Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1989 ]
[ Zum Seitenanfang ]
"Mitten im Dorf", so beginnt die Rhauder Kirchenchronik von Fräulein Sigrid Kittelmann, der Mitarbeiterin von Superintendent Rudolf Janssen, "mitten im Dorf, nur wenige Schritte von der Kirche entfernt, steht ein alter Turm. Das Jahr seiner Grundsteinlegung ist nicht bekannt; wir wissen nur, daß er schon sehr alt ist und mancherlei Zerstörung und Ausbesserung erlebt hat."
In ihrer schönen, etwas linksfallenden Sütterlinschrift fährt sie fort: "Von alters her haben darinnen Glocken gehangen die unsere Väter auf all ihrer Wegen traulich mit ihrem Lobgesang begleitet haben. Sie sind nicht müde geworden. Freud' und Leid, Not und Bedrängnis, Kriegsschrecken und Friedensbotschaft mitzutragen und über allem Gott die Ehre zu geben. Ohn' Unterlaß laden sie uns auch heute noch Sonntag um Sonntag ins Gotteshaus ein. Wenn auch seit einigen Jahren nur eine Glocke uns diesen Dienst tut, so geschieht es doch allein zur Ehre Gottes und unserer Gemeinde zum Segen."
"Früher", so fährt die Chronistin mit ihren Aufzeichnungen im Jahr 1957 fort, "hingen zwei Glocken in unserem Turm, und so Gott will, soll noch in diesem Jahr ein Dreiergeläut erklingen. Denn nach Aufzeichnungen im Inventurverzeichnis aus dem Jahr 1763 (!) befanden sich zwei mittelmäßige Glocken und eine Schlaguhr in jenem Jahr im Turm. Schon damals hieß es von der kleineren Glocke, daß sie sehr alt geschätzt würde, das genaue Alter jedoch unbekannt sei.
Von der größeren Glocke weiß man nur zu berichten, daß sie ,in späteren Jahren' gegossen worden sein muß. Zwischen den Jahren 1803 und 1806 ist die Schlaguhr im Turm unbrauchbar geworden. Sie konnte nicht mehr ausgebessert werden und wurde deshalb abmontiert. 1806 fand die Umgießung einer Turmglocke statt. Es ist anzunehmen, daß mit der Umgießung nicht eine der Kirchenglocken, sondern die kleine Schlagglocke gemeint ist.
Um das Jahr 1812 soll in Holte, ähnlich wie 100 Jahre früher in Potshausen, eine Werkstatt zur Herstellung von Glocken gewesen sein. Dort wurden 1812 die beiden vorhandenen Glocken von der Firma M. Fremy und A. van Bergen umgegossen. Die größte Glocke mit dem Ton Fis, 680 kg schwer und einem unteren Durchmesser von 105 cm, erhielt in zwei Reihen die Inschrift: ,Wohl dem Volk, das meinen Schall kennt. E. G. Stellwagen, Pastor. Erneuert zu Holte für die Gemeinde Rhaude im Oktober 1812 von M. Fremy und A. van Bergen.' Über die zweite Glocke fehlen jegliche nähere Angaben. Ob sie nach wenigen Jahren schadhaft geworden oder mit der anderen Glocke im Ton nicht übereinstimmte und vielleicht noch einmal umgegossen worden ist, sind nur Vermutungen.
1832 bekam die Kirchengemeinde eine neue Glocke mit dem Ton A, 550 kg schwer und einem unteren Durchmesser von 96,5 cm und einer Schlagringstärke von 75 mm. Sie wurde von derselben Glockengießerei van Bergen hergestellt wie die andere Glocke. In drei Zeilen trägt sie die Inschrift: ,Der Herr lässet verkündigen seine gewaltigen Taten seinem Volk, daß er ihnen gebe das Erbe. E. G. W. Stellwagen, Pastor. J. U. Meyer, L. H. Müller, J. W. Eikens, Kirchenvorsteher - Rhaude 1832. H. van Bergen Claudy, U. van Bergen me fecerunt' (= haben mich gegossen).
Diese Glocke läutet noch heute in unserem Turm. Sie wurde im 1. Weltkrieg 1917 vorläufig von der Ablieferung befreit und verblieb der Gemeinde. Die kleine, ältere Glocke aus dem Jahr 1812 mußte am 13. Juni 1917 an den Kommunalverband Leer abgeliefert werden. Die Entschädigungssumme wurde auf 2360 Mark und 674 Mark Prämie festgesetzt (Einschub:. Dieses Geld scheint entweder nicht ausgezahlt worden zu sein oder es wurde durch die Inflation von 1923 ,aufgefressen').
Für die nun fehlende Glocke sollte bald nach dem Krieg wieder eine neue Glocke angeschafft werden. Schon im September 1919 hegte der Kirchenvorstand diesen Plan, der also wohl 1925 zur Durchführung kam. Der Lieferungsvertrag mit der Glockengießerei Gebr. UIrich in Apolda/Thüringen, für die Bronzeglocke mit dem Ton Fis, einem Gewicht von 704 kg und einem Durchmesser von 107,5 cm zum Preis von 2370 Mark auf eine Lieferungszeit von sechs Wochen wurde am 16. Juli 1925 abgeschlossen. Die Anschaffungskosten wurden durch Sammlungen in der Gemeinde und Anleihe von 600 Mark bei Gemeindegliedern gedeckt, die Restsumme von 700 Mark wurde aus dem Fonds der Pfarrkasse geliehen.
Außer der Glocke wurden zwei neue Lager mit Zapfen für die neue und für die alte Glocke zum Preis von 195 Mark sowie ein Klöppel für die vorhandene Glocke für 73 Mark bestellt. - Zur gleichen Zeit haben die Nachbargemeinden Collinghorst und Westrhauderfehn auch neue Glocken bekommen. Die Inschrift der neuen Glocke ist von der abgelieferten übernommen: ,Wohl dem Volk, das meinen Schall kennt.' Wahrscheinlich haben auf der Glocke auch noch Namen von Pastor und Kirchenvorsteher, Ort und Datum gestanden, denn die Inschrift soll aus 104 Buchstaben bestanden haben."
Soweit der manchmal schwer lesbare handschriftliche Text aus der Kirchenchronik von Fräulein Kittelmann. Am Sonnabend, dem 3. Oktober 1925, holte die Gemeinde ihre Glocke vom Bahnhof Marienheil mit Pferd und Wagen ab: "Alle Gemeindeglieder, insbesondere die Kinder mit ihren Lehrern, werden herzlichst gebeten, sich an der Einholungsfeier zu beteiligen." Zur Erinnerung wurde dann ein Foto gemacht, das die "vereinigten Oberstufen der fünf Schulen unseres Kirchspiels unter Leitung des Hauptlehrers Baumann" zeigt.
Die beiden weißen Bullaugen des Rhauder
Kirchturms starren den Betrachter an, so als ob es die Ochsenaugen aus der
niederländischen Sage wären, von der Heinrich Roskam erstmals erzählte.
Da der Turm nach Expertenurteil vor 1400 entstanden ist und mitten in
einem Wehrwall stand, könnte es sich um Löcher für zwei einfache
Kanonenrohre gehandelt haben, die während des Bauernkriegs oder zu Zeiten
der Mansfelder in die Turmwand gemeißelt wurden. Das war die Zeit der
Sternschanze am Verlaat in Westrhauderfehn, wo der alte Heerweg
langführte. Auch auf der Burg Stickhausen gab es diese einfachen Kanonen
mit ihren Steinkugeln. Links neben dem Turm stand früher die alte Rhauder
Gaststätte mit der Jahreszahl 1827. Sie gehörte so ab 1860 einem Gerd
Voß aus Warsingsfehn. Hier spannten die evangelischen Gläubigen aus
Burlage ihre Pferde aus, wenn sie zur Kindtaufe, Hochzeit, Be-erdigung
oder zum Gottesdienst kamen. Heute ist dort der Parkplatz. Die Bäume auf
unserem Foto tragen noch Blätter. Es war ein herrlicher Sonnen"saterdag"
am 3. Oktober 1925. Die Bauern fuhren die letzten Wagen mit Gram von den
Wiesen. Die Schulkinder der fünf Oberstufen aus Rhaude, Holte, Holterfehn,
Rhauderwieke und Rhaudermoor mußten um 14 Uhr beim Bahnhof Marienheil
antreten. Dort wurde die neue Glocke auf Plümers Plattwagen verladen.
Mit Gesang ging es zur ehrwürdigen Rhauder Kirche. Dort wurde dann dieses Foto aufgenommen. - In der mittleren Reihe erkennen wir rechts mit Schillerkragen den Holter Lehrer Hermann Eekhoff. Auf der linken Seite am linken Türrahmen steht etwas verdeckt der Rhauder Lehrer Diedrich Andreesen. Davor könnte seine Frau mit einem Kind auf dem Arm stehen. Gleich neben dem Kind steht der Holterfehner Hauptlehrer Theo Baumann. Noch weiter rechts, fast an der Hausecke, steht der Rhaudermoorer Lehrer Oskar Opitz. Neben ihm mit Schlips müßte der Rhauderwiekster Lehrer stehen (Eeckhoff oder Lührmann?). |
||
Nun wollen wir uns mit den Herren im Hintergrund
befassen: Ganz rechts am Turmeck steht Kampe Spieker, der die Bücher
führte und "dat Karkgeld" holte. Links neben ihm steht
wahrscheinlich Karl van Deest, und hinter ihm mit dem rundlichen Gesicht
Claas Nuisenga. Der Herr mit dem Hut und Schnauzbart könnte Ubbo Pfeiffer
aus Holte gewesen sein. Nur schwach zu erkennen ist Opa Reck, Andreesens
Schwiegervater, mit einem Baby auf dem Arm. Wer denn noch alles neben der
Glocke steht, ist ungewiß. Der Herr mit dem weißen Bart am linken
Torbogen ist der Gaststättenbesitzer Gerd Voß, von dem wir schon
berichtet haben.
All die vielen Kinder hier im einzelnen heute noch herauszufinden ist eine mühselige Arbeit. Hermann Follrichs, Hermann Löning und Andreas Zimmermann haben es mit ihren Frauen zusammen versucht. Vorn in der ersten Reihe fällt ein Junge mit Hut auf; das ist Andreas Zimmermann höchstpersönlich. Rechts hinter ihm steht Gerhard Alting, links neben Andreas kniet Onno Ostendorp, und hinter dem steht Dirk Peters. Das Mädchen dahinter ist Elsine Pruin. Nun wollen wir unseren Blick einmal ganz nach rechts schweifen lassen. Dort steht ein Mädchen, das - oh Graus - ein großes Dreieck in seine neue weiße Sonntagsschürze gerissen hat: Tini Luitjens. Die Frau ganz links könnte ihre Mutter Renate Luitjens gewesen sein. Links neben Tini kniet ein kleiner Junge, Eduard Ferdinand, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. Links neben ihm mit dem weißen Kragen und der Mütze kniet Hermann Taute. Nun wollen wir uns einmal den Jungen im Matrosenanzug vorne in der Mitte vornehmen: Es ist Bernhard Löning. Rechts neben ihm mit Mütze kniet sein Bruder Johann. Der große "Bengel" mit der "Studentenmütze", das ist Pastor Soekens ältester Sohn Wilhelm. Hinter ihm lugt mit leicht geöffnetem Mund Hermann Follrichs hervor, und rechts etwas angelehnt kniet Bruder Gerhard. - Die andern beiden Soeken-Jungen Heinrich und Georg sind halblinks mit ihren "Studentenmützen" vom Ubbo-Emmius-Gymnasium Leer zu erkennen. Rechts schräg dahinter ist mit der herrlichen Schleife im Haar Adelheid Andreesen zu erkennen. Foto: Zur Verfügung gestellt von Heinrich Gosch |
Wie es weiterging im 2. Weltkrieg und danach, und was es aus früheren Zeiten noch alles zu erzählen gibt, darüber ein andermal mehr.
[ Zum Seitenanfang ]
[ Zum Seitenanfang ]
Die Hauptglocke von 1953 im dreiteiligen Geläut der evangelischen Kirche in Westrhauderfehn erinnert an die Opfer der Weltkriege. |
[ Zum Seitenanfang ]
Wie unter der Kuppel einer Mühle hängen die beiden Ihrener Glocken. |
[ Zum Seitenanfang ]
Die Katholiken in Langholt und Umgebung werden von diesen vier Glocken zum Ostergottesdienst gerufen. |
[ Zum Seitenanfang ]
Zu eng ist es im Ostrhauderfehntjer Kirchturm, um das mächtige, dreiteilige Geläut vollständig auf Film zu bannen. |
[ Zum Seitenanfang ]
Diese und weitere 47 von 66 aufgefundenen metallenen Osterglocken wurden von unserem Mitarbeiter Thomas F. W. Niemeyer "fotogepflückt". |
[ Zum Seitenanfang ]
Separat von der Kirche, im Eingangsturm, sind die drei Rhauder Glocken untergebracht (vgl. historische Sonderseite). |
[ Zum Seitenanfang ]
Dicht beisammen sind die beiden kleinen Holtermoorer Glocken in ihrem modernen Betonturm. |
[ Zum Seitenanfang ]
Im Freien hängt die Glocke in Mitling-Mark. |
[ Zum Seitenanfang ]
Neben einem kleinen Exemplar im Dachreiter sorgen die beiden motorbetriebenen Glocken in Driever für den guten Ton. |
[ Zum Seitenanfang ]
Nur Experten sind die beiden ldafehntjer Glocken
zugänglich. |
[ Zum Seitenanfang ]
"Reich gesegnet" von den gefiederten Turmbewohnern sind die beiden Völlener Glocken. |
[ Zum Seitenanfang ]
Auch der Friedhof in Flachsmehr hört österliche Klänge. |
[ Zum Seitenanfang ]
Sie beschallen die Potshausener Landvolkshochschule ganz evangelisch-ostfriesisch. |
[ Zum Seitenanfang ]
In Völlenerkönigsfehn haben die drei Glocken ihren eigenen Turm. |
[ Zum Seitenanfang ]
Ein mächtiges Gebälk beheimatet das dreiteilige Geläut der evangelischen Kirche in Langholt, das nur durch Motorkraft in klangvolle Bewegung versetzt werden kann. |
[ Zum Seitenanfang ]
Ein Hanfseil genügt dem Glöckchen an der katholischen Kapelle in Ihrhove. |
[ Zum Seitenanfang ]
Ihren goldenen Glanz läßt diese Esklumer Glocke nach Nordwesten erstrahlen, wo die Leda in die Ems mündet. |
[ Zum Seitenanfang ]
Nahezu mittelalterliche Romantik strahlt die großzügige Glockenstube in Backemoor aus. |
[ Zum Seitenanfang ]
Die Taufglocke ist das älteste Stück im dreiteiligen Collinghorster Geläut. |
[ Zum Seitenanfang ]
Eine der drei freihängenden Glocken in Steenfelde. |
[ Zum Seitenanfang ]
Reich ornamentiert ist die Glocke von 1901 in der Collinghorster Kirche. |
[ Zum Seitenanfang ]
1744 steht auf dem Rand dieser schön verzierten und umfangreich beschrifteten Glocke in Großwolde. |
[ Zum Seitenanfang ]
Nur ein Dachreiter auf der Holter Dorfgemeinschaftsanlage zeigt den Ort des Gottesdienstes. |
[ Zum Seitenanfang ]
Ein mächtiges Geläut hält der Vorturm der Ihrhover Kirche für die Ostertage bereit. |
[ Zum Seitenanfang ]
Noch sehr neu und proper stellen sich die beiden Glocken in Langholt Burlage vor. |
[ Zum Seitenanfang ]
Eine schöne Aussicht aus ihrer Stube bietet sich dieser Grotegaster Glocke. |
[ Zum Seitenanfang ]
Den abenteuerlichsten Aufstieg bot die katholische Kirche in Flachsmeer. Auf wackeligen und knarrenden Holzleitern erreichte der Fotograf schließlich einen Punkt, wo die Sicherheit Hand und Fuß erforderte. |
[ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1989 ]
[ Home ]
[ Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ]
[ Links ][ Startseite ]