[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 18.07.1991


 

Erinnerungen einer Mühlenbesucherin


 

Vor über 57 Jahren kurz auf dem Fehn


 

Die Hahnentanger Mühle bei Südostwind. Links daneben stand das Armenhaus, hinter dem später die Baracken für das Maiden-Lager aufgestellt worden waren (heute die neuen Parkplätze des Reilstifts).


 

In diesem Haus an der 1. Südwieke war das weibliche Arbeitsdienstlager zuerst eingerichtet. Es ist nicht ganz klar, ob es sich um das Haus von Bauer Graf oder das rechts danebenstehende, direkt an der Inwieke liegende (heute umgebaute und weiß getünchte) Haus von ehemals "Kaiser Wilhelm" (Janssen) handelt, etwa gegenüber der Straße "Unter den Eichen".

 

Die Mühle Hahnentange liegt etwas verträumt neben dem Reilstift. Ab und zu parkt ein Auto, manchmal kommen die Gäste auch mit Fahrrädern, und so ist es möglich, daß die Besucher individuell durch die Mühle geführt werden können. Dabei fällt den Betreuern auf, daß viele dieser Menschen einen persönlichen Kontakt zur Hahnentanger Mühle haben. Immer wieder wird in Gesprächen auf das eigene Erleben Bezug genommen. So wird heute noch deutlich, welch bedeutende Funktion solch eine Windmühle für die Bevölkerung gehabt hat.

Allein schon durch ihre Höhe und durch die sich bewegenden Flügel ist eine Windmühle der Anziehungspunkt für nah und fern, für groß und klein. Und wenn die Besucher von ihren Erlebnissen in oder bei der Mühle erzählen, möchte man gleich alles notieren, um es der Nachwelt zu erhalten. Doch häufig ist es gar nicht möglich, den erzählerischen Überschwang selbst in stenographischer Kurzschrift auf die Schnelle mitzuschreiben.

Neulich besuchte uns eine alte Dame aus dem Saarland. Welche Beziehung sie zu der Hahnentanger Mühle hat ? Nun, das ist eine lange Geschichte, die uns zurückführt in Zeiten, an die einige Menschen nicht so gern erinnert werden möchten. Die fast 80jährige Helene Lentes war damals gerade 18 Jahre jung. Sie hatte das Abitur gemacht und wollte studieren.

Heute müssen unsere männlichen Abiturienten zur Bundeswehr und die weiblichen dürfen gleich studieren. Damals, im Jahre 1934, gab es den Freien Arbeitsdienst, der durch das Arbeitsamt finanziert wurde. Die Jungen und Mädchen mußten drei Monate lang in einem ortsfernen Lager arbeiten. Die Jungen aus Westrhauderfehn kamen zum Beispiel ins Moorlager Tannenhausen oder Marcardsmoor bei Aurich oder zu Deichsicherungsmaßnahmen nach Langeoog oder in das Lager Edewecht am Küstenkanal.

Auch im Overledingerland gab es solche Lager wie zum Beispiel an der Groenewoldstraße. In Befis zweitem Buch über Burlage ist es auf S. 66 abgebildet: Zum RAD-Lager Fokko Ukena, Abteilung 3/1921. Es gibt noch eine ganze Anzahl Fotos von den Jungen, wie sie singend mit ihren Spaten zur Arbeit marschieren, um Gräben auszuheben und Wege anzulegen. In Großwolderfeld "up Weißenburg" gab es ein weiteres Arbeitsdienstlager, in dem erst später eine Baracke für eine Gruppe Arbeitsmaiden abgetrennt wurde.

Neben diesen beiden männlichen RAD-Lagern gab es auch ein rein weibliches Lager, das in Westrhauderfehn an der 1. Südwieke eingerichtet worden war. Dazu diente das damals leerstehende Haus vom verstorbenen Landwirt Graf. Hier wurden unter der Leitung von Kea Meyer die jungen Frauen aus der Stadt mit Arbeiten vertraut gemacht, die sie nicht kannten. Der Fehntjer Kurier brachte am 30.Juni ein Foto von solch einer "Arbeitskameradin, die ihre Zeit gerade um hatte, als ich noch für drei Monate nach Westrhauderfehn kam", wie die heute fast 80jährige Helene Lentes schreibt.

Und weiter erzählt Frau Lentes in ihren Aufzeichnungen: "Frau Meyer hatte damals noch mehr Mädel angefordert, weil sie das Lager vergrößern wollte. Es war aber nicht genug Platz für uns im Lager (dem Haus von Graf), und so mußten wir ins Armenhaus zum Schlafen übersiedeln."

"Der Speicher war noch nicht ausgebaut, von der Decke hingen Stroh und Schilf herunter und Stallaternen waren unsere Beleuchtung und in Emailleschüsseln wuschen wir uns mit braunem Wasser, das wir aus dem Ziehbrunnen heraufholten. Die Toilette war ein Häuschen im Stall. Dort lag der große Hund von dem blinden Hans, und wenn wir des nachts aufstehen mußten, fürchteten wir uns vor dem Hund, der sich erst langsam an uns gewöhnte. So gingen wir immer zu zweit oder auch mehreren zum Klo. Das war oft ein Gelächter auch mitten in der Nacht.

Und dann die Betten! Kisten, gut mit Stroh gefüllt; ich hätte beinahe eine Leiter gebraucht, um aufzusteigen. Als meine Zeit um war, war meine Liege flach wie ein Brett, und doch schliefen wir so gut wie auf den feinsten Daunen. Kea kam morgens mit dem Fahrrad und weckte uns. Dann stieß sie mit den Holzklumpen an die Türe und rief: "Kinnigs, upstohn!" Beim ersten Male wollte ich gleich aufspringen. Dann lachten meine Arbeitskameradinnen und sagten: "Blief lieggen, du Döskopp." Ein Zitat aus dem "Mümmelmann" von Hermann Löns, wie er seinen Neffen belehrte, sich auf der Treibjagd vor herumschwirrenden Gewehrkugeln zu schützen.

Nach einer raschen Toilette liefen wir dann zum Lager. Dort empfing uns Mutter Kea. Jeden Morgen vor dem Frühstück spielte eine von uns auf dem Klavier das herrliche Lied: "Geh aus mein Herz und suche Freud" oder sonst einen Choral. Ohne eine solche Einstimmung auf den Tag verließen wir nie das Lager. Das Frühstück war schon bereitet und die Brote eingepackt für die Mädel, die bei den Siedlern schafften. Dazu gab es auch noch eine Handvoll Kluntjes. Die gute Kea gab so reichlich mit, weil sie wußte, daß die hungrigen Kinder ihrer Dorfbewohner auf etwas Gutes warteten. Auch manche Mark floß in die Hände der armen Siedler und Arbeitslosen. Kein Wunder, daß wir mit allen ein gutes Verhältnis hatten.

Einmal war die Katze in den Milcheimer gefallen, das beobachtete eine von uns. Kea zog sie raus und warf sie nach draußen. Dann kochte uns Elfriede Milchsuppe. Als wir später gerade zu löffeln begannen, schrie eine von uns entsetzt: "Eßt heute keine Suppe, da war die Katze in der Milch!" An diesem Morgen sind wir hungrig zum Einsatz gegangen, aber keine hat es unserer Kea übelgenommen. Es war ein spaßiges Erlebnis, und wer weiß denn wirklich, was wir alles schon in unserem Leben gegessen haben ?

Anfangs war ich im Armenhaus und half, die Kinder zu versorgen. Später mußte ich mit Gisela Wässerling, einer Abiturientin aus Hannover, bei einer Familie in der 2. Südwieke die Kartoffeln ausmachen. Dieses Omachen (siehe Foto) war die Großmutter im Hause. Ihre Tochter war krank und bettlägerig, der Mann arbeitslos, und dann die kleinen Kinder. Oma kochte in einem eisernen Kessel über dem offenen Herdfeuer: Bohnen und Kartoffeln, und tags darauf: Kartoffeln und Bohnen, das heißt, geschälte ganze Kartoffeln und die Bohnen auch ganz. Sie lud uns zum Essen ein, und für uns schmeckte das besser als das feinste Kotelett. Wir gaben dann den Kindern unsere Brote.

Diese gute, abgeklärte, kluge Oma kann ich nie vergessen. Sie war so sauber und sorgfältig in ihrer Arbeit und hatte doch den größten Kummer mit ihrer Familie. Aber alles nahm sie so gelassen auf. Und wie gut konnte sie sich unterhalten ! Keine langweilige alte Frau, sondern eine kluge, fromme Ostfriesin.

Soweit dieser Brief, in dem Helene Lentes von ihrem dreimonatigen Aufenthalt im Jahre 1934 in Westrhauderfehn berichtet. Die Erlebnisse in Ostfriesland haben damals das Mädchen Lenchen so tief beeindruckt, daß sie nun - trotz ihres hohen Alters - noch einmal die Gegend wiedersehen wollte, an die sie so schöne Erinnerungen hat.


 

Das Omachen in der 2. Südwieke von Westrhauderfehn. Mit ihrer klugen Lebenserfahrung machte sie einen starken Eindruck auf die junge Arbeitsmaid Lenchen, die hier in Ostfriesland die Schattenseiten des Lebens hautnah kennenlernte. Das Haus in der 2. Südwieke fiel deshalb auf, weil es "de Achterdör an Siet harr".


 

Ein Sommerabend in der Heide. Hier die Namen von Arbeitsmaiden aus dem Jahre 1934, soweit sie noch erinnerlich sind (nicht alle auf dem Foto): Aus Hannover: Elfriede Rädeke, Hilde Stukenbrock, Annemarie Schneider; aus Hamburg: Eva Danzig und Lore Gödecke; aus Osnabrück: Else Pape und Hanna Brenneke, aus Hildesheim: Annemarie Heß und Elfriede Meyer; Ina Zumbroich, Soest, Emma Krampe, Bottrop, Gertrud Lohmann, Bremen, Hilde Haßenteufel, Celle, Irmgard von der Trenk, Ostpreußen, Christa Reuß, Gandersheim, Eva Speerschneider, Braunschweig, Karla Blotenberg, Nienburg und Alide Schlüter, Nordhorn.


 

Voller Einsatz in der Bohnenzeit. Die Lager wurden 1934 mit Hilfe der Gemeinden eingerichtet. Das Arbeitsamt zahlte pro Tag 2.- RM pro Person für Verpflegung und Unterkunft, wovon die Maiden dann 20 Pfennige Lohn erhielten! Im Jahre 1935 wurden die Lager dann von der Partei übernommen.


 

Die ehemalige Arbeitsmaid Helene Lentes trägt sich in das Gästebuch der Mühle Hahnentange ein.

 

 

Fotos: Heinze

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