joghurt und Quark, und wenn dann noch etwas übrig bleibt, wird mit kostbarer Energie die nur kurze Zeit haltbare Eiweißflüssigkeit getrocknet zu Milchpulver. Die Europäische Gemeinschaft hatte einen Butter- und Milchpulverberg, der riesige Summen verschlang. Und trotz aller Milchquoten wird ständig weiterproduziert. Die bisherige Norm von 60 Euro-Kühen ist längst überschritten. "Mühe" aber machen diese vielen Kühe kaum noch.
Eine gar nicht so einfache Aufnahme aus Holtermoor: Hanni hat ihren Apparat aufgestellt (Schatten im Vordergrund). Dann hat sie auf den Selbstauslöser gedrückt, ist schnell zu ihrem Emailleeimer gerannt und lächelt nun in die eigene Kamera (siehe Fehntjer Kurier vom 27.04.1989). |
Da gibt es den Fischgrätenstand und den Karussellmelkstand. Die Kühe haben am Halsband einen Chip hängen, in dem die "persönlichen Daten" von "Lisa" - jetzt hat sie die Nummer 129 - einprogrammiert sind. Beim Melken wird die Kuh von einem Computer überwacht. Er meldet sofort, wenn irgend etwas nicht stimmt. Der Landwirtschaftsmeister drückt die ‚return' Taste, und auf dem Bildschirm kann er jede Unregelmäßigkeit erkennen. George Orwells Roman "1984" - Big Brother is watching you (der große Boß überwacht dich) ist im Kuhstall längst Wirklichkeit geworden. Wobei das Wort "Kuhstall" eine Beleidigung ist. Es soll mehrstöckige Häuser geben, in denen die Kühe auf Förderbändern leben und dreimal täglich gemolken werden.
Normalerweise war es die Aufgabe der Kinder, die Kühe abends zum Haus zu treiben. |
Am 7. September fährt eine Gruppe ostfriesischer Bauern in die USA. Dort wird unter anderem die "Alta Dena Dairy Farm" besichtigt. Das ist eine Milchkuhfarm, die ganz Los Angeles mit Milch und Molkereiprodukten versorgt! Jede Kuh bekommt ihr Spezialfutter. Im Krankheitsfall wird gleich ein Medikament hinzugemischt. Das geht wie in einer Brotfabrik:
Verschiedene Rohre bringen das Futter aus den Hochsilos zur Kuh. Da rührt sich keine Hand mehr, und Streicheleinheiten gibt es sowieso nicht. Selbst den Bullen für das nächste Kalb sucht der Computer aus!
Bevor Angela und Hermine aus Großwolde an die Arbeit gehen, posieren sie im Gras liegend für die Kamera. Früher gab es die "holten Emmers", innen rot und außen grün gestrichen. Drei schwarzgelackte Eisenbänder hielten die Holzbretter zusammen. Die verzinkten "Ketelemmers" sind blitzeblank geschrubbt, deshalb haben die Mädchen sie so demonstrativ hingelegt. |
Nun brauchen wir bei uns in Deutschland nur noch zu warten, bis sich hier die ersten Landwirte zusammentun, um größere Mengen Milch kostengünstig liefern zu können. "Fusionieren" heißt das Zauberwort. Was die Industrie kann, wird den bäuerlichen Unternehmern bald genauso vertraut sein. Vom Karussellmelkstand zum Fusionskarussell in der Landwirtschaft?
Schon jetzt sind die Probleme vorprogrammiert. Das Schreckenswort heißt "Gülle". So wie die Industrie nicht weiß, wohin mit den Abfällen, so ergeht es derzeit auch den aufstockenden Landwirten. Die Intensivhaltung von Kühen, Schweinen und Hühnern bringt das "Entsorgungsproblem" mit sich, wie es im Neudeutsch so schön heißt.
Auf einer Wiese in Westpreußen. Die Verwandtschaft aus der Stadt Thorn hat sich einen vergnügten Tag gemacht. Die Landbevölkerung muß immer arbeiten, sonntags wie werktags. |
Es ist jedem verständlich, daß die Kuhmilch auch nicht mehr das ist, was sie einst war. Schon gibt es seit einigen Jahren die Kuhmilchallergie. Die Kinder müssen umsteigen auf die leicht bekömmliche Ziegenmilch (der Fehntjer Kurier berichtete ausführlich). Trotz pasteurisierter, homogenisierter, sterilisierter oder ultrahocherhitzter H- oder Vorzugsmilch ist dieses empfindliche Eiweißprodukt kaum über einen längeren Zeitpunkt haltbar. Da hilft nur das Kondensieren oder das sofortige Verarbeiten zu Endprodukten. Nun kommt noch ein weiteres Problem auf die Landwirte zu: Milchimitate.
Oma Engel Hellmers aus Bokelesch trägt noch den richtigen "Schluchterhut". Diese Melkhaube war jedesmal beschmutzt, wenn das Melken getan war. Tägliches Waschen war eine Selbstverständlichkeit. |
Es mag bezweifelt werden, ob unsere Leser wissen, was ein "Milchimitat" ist. Ich habe zuerst einmal an "IMI" gedacht, aber das war wohl nicht richtig. "Imitieren", so steht es im Wörterbuch, heißt "nachmachen". Die Kabarettisten imitieren Politiker; Sänger imitieren die Großen der Showbranche, und nun gibt es also auch Milchimitate. Irgend jemand hat herausgefunden, daß aus Sojabohnen eine Art Pflanzenmilch hergestellt werden kann. Die Landwirte halten dagegen: "Milch ist als Naturprodukt einmalig und für die Herstellung echter Milchprodukte durch nichts zu ersetzen." So heißt es in den großen Anzeigen der Milchwirtschaft.
Diese Kuh in Großwolde ist schön hochbeinig, da fällt das Melken für Angela nicht so schwer. |
Die Milchimitate werden aus Pflanzenfetten wie Soja- oder Palmöl sowie billigem getrockneten Pflanzeneiweiß unter Zusatz von Zucker, Wasser und Vitaminen hergestellt. Da der Trocknungsprozeß in den Ursprungsländern kostenlos ist (dort brennt die Sonne täglich), können diese Milchimitate sehr kostengünstig angeboten werden. Firmen, die Fertiggerichte anbieten, oder Betriebskantinen, die auf den Pfennig sehen müssen, benutzen vielleicht schon bald den "Pudding aus Sojadrink".
Seit alters her heißt es: "MeIk un Brood maakt de Wangen rood." Im Weinhaus Samson zu Leer liest man es etwas anders:
"Söte Melk is vör de Kinner, sure MeIk is för dat Swien; Water supen Peer un Rinner, man för uns gaff Gott de Wien." Eine weitergehende Erklärung gibt es im ostfriesischen Platt nicht. Jungbauer hat es schwer, seinem Großvater zu erklären, daß Milch "die Ausscheidung der Milchdrüsen bei Säugetier und Mensch ist." So lernt er es aus seinem Lehrbuch, wenn er Landwirtschaftsmeister werden will.
Mit Jück und Emmers ging es nach Hause. Damit die Milch nicht überschwappte, lagen hölzerne Melkbrickjes oben drauf. Hanni mußte manches Mal über 300 m bis zum Haus laufen. Das Tragejoch war nicht gepolstert. |
Nun kenne ich Schweißdrüsen, die Speicheldrüsen, die Schilddrüse, die Hirnanhangdrüse, die Keimdrüsen, die Talgdrüsen und noch etliche andere mehr. Alle Drüsen sondern etwas ab, das weiß jeder, der in diesen Tagen zu warm angezogen ist. Die Achseln schwitzen, der Fußschweiß ist unangenehm, die Mitesser der Jugendlichen werden mit vielen Mittelchen bekämpft. Vor Jahren hat eine Firma ich habe vergessen, ob es Milumil oder Alete oder Humana war - mit dem schönen Spruch für ihr Produkt geworben: "Wir haben tief in ihre Brust geschaut."
Hier wird beim Haus in Strücklingen gemolken. Anni gießt die Milch durch ein Metallsieb, in dem ein Papierfilter liegt. |
Mit dem Melkrad auf die Weide. Über der Milchkanne liegt das Seihtuch. Gleich nimmt Auguste einen Eimer. Stripp, strapp, strull, is de Emmer noch nich vull? |
Der Blick in den Ausschnitt wird heute nicht mehr gestattet. Wir wissen es auch so: Die Milch ist eine Emulsion wie zum Beispiel die Mayonnaise. Wenn Fett und Wasser miteinander geschüttelt werden, so entsteht ein weißliches Gemisch. Dieses "Wunder" hat die Milch immer geheimnisvoll erscheinen lassen. "Die Milch der reinen Denkungsart" ist ein geflügeltes Wort. Das Wort Milch kommt eigentlich nur in "gutem" Zusammenhang vor, wenn wir es im übertragenen Sinn benutzen. Biologisch gesehen entziehen die körpereigenen Eiweißdrüsen dem Blut die verschiedensten Stoffe und stellen durch ein kompliziertes Zellsystem kleinste Tropfen eines Sekrets her, daß wir "Milch" nennen.
Der eine oder andere erinnert sich, als Schüler gelernt zu haben, daß "die Kuh aus ihrem Futter Milch produziert". So heißt es folgerichtig in einer Werbung des Bauernverbandes: "Grünland ist die Basis der Produktion von Milch." Hier lautet nun die Frage: Wie machen das die Kühe? Schnell erkennen wir bei der Suche nach einer Antwort, daß es auch menschliche Muttermilch gibt, die nicht durch "Grünland" entsteht.
Kannen und Eimer sind in Osterhörn blitzeblank geputzt. Früher fragten die Mägde bei der Einstellung, ob das Kannensaubermachen mit zum Melkdienst gehörte. Es war nicht sehr beliebt, denn es war schwere und nasse Arbeit. |
Es gibt Mäusemilch und Löwenmilch, Walmilch und Fuchsmilch, wobei diese Tiere überhaupt kein Gras fressen. Wir erkennen durch die Vergleiche, daß die oben gestellte Frage so nicht beantwortet werden kann. Milch entsteht in jeder Milchdrüse eines jeden Säugetieres. Wir Menschen haben uns aber ein Tier herausgesucht, das besonders viel Milch produzieren kann, wenn es nur genug zu Fressen bekommt. Dieses Tier ist unsere ostfriesische Schwarzbunte.
Natürlich gibt es auch Rotbunte und gelbe und sogar ganz schwarze oder ganz rote Kühe. Es gibt den "Wittkopp, de Swartkopp, de Bleß, dat Krummhorn, Röttsteert, Fahl- un Sülverklörde". Aber nichts geht über eine gute "Dartkalvskoh"! "0 Gott", stöhnte der Bauer, "wat büst du `n Gott: lettst mi `t Wiev un nimmst mi de Koh, un denn ok noch de goode Swartbunte!" So deftig ist das Ostfriesland. "`n ollen Frau un `n ollen Koh, dor kummt een noch wat van to, man `n ollen Keerl un `n old Peerd, de sünd kien Bohne weert."
Ja, meine lieben Leser, "wo kann't angahn, dat `n swarte Koh witte Melk gifft?" Womit wir wieder bei unserem Thema sind. "Van vörn as `n Gabel, in `t Midden as n Fatt, achter as `n Bessen - wat ist dat?" Sie haben es sicherlich erraten: "He hett `n Kopptau funnen, un as he in Huus tokeek, do satt d'r `n Koh an." Wenn es dann noch heißt: "De Koh is hoch in `t Steertbunk' , oder "dor sitt "n moj Krüz in de Koh" oder "de Koh is moj tekend, hett `n lüttje Steern un `n Snipp", so ist der Bauer zufrieden.
Ärger gibt es sowieso, denn "wenn de een Koh schitt, tillen de annern de Steer hoch". Auch gibt es ganz "liebe" Kühe, die vor keinem Stiekelwier oder Schriekwier halt machen. Sie müssen "kneebösselt worn, anners breken se to't Land ut un schojen wat herum". Auch gibt es Kühe, die sich nach dem Erwerb als "Dreetitt" zeigen oder die nach kurzer Zeit "een Jidder as `n legen Klingbül hett". Da kann dann nur noch der Stoßseufzer helfen: "Wat helpt', wenn de Koh een Emmer vull Melk gifft und smitt hum nahers wer um?"
So, nun müssen wir aber endlich zum Melken kommen. Fast jeder in Ostfriesland kennt das Rätsel: "Tweebeen satt up Dreebeen unner Veerbeen, dor kweem Veerbeen un wull Tweebeen bieten. Dor namm Tweebeen Dreebeen, und dee Veerbeen mit Dreebeen smieten." Es handelt sich um die Magd und eine Kuh und einen Melkschemel sowie einen Hund, das wußten unsere Leser bestimmt. Weil es so leicht war, gleich noch eins: "Tweebeen satt up Dreebeen un Veerbeen wull neet stahn, dor namm Tweebeen Dreebeen und wull Veerbeen dormit slaan."
Die alte Lotte von der 1. Südwieke mit den krummen Hörnern und dem schönen Herz auf der Stirn. Es gab einbeinige und auch dreibeinige Melkschemel. |
"Melktied in Ostfreesland" steht über einem hübschen Bild auf der Milchtüte. Da geht sie übers Land, die junge Frau, mit einem Eimer links und einem Brettstohl rechts in der Hand. Im Sommer, wenn es heiß ist, gehören eigentlich zwei Menschen zum Melken, denn der eine muß den Schwanz halten. "De Koh is swart van Müggen." Ständig schlägt sie um sich und trifft oft genug die Melkerin. Hier tut ein Kopftuch gute Dienste.
Das Hand melken wird nur bei ein oder zwei Kühen getätigt. Mehrere Milchkühe werden zum Melksett getrieben, wo der Trecker schon tuckert. Er erzeugt den Unterdruck, der die Melkmaschine laufen läßt. Die eine Kuh ist "stuur to melken", während andere leicht die Milch hergeben "bit dor kin Drüpp mehr in't Jidder is". Sehr junge und auch die steinalten Kühe sind schwer zu melken: "Olle Koh Bellen un junge Koh litten, dar mutt de Maid söven Johr unnersitten."
Ein nostalgisches Bild aus Idafehn. Gleich kommt der Milchwagen! Über das Molkereiwesen hat der Fehntjer Kurier am 17.3. und 14.4.1987 berichtet. |
Sehnsüchtig wird das Ende erwartet: "Stripp, strapp, strull, is de Emmer noch nich vull?" Endlich ist er es, und nun wird ein hölzernes Kreuz auf die warme Milch gelegt, damit sie nicht überschwappt, wenn es den langen holprigen Weg nach Hause geht. Vom Melken hat man erst einmal genug. Es wäre schön, wenn am nächsten Tag abgezählt werden könnte: "EIe, mele, micki, well mag Titti? Dat mag ik nich, dann magst du!"
Der Milchkontrolleur bei W. F. Plümer Wwe. (Plümerecke, heute Volksbank). Da die Milch auch in der Gastwirtschaft bei Festlichkeiten und Versammlungen verbraucht wurde, legte Witwe Etje mit ihren beiden Töchtern Regate und Weerta großen Wert auf geprüfte Norm. |
Mutter Antje war ein bißchen böse, daß ihr Mann Johann so pingelig war und die Kanne noch einmal mit Wasser nachspülte. In einem schwülen Sommer ist diese Maßnahme aber durchaus berechtigt. |
Zur Verfügung gestellt von Agate Helling, Hanni Kramer, Heinz-Ulpt Kramer, Karl Heinz Nußwaldt, Hans Rieke (2), Hanni Scheer (3), Dora Scheve (2), Hilda Schmidt (2) und Lidia Starniewski.
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