Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
Obgleich alle Ballenwagen leer sind, pustet die Lok wie ein Weltmeister. Der Kabelwagen hinter der Lok durfte eigentlich nicht über die Überführung gezogen werden, weil es für diese umgebaute Lore keine Zulassung gab. |
Diese Leiter (Mitte) kraxelte Heinrich Pothast hinauf, um mit seinem Wassereimer schnell zu einer glimmenden Stelle in der Holzkonstruktion zu kommen. Früher lief er außen herum, aber das war entschieden weiter. Das Wasser schöpfte er aus einer Balje, die neben seiner Hütte hinter der Hecke stand. Diese Balje war immer randgefüllt mit dem feuerlöschenden Naß aus einem Kolk, der in der Nähe lag (siehe Foto vorige Ausgabe). |
Die Holzständer der Überführung standen auf Betonsockeln, die man heute noch in den Wiesen und Weiden finden kann. Die kleinen Lokomotiven fuhren grundsätzlich rückwärts, damit der Heizer Sand auf die 90er Schmalspurgleise werfen konnte. Diese Gleise waren durch ständiges Befahren sehr glatt, und wenn die kleine Lok zwölf schweren "Hunde" im Morgentau oder bei Regen "mit Vollgas" auf die Überführung ziehen sollte, verhinderte der Sand ein Durchrutschen der Antriebsräder. Auf unserem Foto können wir hinter der Lok zwei alte Zweitonner-Loren erkennen, während die Lore ganz rechts schon ein Dreitonner ist. Die Loren ohne drehbare Achsen sprangen häufig aus den Gleisen. Deshalb hatte jede Zugmannschaft eine starke Winde mit, um diese Loren wieder auf die Schmalspur zu bekommen. |
Wir haben in unserer vorigen Ausgabe gelesen, wie aufwendig und langwierig die Suche nach Urkunden und Karten über solche Bauwerke ist, die noch vor gar nicht langer Zeit das Landschaftsbild unserer Region prägten. Die Staatsarchive fühlen sich oft für diese "neue Zeit" nicht zuständig. Sie sind mit der Aufbewahrung, Erhaltung und Numerierung des Kulturguts aus dem Mittelalter vollauf beschäftigt. Wenn nun ein Laienforscher ohne Doktortitel kommt und mit Unschuldsmine fragt, wer denn damals die Genehmigung erteilt habe zum Bau der Klostermoorbahn, dann erhält der Betreffende die etwas herablassende Bemerkung, er habe in dem und dem Findbuch zu suchen. Und wenn dort nichts stünde, dann sei darüber im Archiv nichts vorhanden.
Diese Antwort ist natürlich richtig. Die niedersächsischen Staatsarchive Können keine Privatpersonen oder Firmen verpflichten, Unterlagen dem Archiv zu überlassen. Und so kommt es, daß wir häufig nur Bruchstücke von Vorgängen finden, weil auch die Gemeinden und Landkreise bei weitem nicht alle ihre Unterlagen dem Staatsarchiv überlassen. Unser Blick rückwärts in die Geschichte ist also häufig einseitig und unvollständig.
Neben den staatlich angestellten Archivaren und Geschichtsforschern an den Hochschulen gibt es aber, gottseidank, eine ganze Reihe privater Menschen, die sich gern und ausführlich mit der eigenen Geschichte befassen. Aus diesen Privatquellen, so sie denn der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, Können viele interessante Einzelheiten für das geschichtliche Umfeld einer Person, einer Familie und eines Ortes gewonnen werden. Wenn wir unseren Wilhelm Lalk nicht hätten, der seit Jahren versucht, das Klostermoor in Wort und Bild festzuhalten, dann wäre schon viel im Dunkel der Geschichte verschwunden.
Diesem Heimatforscher ist es mittlerweile gelungen, den einstigen üBrckenüwürter der Klostermoorbahnüberführung ausfindig zu machen. Der heute 71jührige Heinrich Pothast hat seit 1936 bis auf die Kriegsunterbrechung und die Zeit der Gefangenschaft bis 1954 auf und an der damaligen Überführung Dienst getan. Er war angestellt bei der "Klostermoor" Siedlungs- und Torfverwertungs-Gesellschaft, deren Büro in Papenburg war. Wenn der erste Zug morgens losfuhr, mußte Heinrich Pothast vor Ort sein. Und er mußte solange dort bleiben, bis der letzte Zug zurück ins Klostermoor gefahren war.
Unser nunmehr gefundener üBrckenüwürter weiß zu berichten, daß seines Wissens die Überführung von einer Holzfirma aus Bayern konstruiert worden sei. Wahrscheinlich sei das wohl die gleiche Firma, die auch die Holzstempel für die Schächte in den Kohlebergwerken des Ruhrgebiets geliefert habe (siehe Schreiben der Gutehoffnungshütte!).
Er, Heinrich Pothast habe bei der Überführung die Aufgabe gehabt, in allererster Linie auf Feuer zu achten. Die kleinen Loks hatten bei den Steigungen viel zu pusten. Dabei waren nicht nur Funken gefährlich, die trotz des großen Siebes durch den Schornstein entweichen konnten, sondern die Glutstückchen von nicht ganz verbrannten Kohlen im Aschekasten unter den kleinen Loks. Die speziellen Briketts in der Größe von 12x12x20 wurden auf der Schüppe mit einem Hammer kaputtgehauen, um dann in den Kessel zu wandern. Wenn durch einen Windstoß solch ein glühendes Stück Kohlerest aus dem Aschekasten sich im Holzgebälk der Überführung festfraß, wurde es gefährlich. Heinrich Pothast mußte höllisch aufpassen und jede versteckte Ecke der Holzkonstruktion genau beobachten. Wenn er irgendwo auch nur ein kleines Rauchwölkchen sah, nahm er seinen Wassereimer und stieg mit affenartiger Geschwindigkeit in die Verstrebungen, um die Glut zu Löschen. Zu Anfang war er rundgelaufen, um von oben an die qualmende Stelle zu kommen, aber dann hatte er sich eine Leiter gebaut. Seitdem konnte er mit seinem Löscheimer "gauer hochkrupen as rundlopen".
Bei den Reparaturarbeiten, die ihm ebenfalls oblagen, sollte ihm ja eigentlich die Firma Hermann Cassens aus Papenburg helfen. Aber diese Firma kam nur, wenn größere Teile ausgewechselt werden mußten. Kleine Wartungsarbeiten, wie man das heute formulieren würde, mußte Heinrich Pothast selbst ausführen. Dazu hatte er "achtert Heeg" seine Bude, in der ein gutsortiertes Magazin untergebracht war. Leider gab es aber zu allen Zeiten Menschen, die immer genau das brauchen konnten, was ihnen fehlte. Heinrich Pothast mußte also seine Bude gut verschließen, damit er nicht eines Tages ohne Säge, Axt und Holz dastand.
Ansonsten war dieser Wartungsjob auf der Überführung nicht gerade aufregend oder anstrengend. Aber Pothast mußte ständig auf Beobachtungsposten sein. Es durfte einfach nichts passieren. Denn ein Moorbrand, das ist allen bekannt, ist immens schwer zu Löschen. Nun, bei Heinrich Pothast ist so etwas nie vorgekommen. Er hat die Funken immer rechtzeitig in der hohen Holzkunstruktion entdeckt und Löschen Können, so daß kein Unheil entstand.
Täglich wurden an die 100 Tonnen Torfprodukte über die Überführung gefahren. Drei Tonnen Schwarztorf paßten in eine Lore. Bei zehn Wagen war das ein ganz schönes Gewicht für eine nur mit 60 PS leistende Lok. Nur mit viel Schwung konnten die Lokführer an die Steigung heranfahren, "he reet hum vull open". Wenn alle voll beladenen Loren oben waren, "was de Damp d'ruut." Gefährlich wurde es für jeden Lokführer, wenn das Gewicht der Loren die Lok zurückziehen wollten. Da hätte es nichts zu halten gegeben! Normal waren 12 Loren hinter einer Lok, wovon wenigstens vier Loren vor der Überführung in einer Weiche abgestellt werden mußten. Eine Lok durfte nur mit acht Wagen über die Überführung. Wenn nun aber aus irgendeinem Grund in Klostermoor bloß neun oder zehn Loren beladen worden waren und hinter die Lok gehängt wurden, dann versuchten die Lokführer schon einmal, das zeitraubende Abhängen und Rangieren vor der Überführung zu vermeiden. Gottseidank ist es nie zu einem tragischen Unfall gekommen.
In der großen Kurve drückten die Wagen mit ihrer schweren Last gegen die Ständer. Die Überführung knirschte und stöhnte und schwankte gefährlich bis zu 30 cm weit aus. Heinrich Pothast kannte jeden Balken "seiner" Überführung, er wußte, wo die Schwachstellen waren und wo der Druck am meisten lastete. Hier wurden dann besonders gutes, kerniges Holz verarbeitet. Wenn irgendeine Stelle durch Witterungsschäden morsch wurde, wechselte Heinrich Pothast sie aus. Wenn es größere Teile mit mehreren Verstrebungen waren, bekam er Hilfestellung durch fünf bis sechs Arbeiter, die von der Gesellschaft mit Torf entlohnt wurden. Die 20x20 cm dicken Ständer waren alle ungleich lang, um die Neigung der Überführung auszugleichen. Sie wurden mit einem sogenannten "A-Buck" hochgehievt und anschließend in Position gebracht. Alle neuen Pfähle, die auf Betonsockel gestellt wurden, mußte Heinrich Pothast mit einer Teerschicht von einem Zentimeter Dicke versehen. Trotzdem blieb die Alterung der hölzernen Überführung mit ihren hölzernen Schwellen all die Jahre über ein Problem.
Ein besonderes Kapitel waren die Leute, die über die Überführung liefen. Das war strengstens verboten, hatte doch nur die Fußwegplanke auf der einen Seite ein primitives Geländer. Normalerweise mußte Heinrich Pothast sogar sonntags aufpassen, daß kein Unbefugter die Überführung betrat. Wenn er nun aber mal aus irgendeinem Grunde nicht da war, was selten vorkam, paßte Polizist Rahmeier aus Völlen auf. "He kunn liek dört Grönland kieken". Wenn der solch einen Falschgänger aufschrieb und der Klostermoor-Gesellschaft meldete, bekam er als Dankeschön etwas Brenntorf für seinen nebenamtlichen Pflichteifer. Direktor Brinkmann meinte nur lakonisch: "De will ok wat verdeenen."
Es gäbe noch viel zu erzählen von dem einsamen "Brücken-Wärter" im Moor. Unser Heimatforscher Willi Lalk zitiert mittlerweile bekannte Sprüche: "Bleibe im Lande und nähre dich redlich" oder: "Sieh, das Gute liegt so nah!". Zwar kennt Lalk immer noch nicht die genaue Trassierung der Klostermoorbahn, und er hat auch nur die ungefähren Eckdaten vom Bau (1922) und Abbau (1955) der Überführung. Doch die einmalig schönen fotografischen Dokumente von diesem verschwundenen Baudenkmal, welche der einstige "Brücken-Wärter" Heinrich Pothast aus Völlenerfehn aufgenommen hat, entschädigen bei weitem für die fehlenden Unterlagen.
Links neben dem Stellwerkshäuschen steht ein sogenannter "A-Buck". Er diente zum Hochhieven der schweren Balken bei Ausbesserungsarbeiten an der hölzernen Überführungskonstruktion. |
alle Fotos: Heinrich Pothast, Völlenerfehn
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