[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 15.08.1991


 

Auch in der Schule war das ein herausragender Tag


 

Kindergeburtstag 1932 in Holterfehn. Hanni Kramer komponierte ein Stilleben vor ihre Plattenkamera:. Der Küchentisch kam nach draußen vor die Hauswand. Eine Festtagsdecke wurde aufgelegt und drei Kakaotassen geometrisch genau hingestellt. Von links: Frieda Löschen mit der Schleife Wilma Seemann und dahinter Gesine Janssen aus Ostrhauderfehn, dann Elfriede Kurrelvink und das Geburtstagskind mit dem Blumenkranz im Haar: Johanne Janssen. Weiter geht es mit Gerda Bunger, Hildegard Sanders dem kleinen Karl Kurrelvink, Georg Hinrich und Heino Seemann.


 

Am 9.September 1932 feierte Hanni Kramer ihren eigenen Geburtstag, den sie mit Hilfe eines Selbstauslösers im Bild festhielt. Im Hintergrund der kleine Hermann Kramer, dann Hildegard Sanders, Hanne Wulf, das Geburtstagskind mit dem Blumenstrauß, Gerda Bunger und Johanne Janssen.

 


 

Kindergeburtstag mit liebenswerten Kleinigkeiten.

 

Ein weiteres Bild von Hanni Kramers Geburtstag im Jahre 1932, aufgenommen mit dem Selbstauslöser ihrer Plattenkamera. Ein bißchen erinnert diese Komposition an das Elfenbild im elterlichen Schlafzimmer. Oder sollte es sogar eine Jugenstil-Variante werden ? Von links: Hildegard Sanders mit dem Ball, Johanne Janssen, sitzend Hermann und Erna Kramer, dann fangbereit Hanne Wulf und Gerda Bunger. Davor mit der gerade weglaufenden Katze Hanni Kramer selbst.


 

Kindergeburtstag - ein erinnerungsträchtiges Wort für viele Menschen in der ganzen Welt. Kaum ein Stadtkind kann jedoch ermessen, welche schönen und lustigen Kindergeburtstage hier in Ostfriesland auf dem Lande gefeiert werden konnten. Es war ein wirklicher Festtag, an dem es nicht nur kleine Geschenke und neue Sachen zum Anziehen gab. Auch in der Schule war das ein herausragender Tag. So entsinnt sich Anton Hensmanns, heute 86 Jahre alt, daß er damals zusammen mit seiner Zwillingsschwester ein dunkles Wollband um den Oberarm geknüpft bekam.

Jeder Lehrer und später dann auch die Lehrerinnen hatten ihr eigenes Geburtstagsschema. Das ging vom Lied, welches sich das Geburtstagskind aussuchen durfte, bis zur Freistellung von den üblen, gefürchteten Hausaufgaben. Manchmal bekam das Geburtstagskind von zu Haus Bonbons mit, die es nach eigenem Gutdünken (und dem Wohlverhalten der Mitschüler/innen) während des Vormittags verteilte. Es gab Kinder, die recht unglücklich und traurig waren, wenn ihr Geburtstag auf einen Sonntag fiel, da sie nun nicht im Mittelpunkt eines doch oft recht düsteren Schulalltags stehen konnten.

Am Nachmittag kamen die eingeladenen Gäste. Jedes Kind brachte eine Kleinigkeit mit. Das hielt sich aber stark in Grenzen. Manchmal waren es nur ein selbstgemachter Blumenkranz, ein Taschentuch, ein buntes Poesiebildchen oder ein paar Murmeln. Damals konnte sich ein Kind noch über liebenswerte Kleinigkeiten freuen. Die Übertreibungen unserer Tage, wo ein Kind regelrecht in Geschenken erstickt, gab es früher nicht. Zur Teezeit gab es Milch mit Schokolade, Kakao genannt, und Korinthenstuut oder sogar einen selbstgebackenen Kuchen. Anschließend waren aufregende Spiele geplant. An solch einem Ehrentag durften die Kinder schon einmal all die Ecken und Verstecke auskundschaften, die sonst verboten waren. Manches hübsche Kleid bekam Flecken und Risse, wenn die Jungen die Mädchen beim Fangen, Abschlagen, Kriegen oder Versteckspielen um die stacheligen Hecken und altersschwachen Höhnerhucks jagten.

Geburtstage wurden früher etwa ab dem Mittelalter eigentlich nur bei Hofe gefeiert. Im Adelskalender waren die Daten der Fürstlichkeiten genauestens vermerkt. Kaiser, Könige und sogar Bischöfe feierten Namenstag oder Geburtstag mit großem Gepränge, mit viel Pomp und Getöse in ihren Schlössern, Lusthäusern und Burgen. Kindergeburtstage gab es erst später etwa ab der Barockzeit. Prinzen und Prinzessinnen spielten in ihren steifen Hofkleidern unter Aufsicht eines Zeremonienmeisters in den Rokokogärten der Schlösser mit einem Reifen oder einem Ball.

Mit der Zeit entwickelte sich in den Städten ein Bürgertum, das sich den Sitten bei Hofe in einigen Bereichen anpaßte. Ratsherren und reiche Kaufleute benutzten Kindergeburtstage dazu, um ihren Sprößlingen "gutes Benimm" beizubringen. Der Junge lernte, ob er wollte oder nicht, sich wie ein Kavalier zu verhalten, und das Mädchen mußte die Umgangsformen einer Dame erlernen. Ob das mit sehr viel Fröhlichkeit geschah?

In ländlichen Gegenden galt der Geburtstag lange, lange Zeit überhaupt nichts. Viele Menschen, insbesondere in den ärmeren Gegenden, wußten oft gar nicht, wann sie geboren waren. In fast allen Kirchenbüchern finden wir dann bei der Todeseintragung "plus/minus soundso viele Jahre alt" oder "so um die 70 Jahre alt". Warum auch sollte man sich seinen Geburtstag merken ? Für einen einfachen, ländlichen Arbeiterhaushalt war die Geburt eines "nutzlosen Essers" eine oft grausame Mehrbelastung. Erst sehr spät, so um die Jahrhundertwende, kamen dann auch die Kindergeburtstage in den ländlichen Gebieten auf.

Ab und zu wünschte ich mir, daß möglichst viele Eltern diese geschichtlichen Tatsachen bei den überdimensionalen neumodischen Geburtstagspartys für ihr Einzelkind berücksichtigen würden. Ihre Andrea oder der Christian sollen es einmal "besserhaben", meinen sie. Ob die oft jungen und unerfahrenen Eltern da nicht doch etwas falsch machen ?


 

Auch in der Rhauderwieke feierten die Kinder ihren Geburtstag. Hier ein Foto aus dem Jahre 1950. Oben von links: Theda Heinen aus Holterfehn, das Geburtstagskind Käthe Eilers mit extra schicken Zopfschleifen, und Ipke Siebum mit den sogenannten "Affenschaukeln". Unten Thea Tiedeken, Anita und Hermann Drewanz sowie Hanna Siebum. Im Hintergrund rechts prächtige Exemplare der "Ostfriesenpalme".


 

Im Jahre 1947 fotografierte der Fotograf Winter in Ostrhauderfehn die vierjährige Gisela Gewald aus der 1.Südwieke vor ihrem Geburtstagstisch mit der herrlichen Torte. Natürlich gab es jede Menge neuer Sachen zum Anziehen.


 

Im nächsten Jahr 1933 wurde Johanne Janssen am 18.Februar 14 Jahre alt. Links oben Gerda Bunger, dann Elfriede Kurrelvink, das Geburtstagskind, Georg Hinrichs, Hildegard Sanders und, per Selbstauslöser, die Fotografin Hanni Kramer. Sie hatte sich gerade vorher die Zöpfe abgeschnitten und einen modischen Bubikopf frisiert, sehr zum Unwillen ihres Lehrers Bertus Pfeiffer. Vorn sitzend Frieda Löschen, Karl Kurrelink und Anneliese Ubben.


 

Mit den Nachbarskindern feierte Bernhard Struck 1936 seinen Geburtstag im elterlichen Garten hinter dem Haus im Untende von Westrhauderfehn. Vorn Georg Krummenga und Bernhard Struck. Im Handwagen sitzt vorn ein Kind aus Dresden (Kinderlandverschickung). Links dahinter Ingeborg Genzel von Genzels Puppentheater (später verheiratete Kettner in der Rhauderwieke), daneben Hans Alting, ein Enkel von Peter Marinesse (Verlaatshaus), und der größere Junge war ebenfalls aus Dresden. Rechts steht Erna Poelmann aus Collinghorst.


 

Zur Verfügung gestellt von Johanne Kramer, Käthe Meyer, Hinrich Reents und Bernhard Struck.

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