[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 31.10.1991


 

Im Sommer durch den Kaiser-Wilhelm Kanal

 

Ein paar Jahre später liegt der Dampfer „Elise Schulte“ der Reederei Schulte und Bruns im Emder Erzhafen. Die Ladung ist gelöscht, jetzt muß Kohle gebunkert werden für die nächste Fahrt zu einem der schwedischen Erzhäfen Lulea oder Skelleftea.


 

Die Kinder Hinrich und Georg Reents durften im Sommer 1931 mit ihrer Mutter eine Reise der „Elise Schulte“ mitmachen. An Bord in Emden stellten sich dem Hafenfotografen von links: Ein unbekanntes Ehepaar, welches eine Urlaubspassage auf dem Dampfer gebucht hatte, dann mit Pfeife der 1. Offizier Hermann Weers aus Ostrhauderfehn, Hinrich in der „Bumbam“, daneben Georg, dahinter ein unbekanntes Besatzungsmitglied, vorn Mutter Gesine geb. Gewald, hinter ihr Chief „Papa“ Henken aus Papenburg und rechts mit dem Fernglas der Vater, Ehemann und Kapitän Lambertus Reents.


 


 

„Ich habe dazu beigetragen, die deutsche Flotte um ein schönes Schiff zu vermehren“

 

Das Paßbild vom damaligen Steuermann und 1. Offizier Lambertus Reents aus seinem zweiten Seefahrtsbuch.


 

Es ist Herbst geworden. Die ersten Nachtfröste zeigten an, daß es der kommende Winter ernst meint mit seiner Warnung. ,,Herr: es ist Zelt", schreibt der Dichter Rainer Maria Rilke. ,,Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten. auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los." Und zum Schluß heißt es: ,,Wer. jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.

Wir sitzen gemütlich in der warmen Wohnküche. Nebelbänke und Nachtfröste können uns nicht viel anhaben. Selbst dem zweiten Herbststurm, ,,Nora" genannt, ist nach wenigen Tagen die Puste ausgegangen, allerdings nicht ohne eine Schneise von Verwüstungen zu hinterlassen. Vor Sylt, so zeigte es das Fernsehen, hat das Sturmtief ,,Nora" mit seinen 100 Stundenkilometern das Küstenmotorschift ,,Dina" auf Grund gesetzt. Die drei Mann Besatzung wurden von einem Hubschrauber gerettet.

Wer solche Nachrichten liest oder sieht, denkt vielleicht an den Ehemann oder die Kinder, die mit dem Auto unterwegs sind auf Deutschlands mittlerweile völlig verstopften Straßen. Kommen sie sicher nach Hause? Wird ihnen nichts passieren?

Vor gar nicht einmal sechzig oder achtzig Jahren dachten die Fehntier Ehefrauen und Mütter ähnlich. Nur saßen die Männer jener Zeit nicht am Steuer eires Autos oder Lkw, sondern sie befanden sich auf See. Haushohe Wellen brandeten gegen den Rumpf eines schwer arbeitenden Schiffes, das versuchte, in der aufgewühlten Nordsee seinen Hei­mathafen unbeschadet zu erreichen.

Einer dieser Seeleute von damals war Lambertus Reents aus Ostrhauderfehn. Im Jahr 1877 wurde er geboren, ver­schrieb sich mit seinen 14 jun­gen Lenzen der christlichen Seefahrt, bestand 1895 sein Maschinistenexamen in Papenburg, wurde 1898 Steuermann und erwarb im Jahre 1903 sein Kapitänspatent. Einzig erhalten geblieben ist das ,,Zeugnis über die Schiffs-Dampfmaschinenkunde", welches Lambertus Reents aus Östrhauderfehn am 15. März 1907 in Geestemünde für das erfolgreiche Bestehen dieser Sonderprüfung erhielt.

Danach schipperte er nicht etwa auf den veralteten Seglern mit der verkitschten Seefahrerromantik, sondern fuhr ab 1915 als 1. Offizier auf dem Dampfschift ,,Hornsee" in kleiner Fahrt, hauptsächlich zwischen den Nord- und Ostseehäfen bis 1919 hin und her. Das zweite Seemannsbuch von Lambertus Reents ist glücklicherweise ebenfalls erhalten geblieben. Sein Monatslohn betrug 180 Reichsmark, in Worten: einhundertachtzig Mark im Monat, als 1 Steuermann! Dafür brauchte er im 1 Weltkrieg aber nicht als Soldat zu dienen.

Die nächste Eintragung in diesem Seefahrtsbuch weist ihn als 1. Offizier auf der ,,Europa aus, die ab 1922 in der Erzfahrt nach Schweden eingesetzt war. Sein Lohn betrug jetzt monatlich4200 Mark - aber es war ja Inflation! Wer kann sich heute noch vorstellen, welche Billionenbeträge der 1. Steuermann Lambertus Reents in den Ietzten lnflationsmonaten des Jahres 1923 verdiente? Lambertus Reents war mittlerweile Kapitän bei der Emder Reederei Schulte & Bruns geworden. In ihrem Auftrag befand er sich 1927 in Italien, um dort ein Schiff zu kaufen. Er schrieb am 31. März 1927 nach Hause: ,,Liebe Frau und Kinder. Endlich habe ich mal Zeit gefunden, um Euch einige Zeilen zu schreiben. Wir sind von Genua nach Bona, Nordafrika, gefahren, laden hier Erz für Emden, werden für etwa neun Tage liegen müssen. Ich hoffte, um Ostern bei Euch zu sein, aber davon wird nichts.

Ich habe eine schwere, aufregende Zeit hinter mir, denn es ist in Italien nicht so einfach, ein Schiff zu kaufen, denn es han­delt sich um ein Kapital von 650 000 Mark. Wenn man dabei

nicht aufpaßt, kann man die ganze Reederei zugrunde richten. lch war abends todmüde, denn meistens war es acht bis halb neun Uhr abends, bevor ich frei war. Dann das viele Bergsteigen und meistens vier Treppen hoch in den Häusern - ich habe etwa 12 Pfund abgenommen. Aber das schadet nichts, ich fühle mich jetzt viel leichter und kann laufen wie ein Hase.

Am 28. März hat das Schiff die deutsche Flagge erhalten und führt nun den Namen „Elise Schulte“. Somit habe ich dazu beigetragen, die deutsche Flotte um ein großes, schönes Schiff zu vermehren. Es läuft etwa 10 Seemeilen stündlich und hat 2700 tons Wasserballast. Mit diesem Schiff treiben wir nicht so leicht auf den Strand.

Auch die Wohnungen sind sehr nett. Ich habe eine ganze Etage für mich allein. Selbst der 1. Offizier hat einen schönen Wohnraum und ein Schlafzimmer apart. Hermann Weers ist der 1. Offizier. Es ist mit ihm gut umzugehen, und ich hoffe, mit ihm gut auszukommen.

Nach den Aufregungen in Genua habe ich fast kein Auge mehr zu getan. Es lief alles gegen. Als der Kauf soweit zum Abschluß gekommen war und ich den Verkaufsvertrag unter-zeichnen wollte, kam vom Schiff die Nachricht, daß es von seinen Vertauungen ausgerissen und mit fünf anderen Dampfern kollidiert sei. Unser Schiff hat den meisten Schaden erlitten. Was das wieder für neue Aufregungen für mich waren, könnt Ihr Euch wohl denken."

Dieser Brief schloß mit dem Hinweis, daß Kapitän L. Reents hoffte, in etwa 20 Tagen wieder in Emden zu sein, was auch eintraf. Hinrich Reents erinnert sich noch gut an seine erste Fahrt auf der ,,Elise Schulte". Im Alter von neun Jahren durfte er mit seinem Bruder Georg in Emden die acht Meter hohe Jakobsleiter hinaufklettern, um in den Sommerferien eine Reise durch den Kaiser-Wilhelm Kanal bis zum schwedischen Erzhalen Lulea zu machen.

Was gab es da nicht alles zu bestaunen an Bord: die riesige Antriebswelle im Maschinenraum, wo man sich vor dem unheimlichen Getöse die Ohren fest zuhalten mußte. Oder die pechschwarzen Trimmer im Helzungsraum vor den vier geöffneten, glutroten Kesseltüren der Dampfmaschinen. Aber es gab auch angenehmere Dinge zu bestaunen: Wenn die Seitenteile der Tische hochgeklappt waren, gab es Essen. Das schmeckte natürlich nur, wenn man sich mittlerweile an den Seegang gewöhnt hatte. Dem Koch machte das alles nichts aus. Er wendete die Koteletts für die 32 Mann starke Besatzung mit der bloßen Hand in der heißen Pfanne. Es gab sogar einen Steward an Bord, aber wer wußte damals schon, wie man dieses Wort schrieb?

Wird fortgesetzt


 

Ein romantisches Bild aus dem Emder Hafen, etwa um 1927, als dort die „Elise Schulte“ zum ersten Mal anlegte. Heute kann sich das niemand mehr vorstellen, daß dort einst Pferdefuhrwerke, sogar dreispännig, den „Roll-on-roll-off-Dienst“ versahen.


 

In allen Häfen der Weit gab es Maler, die den Kapitänen fertige Hintergrundbilder anboten. In kürzester Zelt schafften sie es, das jeweilige Schiff mit Ölfarben vor eine Felsenlandschaft oder auch allein zwischen Himmel und Wasser aufzupinseln. Natürlich gegen ein gutes Salär, versteht sich. Zuhause hingen diese sogenannten ,,Kapitänsbilder" dann über der Wohnzimmertür. Heute sind diese Gemälde bei Sammlern hochgeschätzte Kunstobjekte, und es ist gar nicht mehr so einfach, solch ein Werk zu erwerben. Dieses Ölbild der ,,ElisSchulte", vermutlich von einem schwedischen Hafenmaler angefertigt, hat die Wirren der Ostrhauderfehner Nachkriegszeit unbeschadet überstanden.

 


 


 

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