Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
Onkel Detert und Tante Hanna vor ihrem Haus in Flachsmeer. Links mit dem Zicklein Schwantje, dann Anna. Vor der Mutter der kleine Heinrich, und rechts neben seinem Vater steht Berend. Auf dem Pferd sitzt Andreas. Onkel Detert war einer der ersten Siedler im Flachsmeerer Teil des Oberledingermoores, der ein Pferd hatte. |
In der Nacht schlief ich bei Stinelies in der Butze. Damals gab es in Ostfriesland nur eingebaute Schrankbetten zwischen Küche und Gang. Sie waren tagsüber mit Türen verschlossen. Wir mußten erst auf einen Stuhl und dann ins Bett hineinsteigen. Die Butzentüre blieb des nachts offen.
Papa mußte am andern Tag schon früh wieder zurückfahren, und Netti weinte so lange, bis er sie wieder mit nach Hause nahm. Bernhard war von seinen Verwandten abgeholt worden. Ich blieb bei Tante Stientje und war "Dortje, de Dochter van hör süster Antje ut Lennep".
In der ersten Nacht schlief ich nicht gut im Butzenbett auf dem Strohsack. Es stach und juckte mich überall. In der nächsten Nacht wurde es dann noch schlimmer. Ich kratzte mich blutig. Morgens hatte ich den ganzen Körper voll dicker Hitzequallen. Tante Stientje behandelte sie mit Buttermilch und dann mit Penatencreme, und bald heilte alles ab. Später erfuhr ich, daß der Strohsack gar keine Schuld hatte. Ich vertrug das Steenfelder Wasser nicht (Allergie).
Meine guten Sachen blieben im Koffer. Ich zog ein dunkles Kleid an und lief barfuß wie alle anderen Kinder. Johann, der älteste, mußte den Vater vertreten, der verwundet in einem Lazarett lag. Wenn er neben dem Herd im großen Hörn saß, legte er seine Beine immer auf die Herdstange. Swantje konnte schon melken. Stienlies und ich besorgten den Abwasch und fegten die Stuben und den Gang sauber. Wir mußten aufpassen, daß die große Torfbake neben dem Herd immer voller Torfstücke war.
Dini ging ins 1. Schuljahr und frug: "Dortje, gehst du mit mir in den Taun?" Wir lachten, denn sie meinte den Garten, der in Ostfriesland "Tuun" genannt wird. Gleich vor dem Hause war die Pütte. Es war uns verboten, dort nahe heranzugehen, denn der Brunnen war sehr tief. Das Wasser war dunkelbraun. Ich dachte so bei mir, Goldmarie und Pechmarie waren wohl in solch einen Brunnen hineingesprungen, um ihre Spindel wieder herauszuholen. Auch mein Waschwasser war braunes Moorwasser. Das Wasser aus der Regenbake neben dem Haus wurde für die Wäsche gebraucht.
Wir spielten in der Sandgrube. Von dem feinen, weißen Sand ließen sich die schönsten Kuchen backen und mit Blümchen verzieren. In den krummen, niedrigen Obstbäumen hatte jedes Kind seinen Stammplatz. Im Backhaus wurde alle zwei Wochen das Schwarzbrot gebacken. Bei Regenwetter war es unser Spielhaus. Es gab fast jeden Mittag grüne Bohnen zu essen, die ich aber nie leid wurde. Tante Stientje pflockte jeden Tag große Körbe voll, und was die Familie nicht essen konnte, das mußten wir mit einer Stopfnadel auf eine lange Schnur ziehen. Die Schnüre wurden dann wie Girlanden zum Trocknen unter die Balkendecke in der Stube aufgehängt. Hier hingen auch die vom letzten Schlachten noch gebliebenen Mettwürste und der Schinken. Die getrockneten Bohnen wurden im Winter wieder aufgeweicht und gegessen.
Etwas weiter hinter dem Köhlerhaus wurde Torf gestochen. Männer standen im Torfmorast und stachen mit einem "Eenkrieger" Torfstücke so groß wie Briketts aus dem schwarzen Moor. Diese wurden dann aufs Feld gefahren und zu kleinen Stapeln zum Trocknen aufgestellt. Das war unsere Aufgabe. Alle paar Tage mußten die Torfstücke umgelegt werden, damit der Wind und die Sonne von allen Seiten herankonnten. Später wurden die getrockneten Torfstücke dann zu großen Bülten aufgestapelt und ein Teil davon verkauft.
Sonnabends wurden wir von Swantje in dem großen Holtbottich "gepultert". Dieses Badefest machte uns riesigen Spaß. Nach der Kopfwäsche flocht Swantje uns die Haare in ganz stramme Zöpfe, damit wir am folgenden Sonntag "moje Krüllerhaar" hatten.
Vier Wochen waren schnell um, und nun sollte ich noch zwei Wochen zu Tante Hanna und Onkel Detert, die am andern Ende des Dorfes wohnten. Onkel Detert hatte ein Pferd. Mit seinem Wagen fuhr er morgens schon sehr früh die Milchkannen aus dem Dorfe zur Molkerei. Er hatte auch ein Telefon. Es hing an einem großen Kasten an der Wand. Wenn man an der Kurbel drehte, klingelte es. Mein Vetter Hein, der genauso alt war wie ich, sagte nichts. Er zeigte mir draußen einen Igel, den er in einer Sandkuhle mit einem Brett darüber gefangenhielt. Ich hatte noch keinen lebendigen Igel gesehen und staunte.
Die kleine Kusine Hanni lief immer hinter ihrer Mutter her und versteckte sich unter ihrer Schürze. Tante Hanna war auch eine Schwester von Mama. All ihre Arbeit tat sie im Laufschritt. Sie war sehr mager. Onkel Detert hatte eine Trompete. Er war im Landwehr- und Kriegerverein. Die Trompete mußte immer spiegelblank geputzt sein. Hein und ich machten dies nicht gut genug.
Ich schlief mit Vetter Hein im großen Butzenbett. Da taute er auf und wollte dann aber auch alles von mir wissen: von zu Hause, aus der Schule, wie breit der Rhein sei und wie hoch der Kölner Dom. Dabei hatte ich den Rhein überhaupt noch nicht gesehen. Wenn wir uns morgens ins Bett stellten, konnten wir die gelben reifen, süßen Pflaumen vom nahen Baum pflücken. Vom Bett aus sah ich auch die große Standuhr mit dem schönen bunten Zifferblatt. In eine solche Uhr war sicher einmal das Geißlein gekrochen, als der böse Wolf kam und alle die andern Geißlein gefunden und gefressen hatte.
Am Tage mußten Hein und ich auf die Kühe aufpassen. Vorher stopfte er sich die Hosentaschen und mir die Schürze voll reifer Birnen. Auf der Weide legten wir uns auf einer alten Decke auf den Bauch, die Beine hoch. So konnten wir am besten auf die Kühe aufpassen. Die Weide war von Wassergräben eingefaßt. Wenn eine Kuh zu nahe an den Moorschlot ging, sprangen wir hoch und jagten sie zurück. Hein schimpfte und fluchte dabei fürchterlich. Später war er sogar der "Düwel". Er schwang die Decke hoch über dem Kopf und wollte mich fangen. Danach ging es umgekehrt und ich war die Teufelin. So schnell wie Hein konnte ich aber doch nicht laufen. Er hatte eine dicke Hornhaut unter den Füßen und spürte die Stoppeln und Disteln nicht.
Abends durfte ich manchmal zu Onkel Detert auf den Wagensitz klettern. Wir fuhren weit hinaus auf die Weiden, um Gras für die Kühe zu holen. Er sprach dann hochdeutsch mit mir. Er zeigte mir seine Wiesen und Äcker und das große weite Moor. Es fängt gleich hinter Flachsmeer an und dehnt sich bis zum Horizont hin aus. Sie nennen es das Oberledingermoor.
Auch bei Tante Hanna und Onkel Detert wurde Schwarzbrot gebacken und der Teig am Abend in einem großen Backtrog, der aussah wie ein Sarg, vorgesäuert. Am nächsten Tag zog Onkel Detert seine Holzschuhe und Socken aus, wusch sich gründlich die Füße und stampfte dann in dem Brotteig herum, damit dieser gründlich durchgemengt wurde. Ich sah zu und dachte, dies Brot würde ich wohl nicht essen. Als es am Abend aber nur Buttermilchbrei gab, den ich ganz und gar nicht mochte, da war ich froh, als Tante Hanna mir eine Schnitte frischgebackenes Schwarzbrot mit Butter und sogar noch etwas Zucker darauf gab. Es schmeckte sehr gut!
Nach zwei Wochen kam Papa und holte Bernhard und mich nach Lennep zurück. In den ganzen Ferien hatte ich Bernhard nur einmal von weitem gesehen.
Noch um 1910 mußten die Menschen aus dem Westoverledinger Gebiet entweder nach Papenburg oder nach Jhrhove, wenn sie mit der Eisenbahn fahren wollten, die 1867 als sogenannte "Westbahn" von Rheine nach Emden gebaut worden war. Dies war ein mißlicher Zustand, der sich nicht nur für den Personenverkehr, sondern gerade beim Güterverkehr störend bemerkbar machte.
Die Entfernung zwischen Papenburg und Jhrhove beträgt etwa zehn Kilometer. Wegen des immer stärker werdenden Zugverkehrs mußte die Eisenbahnverwaltung bereits nach der Jahrhundertwende bei dem im Ortsteil Steenfelderfehn gelegenen Wärterposten eine Signalstelle einrichten, die im Zuge des etwa 1907 erfolgten zweigleisigen Ausbaus der Strecke nunmehr in eine moderne Blockstation umgewandelt worden war.
In jener Zeit begann man sich auch sehr stark fr die Einrichtung eines zusätzlichen Haltepunktes zu interessieren, für den die Eisenbahnverwaltung selbstverständlich bestimmte Voraussetzungen erfüllt wissen wollte. Ein aus der Bevölkerung vorgetragenes Argument war der rege Arbeiterverkehr aus Steenfelderfeld, Flachsmeer und Steenfelderfehn zu den Papenburger Produktionsstätten, wobei es noch zu berücksichtigen galt, daß sich die Papenburger Betriebe fast alle in der Nähe der dortigen Bahnstation befanden.
Der Vorschlag, eine Haltestation bei der damaligen Blockstation in Steenfelderfehn zu errichten, war keineswegs von der Hand zu weisen. Nach Anhörung der Gemeindeverwaltungen in Flachsmeer und Steenfelde entschied sich die Eisenbahndirektion in Münster aber doch für Steenfelde als Standort des Haltepunktes. Mit der Anlage der Zuwegungen, der Bahnsteige sowie des "Bahnhofsgebäudes" konnte im Frühjahr 1911 begonnen werden. Am 28.Juni 1911 erfolgte die behördliche Abnahme und offizielle Eröffnung. Die Blockstation im benachbarten Steenfelderfehn wurde aufgehoben und nach Steenfelde verlegt.
Da der Haltepunkt sehr nahe an die Bahnstation Jhrhove herangerückt worden war, ergab sich in der Fahrkartengeschichte früherer Tage der wohl einzigartige Fall, daß der Fahrpreis in der vierten Wagenklasse (so etwas gab es damals) bis nach Jhrhove nur fünf Pfennige betrug, während für eine Bahnsteigkarte der Normalsatz von zehn Pfennigen zu entrichten war.
Im August 1987 wurde das einstmals stolze kleine Bahnhofsgebäude in Steenfelde abgerissen. Eine neumodische Lichtzeichen- und Schrankenanlage ersetzt seit dieser Zeit Hauptmanns "Bahnwärter Thiel" von Steenfelde.
Der Steenfelder Bahnhof. Einer der mit einer Schürze bekleideten kleinen Jungen soll ein Hinrikus gewesen sein. |
Repro: Archiv Gem. WOL/Bleeker/Junker
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