Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
Das Mesopotamien Ostfrieslands
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Rhauderfehn (H). - Bei der Volkshochschule Westrhauderfehn gibt es einen Historischen Arbeitskreis der von Michael T. Heinze aus Langholt geleitet wird. Er hat mit großem Interesse vermerkt, daß der Fehntjer Kurier alte Photos veröffentlicht hat. Da sicherlich nicht jeder mehr die alten Zeiten kennt, hält es die Redaktion für wünschenswert, daß diese Bilder erklärt werden.
Wir drucken im nachfolgenden ein Arbeitsergebnis der etwa 20 Mitglieder dieser Gruppe ab. Das heutige Bild gilt als die älteste Aufnahme vom Fehn. Es läßt sich recht gut zeitlich einordnen, denn der Kirchenturm ist noch nicht gebaut. Aus der Chronik von Pastor Heyer wissen wir, daß man erst im Herbst 1885 mit dem Bau dieses schlanken Wahrzeichens begann. Aber hat der damalige Photograph tatsächlich nur die Kirche aufnehmen wollen? Oder das interessante Spiegelbild im Kanal? Oder das alte Pfarrhaus? Die Antwort heißt erstaunlicherweise klar ,,nein"!
Im wahrsten Sinne des Wortes unter die Lupe nahmen die Mitglieder des Arbeitskreises diese historische Aufnahme |
Auch die Personen auf der anderen Seite sind nur Staffage, genauso wie der Herr links zwischen den Eichenbäumen. Warum also wurde diese Aufnahme gemacht? Wer genau hinschaut, sieht links an der Kanalböschung eine Reihe Männer mit Strohhüten sitzen. Es sind keine Angler, sondern Arbeiter, die der Photograph dort hinbeordert hat. Man sieht es an der steifen Haltung, denn früher dauerte eine Aufnahme selbst bei gutem Sonnenlicht im Sommer immerhin einige Minuten.
Wenn wir nun überlegen: ,,Wohin schauen diese Männer? Was sehen sie da auf der anderen Seite?" so können wir etwas schwach, aber deutlich zwei Balken an der ehemaligen Plümer Ecke erkennen, zwei Balken, die den Anfang des Neubaus der neuen Ziehbrücke über die erste Südwieke bilden. Hier wird also eine 3. Brücke am heutigen Kreise gebaut, deshalb ist der Photograph aus Leer gekommen und hat diese Aufnahme gemacht. Nun könnte jetzt ein ganz schlauer Leser kommen und fragen: warum nicht 1884? Oder 83? Oder noch früher? Die Antwort gibt uns das Bild, das der Fehntjer Kurier letzte Woche veröffentlicht hat.
Auch für dieses bereits in unserer letzten Ausgabe veröffentlichte Bild fand der Arbeitskreis eine Erklärung. |
Hier wurde gefragt, um was für eine Wieke es sich wohl handeln könnte. Ganz einfach: Es ist die 1. Südwieke! Beweis: Der alte Dreihpost sagt aus, daß es vorn zwischen (heute) Rathaus und Volksbank noch keine Brücke gab. Auch weiter hinten ist kein Dreihpost mehr zu erkennen, denn sie waren Hindernisse für die Mutten und Tjalken und Schuten. Dies war also die erste Fußgängerbrücke über die erste Südwieke. Wohin schauen nun all die Leute, die dort rechts vor den Eichen stehen? Sie gucken so starr auf die andere Seite, weil dort ja wohl etwas losgewesen sein muß. Und in der Tat: an der linken Kanalböschung erkennen wir einen dicken Baumstamm im Wasser. Der wurde dort angebracht, wenn man eine provisorische Anlegestelle benötigte.
Deutlich erkennen wir einige dunkle und helle Sand- und Muschelhaufen. Hier soll also ein Haus gebaut werden. Aber nicht irgend ein. Privathaus, dafür hätte man nicht extra den Photographen kommen lassen müssen, nein, ein großes, bedeutsames Gebäude war im Entstehen begriffen, nämlich die sehnlichst erwartete neue Navigationsschule. Diese Schifferschule für angehende Seeleute gab es schon seit 1870. Sie tagte erst in Privathäusern, dann später im Kaufhaus zur Alten Post (Stapelfeld). Diesem Provisorium wollte man nun ein Ende bereiten mit dem Bau der neuen Seefahrtsvorschule. Aus den noch vorhandenen Unterlagen wissen wir, daß die Navigationsschule (wie auch der neue Kirchturm) 1886 eingeweiht wurde. Also begann man mit dem Bau schon im Jahre 1885.
Der Photograph brauchte seinen vorsintflutlichen Apparat nur umzudrehen, und schon hatte er eine weitere Baustelle. Da alle Bäume schon Blätter tragen und das Gras üppig an den Ufern wuchert, so kann man mit gutem Recht sogar den Monat Juni oder Juli als Aufnahmedatum festsetzen. Der Dreihpost wurde später nach Fertigstellung der Ziehbrücke als unnötiges Hindernis entfernt. Zum Abschluß sei noch ein Hinweis auf der Photo gestattet, daß der Fehntjer Kurier am 29. Oktober brachte. Es zeigte die Rhauderwieke vom Kirchturm aus photographiert, etwa um 1936. Hier hatte sich im Text ein Lesefehler eingeschlichen (nicht jeder ist mehr des Sütterlin mächtig): Der bekannte Marionettenspieler hieß Genzel. Er hatte seinen Wagen auf dem Zigeunerplatz stehen (heute Rosenbeet von Ostrhauderfehn aus gesehen). Seine Tochter Marie heiratete den Puppenspieler Martin Kettner. Sie bewohnten dann das Haus von Gumperts, einem Sögeler Lederwarenhändler jüdischen Glaubens. Die Familie Gumperts hatte wegen der damaligen politischen Verhältnisse fliehen müssen (wir würden heute von Asylanten sprechen), und aus diesem Grunde stand das Haus zum Verkauf. Frau Kettner, geb. Genzel, verstarb erst letztes Jahr und wurde auf dem Friedhof an der 1. Südwieke beerdigt.
[ Siehe auch Fehntjer Kurier vom 26.11.1987 'Rätselauflösung' ]
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Amdorf (hei). - Am Sonnabendvormittag tagte die Arbeitsgruppe
Familienkunde der Ostfriesischen Landschaft im Amdorfer
Dörfergemeinschaftshaus. Hier am alt-ehrwürdigen Fährweg eröffnete
Landschaftsrat Hajo Jelden die Sitzung und begrüßte neben den über 50
Mitgliedern auch die politischen und kirchlichen Offiziellen. Er selbst stehe an
einer geschichtsträchtigen Stelle, denn vor 200 Jahren habe in Amdorf ein
Pastor Hajo Jelden gepredigt.
Sodann erfolgte die Begrüßung durch Bürgermeister Pietreck und durch den
örtlichen Pastor Michaelis. Auch Erhard Schulte aus Schlangen, der nunmehr den
22. und 23. Band der Ostfriesischen Ortssippenbücher herausgeben konnte, habe
enge persönliche Bezüge aus der Nachkriegszeit zu diesem Dorf im
Zweistromland. Und so war es fast schon ein großes Familientreffen, als dann
noch der ehemalige Bürgermeister und Sielrichter Hermann Jelden aus Potshausen
seinen Vortrag über das ostfriesische Mesopotamien begann.
Amdorf liegt bei Bonnhusen, so könnte man sagen. Denn hier hat schon vor 2000 Jahren eine Besiedlung stattgefunden. Nur hat dies nichts mit unserer jetzigen Hauptstadt Bonn am Rhein zu tun, welches sich aus dem lateinischen ,,Bona" ableitet. "Bonne" oder auch ,, Bonnette" oder ,,Bontje" sind alte ostfriesische Namen, die sich von ,,bon" gleich Bann oder Befehl herleiten. Und Amdorf sei sicherlich früher ein ,,Hamdorf", also ein Weidedorf gewesen, während sich Neuburg mit ,,bargen", in Sicherheit begeben, erklären läßt. Denn im Mittelalter fand ja bekanntlich ein Anstieg des Meeresspiegels statt, wodurch z. B. auch der Dollart entstand. Potshausen verlagerte seine Häuser nach Süden über die Leda, Filsum ging nach Norden über die Jümme, während die Hammrichbauern sich auf einen Sandhügel zurückzogen, den man dann Neuburg nannte. Nur Amdorf und Wolde sowie Barge verblieben an ihren angestammten Wohnorten. Noch viele alte Namen wurden erklärt, bevor Hermann Jelden noch aus dem Tagebuch der Lüttjemaid Antje bei Bauer Spieker erzählte.
Doch selbst das hervorragende Platt des Referenten ließ die Zeit nicht stillestehen, und nach einem Döntje von Frau Specht über die ,,Saalter Bootjers", die das Auricher Amtsblatt nach Amdorf mitbrachten, ging es in die Kirche, wo Pastor Michaelis schon mit seiner Posaune ein Lied spielte. Hier gab der frühere Pastor Werkmeister ausführliche Erklärungen, denn schließlich steht in Amdorf der älteste Abendmahlskelch Ostfrieslands. Bis 1926 waren die beiden Kirchengemeinden immer getrennt gewesen, erst danach sei es zur Zusammenlegung gekommen. Vor dem zweiten Weltkrieg habe es gemeinsame 350 Einwohner gegeben, dann mit den vielen Flüchtlingen habe sich die Zahl verdoppelt. Heute aber sind es nur noch 245 Menschen. Das stimme nachdenklich.
Anschließend gab der große Kenner ostfriesischer Kirchenkunst, Pastor i. R. Doeden, ausführliche Hinweise zum Altarbild und zur Orgel. Neben der Amdorfer von 1753 sei nur noch die Bagbander Orgel des Quakenbrücker Orgelbaumeisters Johann Heinrich Eckmann erhalten. Und Wettin, der so viele herrliche Orgeln in Ostfriesland geschaffen habe, sei ein Schüler eben dieses Eckmann gewesen.
Landschaftsrat Jelden beschloß die Tagung mit dem Hinweis, daß in der Amdorfer Kirche viele schöne Kunstwerke zu finden seien, die die Jahreszahlen 1658, 1680 und 1695 aufwiesen. Dies sei der Hinweis, daß sich nach dem 30jährigen Krieg wieder in friedvoller Zeit ein lebendiges Kulturleben entfaltet habe. Diesen Frieden gelte es auch heute zu erhalten.
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