Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
Ein Bein auf das Stövchen gestützt, in den Händen die Tageszeitung, auf dem Stuhl daneben die Teetasse - so kann man den freien Nachmittag in der herbstlichen Sonne genießen. Johann Janßen brauchte keine Betonplatten auf einer Veranda oder vielleicht sogar einen Wintergarten - nein, er war mit sich und seinem Leben rundherum zufrieden. |
"Drogerie Alheidt" steht über der Tür und auch auf dem Schild. Der Drogist Günther Alheidt aus Aurich hatte Johann Janßens Kaufmannsladen einige Jahre gepachtet. |
Später wurden die Geschäftsräume an den Drogisten Günther Alheidt verpachtet. Der konnte gut fotografieren. Von ihm stammen die meisten Fotos auf dieser Seite. Hier sehen wir Schwanette Janssen geb. Meinders in Alheidts Drogerie. |
Der erste Advent steht vor der Tür. Nun wird es Zeit, die letzten Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Noch sind die Lagerräume der Kaufmannschaft gut gefüllt. Wenn auch die meisten Tante-Emma-Läden nicht mehr existieren, so erinnern sich doch viele gern an die Zeiten, als eine scheppernde Ladenklingel ertönte, wenn man durch die Tür eintrat.
Jeder Kaufmann lebt davon, daß er gut einkauft und noch besser verkauft. Selbst wenn er ein Geschäft in einer extrem einsamen Gegend besaß, wo Hase und Igel sich "Gute-Nacht" sagen und er somit ein Verkaufsmonopol hatte, machte doch der Ton die Musik. Johann Janssen zum Beispiel war ein sehr freundlicher Kaufmann, der seine Kundschaft sofort nach dem Eintreten fragte: "Und Sie wünschen?" Das war wohl der Grund dafür, daß er den Spitznamen "Oll Sssi" erhielt. In ganz Völlen und Völlernerfehn kann man die ältere Bevölkerung nach "Oll Sssi" fragen, und sofort erhält man den Hinweis, wo er einmal gewohnt hat.
Dort am Furkeweg in Völlenerfehn, wo heute die Autostraße B 70 über abgetorfte sandige Moorflächen führt, hatte einst der Schneidermeister Diedrich Hoppe aus Leer im Jahre 1820 seinen Krämerladen mit Gastwirtschaft eröffnet. Als ehemaliger Freiwilliger im ostfriesischen Landwehrregiment hatte er für "König und Vaterland" in den sogenannten Freiheitskriegen 1811/13 wertvolle Dienste geleistet. Die Hannoverschen Behörden wußten das zu schätzen, und wenn ein solcher "Combattant" um die Genehmigung für die Konzession eines Kramhandels nachsuchte, konnte er auf jeden Fall damit rechnen, jedem anderen Bewerber vorgezogen zu werden.
Das Geschäft lief gut. Die kleine Hökerei gleich neben der Landstraße nach Papenburg fand bei den Arbeiterfamilien Anklang. Im Dezember 1821 heiratete er die Schwantje Riegers Frey, und wenige Jahre später entstand das kleine Dwarshuus mit den Schornsteinen an jeder Giebelwand, wie wir es von anderen Dörfern und Fehnen her kennen.
Das Kaufmannsehepaar Hoppe hatte eine Tochter Hinderika, die mit dem Gastwirt Hermann Groeneveld aus Bingumgaste verehelicht wurde. Deren Tochter Johanne Schwantjeline Groeneveld wurde mit Coerd Johann Janssen verheiratet, einem jungen Mann aus einer alteingesessenen Kaufmanns- und Müllerfamilie des Overledingerlandes. In der weiblichen Ahnenlinie lassen sich die bekannten Müllerfamilien Steenblock und Tjebbend Müller nachweisen.
Coerd Johann Janssen wurde nur "Johann" gerufen. Geboren im Jahre 1875 in Backemoor, erlernte er dort bei seinem Vater auf der Mühle das Müllerhandwerk. Dann wurde er zwischenzeitlich Soldat im Kaiser-Franz-Garde-Grenadierregiment Nr.2 und setzte anschließend seine Tätigkeit in der Backemoorer Mühle fort bis zu einem Unfall, der sein linkes Bein arg beschädigte.
Im Jahre 1905 ehelichte er die schon oben erwähnte Johanne Schwantjeline Groeneveld und zog in das Völlenerfehner Kaufmannshaus am Furkeweg ein. Johann Janssen wurde nun Kaufmann mit Leib und Seele. Während der bitteren Jahre des 1. Weltkrieges von 1914 bis 1918 gelang es ihm immer wieder geschickt, die notwendigen Grundnahrungsmittel zu beschaffen. Seine Kundschaft wurde auch in diesen Kriesenzeiten gerecht und unparteiisch bedient.
Auch während der Inflationzeit hielt er an diesem Grundsatz fest, als der Teepreis von 40 Pfennig per Viertelpfund auf die astronomische Höhen von etlichen Billionen Mark getrieben wurde. Und nicht anders verhielt sich der Kaufmann Johann Janssen, als das 3. Reich begann und manchem freiheitlich denkenden Menschen die Luft zum Atmen nahm. Selbst während des 2. Weltkrieges, als der Tee wieder rationiert wurde und Ostfriesland das einzige Gebiet Großdeutschlands war, wo es Tee auf Marken gab, hatte "Oll Sssi", wie er mittlerweile genannt wurde, immer noch ein kleines Tütchen mit dem begehrten schwarzen Tee zur Hand.
Sein Teehandel war so bekannt, daß von weit her Postkarten geschickt wurden an den Kaufmann Johann Jannsen in Völlenerfehn bei Papenburg in Ostfriesland. "Schicken Sie mir bitte umgehend sechs Pfund Tee", schrieb der Radiospezialist O. Wetzel aus Bottrop am 5.November 1934, und Roßschlächter Tamme Mettjes aus Neumünster bat am 4. Februar 1939 "freundlichst um fünf Pfund Tee wie üblich". Wilhelm Mattfeld aus Drebber bei Diepholz wünschte am 12.Juli 1934 weitere fünf Pfund Tee, denn "wir kommen noch nicht aus". Sophie Wiechers aus dem gleichen Ort wollte neben drei Pfund Tee noch gern einen Sahnelöffel für 20 Pfennig zugeschickt bekommen.
Und so ging es weiter mit der Familie O. Ploeger aus Osnabrück, der Familie Karsten und Schmitt aus Badenermoor, Kreis Verden ("den Tee, den wir immer bekommen!"), der Familie Behnen aus Aschendorf, der Familie Wilhelm Behnen aus Soest, der Familie Johannes van Rahden aus Wiemersdorf bei Bad Bramstedt, die auf dem großen Gutshof Schmiedekamp bei Grossenaspe arbeitete, der Familie Etzard Düpont aus Twistringen und dem Freund Bernhard Focken aus Bad Essen, der immer zwei Pfund Tabak und auch Kandis mitbestellte. Eilert Wykhoff, der in Wiemersdorf eine Müllerei und Getreidehandlung betrieb, schrieb auf seine Karte ganz kaufmännisch: "Bitte sofort sechs Pfund Tee wie gehabt, aber nicht schlechter!" Das war kurz vor Kriegsausbruch im Jahre 1939.
Der Krämerladen und die Gastwirtschaft von Johann Janssen wurden aus Altersgründen in den fünfziger Jahren an Kannegießer verpachtet. Dann zog dort der Drogist Günther Alheidt aus Aurich ein, bevor Kaufmann Neumann das Geschäft übernahm. Im Jahre 1970 wurde das geschichtsträchtige Haus abgerissen. Niemand hat dafür gesorgt, daß die scheppernde Ladenklingel erhalten blieb. Wo mag sie gelandet sein ?
Mit vollbeladener Karre strebt „Oll Sssi“ auf dem betonierten Furkeweg seinem eigenen Haus entgegen, um den Unrat auf dem Misthaufen zu kippen. |
In einer echt ostfriesischen Küche feiert Johann Janßen seinen Geburtstag. "Sich regen bringt Segen" steht auf dem Handtuchhalter neben dem Stangenherd. Zufrieden schaut das Geburtstagskind aus seinem Hörn auf den gedeckten Tisch. "De Koek hett lecker schmeckt", sagt er zu Henni Look und schaut auf das gefüllte Weinglas. Jetzt kann der gemütliche Teil des Festtages beginnen. |
Selbst in hohem Alter von fast neunzig Jahren ließ es sich Johann Janßen nicht nehmen, die Ränder der neuen Betonstraße eigenhändig sauber zu halten. Rechts im Garten das "Hüürhuus" von Kaufmann Janssen, links der Neubau von Posthalter Kannegießer. |
Mittlerweile hatte Kaufmann Neumann das Geschäft gepachtet und ein zweites großes Schaufenster anbringen lassen. Im hinteren Teil des Anwesens befand sich die Post und das Völlenerfehner Gemeindebüro. |
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