[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 17.10.1991

 

Kaiser-Wilhelm-Büste stand im Büffet

 

Das Winterfest des Schützenvereins begann immer mit einer großen Gaudi. Neben dem Schwein, welches zu diesem Zeitpunkt fertig gemästet sein Leben lassen mußte, war es die Aufgabe der Männer, die Kartoffeln für das Festmahl zu schälen. Dabei wurden durchaus auch die Schlachtermesser benutzt, und die artigen Hausfrauen konnten sich oft das Lachen nicht verkneifen, wenn "ihr Kerl" mit der bunt geblümten "Schute" von den Kartoffeln mehr wegschnitt als schälte. Von links: Rikus Evers, Heinz Peper, Ostrhauderfehn, Bernhard Willms, Dirk Folkers und Hildegard Janssen.

 

 

 

 

Jedes Fest war in Langholt willkommen. Am 11.11. um 11 Uhr 11 wurde die Karnevalssaison eröffnet, und im nächsten Jahr eine Woche vor dem Rosenmontag ging es dann rund im Saal des Kaiserkrugs. Hinter dem alten Bierzapfen steht Bernhard Welp, dann Hildegard und Marianne. Auf dem Schild steht: "Kredit nur an 80jährige in Begleitung ihrer Eltern."

 

 

 

 

Brandhorn und Viehwaage mußten auch bedient werden

 

Anita und Hildegard vor der elterlichen Gaststätte "Kaiserkrug" in Langholt.

 

 

 

Als wir vor einigen Wochen die Werbeseiten für die Langholter Festwochen gestalteten, wurde versehentlich ein Bild verwechselt. Nicht die Piepersche Gaststätte wurde abgedruckt, sondern der "Kaiserkrug". Wer nun glaubt, daß ein Aufschrei durch die Langholter Bevölkerung ging, der irrt. Zu viele neue Einwohner haben in Langholt gebaut, ein Haus gekauft oder gemietet. Doch noch gibt es Langholter "Ur-Einwohner", die sich auskennen, und da "Kaiser-Anna" gerade 82 Jahre alt geworden ist, gibt uns dies den aktuellen Anlaß, einmal über den Langholter "Kaiser-Krug" zu berichten.

Es gibt sicherlich noch genügend Ehepaare, die sich gern an ihre Hochzeitsfeier in dieser Gaststätte erinnern. Und es dürften auch eine ganze Menge Ehepaare sein, die die ersten zarten Liebesbande oder eine flüchtige Bekanntschaft auf einem sonnabendlichen Tanzball im Kaiserkrug gemacht haben. Ein Großteil der Gäste kam aus Burlage und aus Ostrhauderfehn.

Der "Kaiserkrug" ist den älteren Einwohnern noch als "Jan Uden Schmidt" bekannt. Hierüber wollen wir aber erst in einer weiteren Folge berichten. Von der Witwe des Jan Uden Schmidt kaufte nach dem 2. Weltkriege Ende der fünfziger Jahre ein Herr Bontjer die bekannte Langholter Gaststätte. Er blieb aber nur ein Jahr. Anschließend pachtete sie der Schiffer und Landwirt Wilhelm Janssen ab Mai 1959. Dieser durfte bleiben, als die Immobilie in den Besitz von Kapitän Rikus de Carnée überging. Im Jahre 1964 wurde das gesamte Gebäude und die Viehwaage vollständig auf Kosten des Besitzers de Carnée erneuert. Der heutige Komplex entstand.

Wie der damalige Wirt "Kaiser Wilhelm" zu seinem Namen kam ? Nun, das ist gar nicht so schwer zu erklären. Wer zum Beispiel viel in alten Kirchenbüchern herumschmökert, dem fällt ab und zu auf, daß ein König oder Kaiser als Pate genannt wird, so ähnlich, wie das heute noch üblich ist mit dem Herrn Bundespräsidenten. Gucken wir einmal kurz in die alten Folianten, in denen unsere Vorfahren die wichtigsten Ereignisse mit einem Gänsekiel niedergeschrieben haben.

Irgendwann im vorigen Jahrhundert hat sich der Schuhmacher-, Sattler- und Gerbergeselle Hermann Janssen aus Esterwegen gesagt: ‚Nun sind die Wanderjahre zu Ende. Irgendwo mußt du dich niederlassen, deinen erlernten Beruf ausüben und Geld verdienen'. Hermann Janssen suchte sich das alte Johanniterdorf Langholt aus. An der Kirchstraße südlich des Papenburger Weges nach Burlage hin stand ein kleines Häuschen mit drei Zimmern, den Butzen und zwei Gulfen. Aus einem Zimmer wurde nun die Schusterbude, in der auch Pferdegeschirre repariert und angefertigt wurden.

Irgendwie konnte man damals in Langholt so viel Geld verdienen, daß es sogar zum Heiraten reichte. Mit Maria Feldkamp hatte unser Schuster Hermann Janssen sieben Jungen und ein Mädchen. Als das siebente Kind am 25.Februar 1906 geboren war, erhielt es die Patenschaft des damaligen Kaisers Wilhelm II. und wurde nach ihm benannt. Aber das haben wir bereits oben erklärt.

Wilhelm Janssen war ein gesunder Bub. Er entwickelte sich gut, und nach der Schulzeit ging er, wie so viele Schulkameraden vom Fehn auch, als Schiffsjunge zur See, denn Schuhmacher wie sein Vater wollte er nicht werden. Bei Kapitän Meinert ter Veen erlernte Wilhelm das Einmaleins der christlichen Seefahrt. Da das Leben auf den alten Windjammern jedoch reichlich lebensgefährlich war, entschloß sich der junge Bursche zu einem weniger aufregenden Job als Kahnschiffer.

Bei der WTAG verdiente Wilhelm fortan sein Geld auf den gut ausgebauten Wasserstraßen in Norddeutschland. Natürlich heiratete auch er. Und damit alles "in der Familie" blieb, war die Auserwählte eine Tochter des Ehepaares Lind, deren Vorfahren ebenfalls aus Esterwegen stammten. Zur Hochzeit im Jahre 1936 gab es eine Wanduhr vom Langholter Radfahrerverein "Tempo".

Als Wilhelm Janssen nach dem Krieg wegen seines Magenleidens nicht mehr an Bord gehen konnte, wurde der Lebensunterhalt für die immer größer werdende Familie mit einer kleinen Landwirtschaft in der Westwieke erarbeitet. Doch auf dem sauren Moorboden ließen sich keine Reichtümer erwirtschaften. So versuchte er sich als Wirt. Er  pachtete im Mai 1959 die Gaststätte des verstorbenen Jan Uden Schmidt. Und als Kapitän Rikus de Carnée alles kaufte, sagte dieser zu Wilhelm: "Du blievst drin !" Kaiser Wilhelm war's zufrieden. Doch grantig konnte er werden, wenn jemand in die Gaststätte kam und grüßte: "Mojn, Willem". Dann fauchte er zurück und brummelte: "Mit Gruß, Kaiser !" Und damit das auch jeder kapierte, wurde eine Kaiser-Wilhelm-Büste aus Porzellan angeschafft und ins Büfett gestellt.

"Mit Gruß Kaiser" wurde bald zum geflügelten Wort. Die Leute kamen auf ein Bier vorbei, und wenn es viele Gäste wurden, konnte der "adelige" Gastwirt seine Töchter ganz schön scheuchen. Alles, was aus dem südlichen Saterland und vom Hümmling kam, mußte die Brücke über die Rote Riede beim Kaiserkrug benutzen. Aber nicht nur die Reisenden waren gern gesehene Gäste. Schon bald erklangen am Wochenende rhythmische Melodien im neuen Saal, wenn das "Rio-Quartett"  mit den Langholtern Walter Willms, Wille Plümer und Hemmi Bollen sowie Hartmut aus Leer aufspielte.

Viele Vereine hatten ihr Domizil beim "Kaiserkrug": der Kaninchenverein, der Reichsbund, der damals (1958) neu gegründete Briefmarkenverein unter Menno Buchwald, die Feuerwehr und natürlich die Schützen. Wenn Schützenfest war, dann ging es rund auf dem Marktplatz beim "Kaiserkrug". Der Viehmarkt begann am Sonnabend schon früh um sieben Uhr, und das ganze Fest war für die Kaiserfamilie mehr als anstrengend.

Schon am frühen Montag morgen standen die ersten Bauern vor der Hintertür und klingelten, um ihr Schwein auf der Viehwaage wiegen zu lassen. Dann schauten die vereidigten Kaisermädchen mit ganz kleinen Augen genau auf den blankgeputzten Waagebalken, um ja die richtigen Zahlen abzulesen.

Nie gab es einen freien Tag. Manchmal waren es zwei bis drei Hochzeiten in der Woche, von "silbern bis grün", mit 50 oder 180 Personen, und sogar ein Sportverein wurde im Kaiserkrug gegründet, der SV Langholt, der später zur Gaststätte Pieper umzog, weil dort mehr Land für Sportplätze zur Verfügung stand. In der Küche hatte "Frau Kaiser" das Sagen, und Frau Wallschlag half aus. Einen Ruhetag gab es nicht. Nur am Heiligen Abend war die Gaststätte ab 12 Uhr geschlossen.

Viel gäbe es noch zu erzählen. Über die Theaterstücke, die im Winter gespielt wurden. Oder über das "Pingeln, du dumme Deern!" Oder über das Brandhorn, das Hildegard so kräftig blies, daß Eilert Loots am Freitagsweg es noch hören konnte. (Die Langholter Feuerwehr gehörte schon damals zur schnellsten im Overledingerland.) Im November 1970 wurde der Kaiserkrug geschlossen. Der "Kaiser" war schon einige Zeit tot, und für die Frauen wurde die Arbeit neben dem eigenen Familienleben zuviel. An das "Mit Gruß Kaiser" erinnert nur noch eine vergilbte Postkarte. In der Mitte steht der Gastwirt stolz neben seinem Pferd, der Fanny, auf der sein "Kronprinz" Wilhelm sitzt. So mancher mag sich nach dem Lesen dieses Berichtes wünschen: "Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben..."

 

 

 

Eine letzte Aufnahme vom Hinterhaus vor dem Abriß im Jahre 1964. Ob im Mauerwerk dieses etwa um 1895 gebauten Hauses noch Klostersteine mit vermauert worden sind, ließ sich nicht mehr feststellen. Auf jeden Fall hat das angeputzte weiße Vorderhaus noch den alten Giebelschornstein, und neben der kleinen Hintertür erkennt man noch die Jauchegrube. Rechts neben dem Auto ist heute das Feuerwehrgerätehaus.

 

 

 

 

Spätsommerliches Stelldichein im Eröffnungsjahr 1959 vor dem "Kaiserkrugs" in Langholt. Von rechts: Carl Tinnemeyer, Hanne, der "Kaiser" und seine Frau Anna, Hildegard und Ulerk Junker.

 

 

 

 

Oma und Opa Lind, die Schwiegereltern vom "Kaiser". Johann Lind war mit vier Jahren von Esterwegen auf das neue Rhauderfehn in die 1. Südwieke gekommen. Später heiratete er Gerhardine van Wahden vom damaligen Klosterfehn, deren Vater, Kapitän Jan Dirk van Wahden, sich als einer der ersten am Ende der 3. Südwieke niedergelassen hatte. Seine Enkeltochter Anna feierte am vergangenen Montag ihren 82.Geburtstag.

 

 

 

 

Erntefest 1959 in Klostermoor. Der "Kaiserkrug" aus Langholt schickte einen eigenen Wagen, um so Reklame für die vor einem Jahr neu eröffnete Gaststätte zu machen. Pferd und Wagen waren von Herbert Preyt geliehen, der mit seiner Frau Gretel vorn auf dem Wagen sitzt. Bei der Dekoration hatte Helmut Meißler "düchtig hulpen". Links steht Kaisers Tochter Marianne mit Helmut Rosenboom. Im Hintergrund des Kaisers eigene Kutsche, die er selbst lenkt. Neben ihm sein "Kronprinz" Willi. Hier drehen die Wagen von der Papenburger Straße in die 1. Südwieke Verlängerung ein. Der Wagen "Kaiser-Krug" erhielt damals den 1. Preis.

 

 

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