[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 04.07.1991


 

„Ik bün de Jung van Jan van’t Moor“

 

Die Großeltern von Jürgen Morian, der Geheime Sanitätsrat und Chirurg Dr. Wilhelm Friedrich Richard Morian und seine Frau, Johanne Henriette Vogeler aus Bremen, eine Nichte des bekannten Worpsweder Malers Heinrich Vogeler, aufgenommen bei ihrer Hochzeit im Jahre 1891.


 

Das eigentliche Wappen der niederländischen Familie Morjan aus dem Jahre 1376: Ein Wikingerschild mit querlaufendem Balken und der Rune, oben eine Kogge, unten ein Löwe: "Jan van Moor van het Moorjans Koopche ta Zaandijk by de Zujderzee".


 

Das Nürnberger Wappen der Morians aus dem Jahre 1581 mit dem dunkelhäutigen Mohr über der Helmzier und den 3 Mohrenköpfen über dem Leu im Schild .


 

Eine kleine Zeichnung mit menschlichen Antlitzen aus dem lange verschollenen Skizzenbuch Heinrich Vogelers von seiner Reise in die Sowjetunion. Die Blätter waren ursprünglich an Stelle von Ansichtskarten als Grüße an seine.n Sohn Jan gedacht, der in Moskau lebte


 

Der 23jährige Heinrich Vogeler mit Baskenmütze, Foto aus dem Jahre 1900.


 

 

Verschollen geglaubtes Skizzenbuch zieht auch Verwandte in seinen Bann

 

Ein Fehn hat etwas mit Moor und Torf zu tun. Ursprünglich kommt das Wort aus dem Holländischen. Im niederländischen Wörterbuch steht: "veen = Torfmoor". Diejenigen Menschen, die sich der Tortur der Moorkolonisation unterwarfen, wurden die Fehntjer genannt. "Büst du ok 'n Fehntjer?", war die oft gestellte Frage in den Häfen an der Küste und dann: "Van wekket Fehn?"

Aber schon vor der Fehnisierung gab es Menschen, die am Moorrand siedelten. Hier versuchten sie, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Johann Diekhoff aus Aurich nennt sie die "Moorhahntjes", aber eigentlich war es immer wieder derselbe "Jan van't Moor", der im nächsten Dorf erschien und im Krämerladen tauschen wollte. Für einen letzten "Deit" trank er an der Theke sein "Söpke". "Hej, Jan van't Moor, wullt noch een? ", doch der Torfsiedler schüttelte nur den Kopf.

Als Arbeiter, Bauer, Händler und vielleicht auch noch Schiffer war Jan van't Moor überall bekannt. Unter der abgewetzten Schiffermütze sieht man das von Sonne und Wind wie feines Leder gegerbte und zerknitterte, braune Gesicht, den blauweiß längstgestreiften, kragenlosen Leinenkittel, die zerbeulten Tuchhosen und die handgestrickten, dicken Wollstrümpfe in mit Stroh ausgelegten Holzschuhen, den Klumpen. Typisch der etwas mühsam und schwerfällig wirkende Gang und der von der schweren Arbeit und vielem Bücken frühzeitig gekrümmte Rücken.

Wie viele Jan's es gegeben hat ? Wir wissen es nicht. Aber wenn der Torf alle und das Moorgrundstück ausgebeutet war, dann mußte unser Jan van't Moor weiterziehen. Seine Kinder blieben sowieso nicht bei ihm. Sie versuchten, Arbeit in der Stadt zu bekommen. "Well büst du?", wurden sie gefragt. "Ik bün de Jung van Jan van't Moor", antwortete er. "So, so, de Jung van Jan van't Moor", und ein Zucken der Augenlieder verriet, was der Prinzipal davon zu halten hatte.

Es war ganz gleich, ob es sich um den Torfbauern aus dem Teufelsmoor bei Worpswede handelte (siehe Peter Rabensteins Buch "Jan von Moor") oder um den Neusiedler am Rande einige der vielen ostfriesischen Moore oder um seinen niederländischen Kollegen vom Bourtanger Moor, der schon viel früher als die Ostfriesen die Kunst des Entwässerns in den unzugänglichen Morästen kannte. Der Junge von Jan van't Moor wurde Laufbursche beim Kaufmann in Amsterdam oder Antwerpen. Als Lehrjunge wurde er Moor-Jan gerufen und geneckt, und selbst dann, als er schon sein Jackett aus englischem Tuch trug, blieb er der Moor-Jan. Und weil das schlecht zu schreiben war, trugen die Sekretäre und Buchhalter später einen "Moorjan", dann einen "Moorian" und schließlich einen "Morian" in die Gehaltslisten ein.

Solch ein "Morian" wohnt seit ein paar Jahren bei uns auf dem Fehn. Ihn zog es zurück in die ursprüngliche Moorgegend seiner Vorväter. Sein Stammbaum geht weit zurück bis ins ausgehende Mittelalter. Mehrfach tauchen "de van Moorjans" in den Amsterdamer Schiffahrtsbüchern auf. Im Staatsarchiv von Haag liegt ein Aktenbündel aus den Jahren 1500 bis 1530, die Pacht-Pfändungsbriefe des Jan Peet van Moorjan betreffend. Um diesen Besitz muß es Streit gegeben haben, einen Besitz, "der daß aigenthumblich auf dem Coopche im Moor gelegene Gebiet mit vier Mühlen" betraf. Dieser Hof scheint seit 1485 geteilt worden zu sein. Die Zinszahlungen gingen an Familienangehörige in Amsterdam, Antwerpen, Keulen und Halten.

Geschichtlich waren die Niederlande 1477 habsburgisch geworden. Es kam die Reformation Luthers und Calvins, die Lehre der Protestanten und Reformierten bis zu den Niederländern. Gegenreformation. Kaiser Karl V. (1519-1556) versuchte in einer großangelegten Gegenreformation die ketzerische Lehre von seinem Reich abzuhalten. Auf dem Brandfelde zu Köln verbrannte er 1520 eigenhändig die Schriften Luthers, und 1529 wurde vor der Weiherporz ein Morjan verbrannt." Hä hätt de Muhl zo groß obgemacht."

Nach Kaiser Karls Tod setzte sein Sohn, König Philipp II. von Spanien (1556-1598) die Herzogin Margarete von Parma als Regentin der Niederlande ein, die mit der spanischen Inquisition verstärkt gegen die Lehre Calvins vorging. Aber erst dem Herzog von Alba blieb es vorbehalten, ab 1567 bis 1573 mit unvorstellbarem Schreckensregiment gegen die Glaubensabtrünnigen vorzugehen. Viele Protestanten flüchteten vor der Inquisitionsherrschaft Albas, der mit seinen Schergen sogar bis nach Jemgum ins Rheiderland vordrang. Auch in Frankreich fanden wüste Verfolgungen der Anhänger Calvins statt. Hier nannte man sie Hugenotten. In der Pariser Bluthochzeit 1572 ließ die Königin Katharina von Medici 3000 Hugenotten allein in Paris töten und über 20000 in den folgenden Wochen in den umliegenden Provinzen.

Die verfolgten Calvinisten flüchteten in die protestantischen Länder. England verdankt seine frühe Blüte der Woll- und Tuchindustrie nur den über 100 000 ausgewanderten niederländischen und belgischen Familien aus Antwerpen und Brüssel.

Wir kennen die Glaubensflüchtlinge in Emden und Leer. Die niederländischen Kaufleute und Handwerker, besonders die Weber, brachten es schon bald zu guten Einkünften im unterentwickelten Ostfriesland. Besonders die Stadt Emden profitierte von den kaufmännischen Künsten der Glaubensflüchtlinge, und in der Stadt Leer entwickelte sich ein schwunghafter Leineweberhandel weit über die Grenzen Ostfrieslands hinaus.

Auch die Vorfahren von unserem heutigen "Morian" kamen als Glaubensflüchtlinge über Köln und Frankfurt nach Süddeutschland. Sie ließen sich in der hochentwickelten, protestantischen Stadt Nürnberg nieder, vermählten sich mit reichen Kaufmannstöchtern und wurden in Stände und Rat gewählt. So heiratete der Seidenhändler Jacob Morian, ehelicher Sohn des Erasmen Hanns Morian, am 23.November 1606 die Jungfrau Lidia Gisemans.

Schon vor dieser Zeit begann der Versuch dieser Seidenhändlerfamilie Morian, den Arme-Leute-Geruch von Moor und Torf abzulegen. Durch die weitverzweigten Handelsbeziehungen lernte man fremde Länder kennen mit Menschen anderer Hautfarbe. Aus dem "Moor-jan" wurde nun ein "Mohrian". Die Familie ließ sich ein Wappen anfertigen, das einen Schwarzen, einen Mohren, über dem Schild zeigt.

Warum wir die Geschichte schreiben? Die Nachkommen der Familie des Tuchhändlers Morian aus Süddeutschland verbreiteten sich über das ganze Land. Ein direkter Nachkomme, der Geheime Sanitätsrat und Chirurg Dr. Wilhelm Friedrich Richard Morian heiratete 1891 Johanne Henriette Vogeler aus Bremen. Und diese junge Frau war die Nichte von Heinrich Vogeler, dem Worpsweder Maler am Teufelsmoor. Von Worpswede aus machte Heinrich Vogeler weite Reisen in ferne Länder. Unter anderm in die Sowjetunion. Auf seinen Reisen führte Heinrich Vogeler ständig ein Skizzenbuch bei sich, um all die vielen neuen Eindrücke schnell aufzeichnen zu können.

Dieses Skizzenbuch von seiner Reise in die Sowjetunion war lange Jahre verschollen. Zuletzt wurde es 1951 in Warschau gesehen bei Heinrich Vogelers zweiten Frau, Sonja War. Es sollte in einem Ostberliner Verlag der ehemaligen DDR veröffentlicht werden. Aber es verschwand aus ungeklärten Gründen. Jetzt wurde es wiedergefunden. Der bekannte Bremer Kunstmäzen und Sammler Dr. Wolfgang Kaufmann bekam einen entscheidenden Hinweis und ein geheimes Angebot. Er griff sofort zu, obgleich die Kaufsumme recht happig war. Dieses Skizzenbuch von Heinrich Vogeler, dem Worpsweder Maler und Onkel von Johanne Henriette Vogeler verheiratete Morian, ist seit kurzem im Stader Kunsthaus erstmalig ausgestellt (Öffnungszeiten täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr).

Verständlich, daß Jürgen Morian, ein Enkel des Geheimen Sanitätsrats Dr. Morian und der Johanne Vogeler, sehnsüchtig auf die Ferien wartet, um sich das Skizzenbuch seines Urgroßonkels mütterlicherseits anzusehen. Wenn er dann nach Haus auf die heute abgetorfte Moorstelle in der 1. Südwieke von Rhauderfehn zurückkommt, hat er wieder einmal Geschichte hautnah erlebt. Und wenn seine Nachbarn zum wiederholten Male sagen: "He is 'n Dütschen", dann stimmt das eigentlich nur halb.


 

Die Sondermarke der Deutschen Bundespost vom Frühjahr 1989 zeigt ein Gemälde Heinrich Vogelers zum 100jährigen Bestehens der Künstlerkolonie Worpswede. Der Jugendstilmaler und -zeichner Vogeler hatte den Worpsweder Barkenhof gekauft. Das auf der Briefmarke gezeigte Gemälde nannte er "Der Sommerabend".


 

Jurten in der Kirgisensteppe, Farbskizze von Heinrich Vogeler.


 

Rote Teestube in Turkmenistan, Farbskizze von Heinrich Vogeler.


 


 

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