[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 27.06.1991


 

Pferdejunker drängte Radfahrer zur Seite


 

Der Radfahrerverein "Solidarität„t" von Ostrhauderfehn/Holterfehn machte zu Pfingsten im Jahre 1926 einen Ausflug. Das herrlichen Banner auf diesem Foto ist leider nicht erhalten geblieben. Interessant die Abzeichen am Revers und an der Mütze, von denen ebenfalls bis heute keines mehr aufgetaucht ist. Hinten von links: Berents aus Rinzeldorf, Weert Hemmen, Holterfehn, dann der spätere Binnenschiffer Gerd Hemmen mit Banner und Fahrrad (s. FK v.7./14.2.91), rechts daneben Eiko Klock und Hinrich Ibelings. Knieend von links Wilhelm Ewen, Gerd Peper mit dem vorgeschriebenen Signalhorn, Dirk de Freese und mit Hut Bernhard Ibelings. Davor sitzen Stina Hesenius, Gerd Hemmens spätere Frau, und Antjelina Klock aus der Holterfehner Schulwieke.


 

Das wohl älteste Radfahrervereinsfoto aus unserer Region vom 1912 gegründeten Westrhauderfehner Verein "Concordia". Es handelt sich wahrscheinlich um einen Ausflug im Herbst 1914, denn Weert Vogelsang fährt auf dem Rad seines älteren Bruders Hinrich, der bereits eingezogen war (1.Weltkrieg). Stolz prangt der kaiserliche Adler auf der Bannerstandarte und schneidig grüßt kaum erkennbar ein Junge, der hinter dem rechten Radfahrer im Baum steht. Ganz links könnte vielleicht Christoph Vogelsang stehen. Die anderen Personen sind namentlich nicht mehr bekannt.


 

Der Radfahrerverein von Ihren/Großwolderfeld hatte den sinnigen Namen "Vergißnichtmein". Im schicken Sonntagsanzug und mit den damals üblichen Festschärpen stellen sich die jungen Herren vor der Abfahrt noch zu einem Gruppenbild auf. Von links: mit der vorschriftsmäßigen Dreiklangfanfare Hinrich Friedrichs, unbekannt, Hermann Jelting, Gerd Bron, unbekannt, Johann Groeneveld und unbekannt.



 

Die neuen Vereine belebten die dörfliche Gemeinschaft

 

Auf einem Velociped sitzt ein eleganter Fahrer wie ein Reiter auf einem "iesdern Peerd". Kaum zu glauben aber wahr: Dieser Radfahrer benötigte eine Art Führerschein, eine "Fahrkarte", die das Fahren auf einem Fahrrade erlaubte, ausgestellt von den königlich-preußischen Polzei-Revieren. All das fand 90 Jahre nach der Erfindung der Laufmaschine statt. Im Jahre 1813 konstruierte der badische Forstmeister Carl Friedrich Freiherr Drais von Sauerbronn eine "einspurige Laufmaschine", die von der damaligen Presse als eine der wichtigsten Erfindungen gefeiert wurde.

Die rasante Entwicklung von der Laufmaschine zum heutigen Zweirad wurde begünstigt durch die Erfindung der Tretkurbel im Jahre 1840, der Drahtspeichenräder 1870 und der Luftbereifung 1888. Im gleichen Jahr wurde auch der Deutsche Radfahrerbund gegründet, und schon ein Jahr später fand in Wilhelmshaven zu Ostern der 2. Gautag des Gauverbandes Nord statt, an dem die Radfahrervereine aus Emden, Jever, Varel, Elsfleth, Oldenburg und Bremen teilnahmen.

Am 28.Juni 1888 wurde in einer ostfriesischen Zeitung berichtet, daß zwei Radfahrer aus Leer am Sonntagmorgen zu einer Radtour über Aurich nach Norden aufbrachen. Gegen Abend kamen sie erschöpft von dieser 140 km langen Tour zurück.

Zwischen Schirum und Großefehn kam es zu einem höchst fragwürdigen Erlebnis. Die beiden Rennfahrer holten ein Pferdefuhrwerk ein, das sie nicht Überholen konnten. Sie baten den Rosselenker, vorbeifahren zu dürfen, was dieser erlaubte. Als die beiden etwa in Höhe des Fuhrwerks waren, schlug der Bauer mit seiner Peitsche auf die Rössern ein, und nun begann eine dieser beliebten ländlichen Wettfahrten. Wie wild jagden die Pferde auf der gepflasterten Straße dahin, aber die Radfahrer waren schneller. Wütend lenkte der Bauer die Pferde zur Seite und schnitt den Rennfahrern den Weg ab. Sie mußten absteigen und das h„mische Grinsen des Pferdejunkers demütig erdulden.

"Heute wie vor 100 Jahren mit Vergnügen Fahrradfahren", lautete 1986/87 das Motto einer Wanderausstellung, welche von der Museumsfachstelle der Ostfriesischen Landschaft unter Federführung von Dr. Hedwig Hangen zusammengestellt worden war. Im März 1988 konnte das Heimatmuseum Westrhauderfehn eine eigene Fahrradausstellung unter dem Motto "P.m.s.= Pedd man sülvst" eröffnen (s. FK v. 3.3.88), und am 24.März, 31.3. und 19.Mai des gleichen Jahres konnte ich im Fehntjer Kurier Fotos von hiesigen Radfahrvereinen zeigen sowie aus dem Protokollbuch des Hahnentanger Radfahrvereins "Blüh auf" interessante Einzelheiten berichten.

Bis auf den heutigen Tag ist das Banner des 1912 gegründeten Westrhauderfehner Radfahrer-Vereins "Concordia" erhalten geblieben. Den Hahnentanger Verein "Blüh auf" nannten wir schon, und der Burlager Radfahrerverein "Fahre wohl" feierte ebenso wie der Langholter Verein "Tempo" im Pieperschen Saal die beliebten Vereinsfeste mit der Kapelle Park. In Ostrhauderfehn/Holterfehn gab es zuerst eine Ortsgruppe des Deutschen Radfahrerbundes "Solidarität„t". Einige Jahre später entstanden dann eigenständige Vereine, die sich in Ostrhauderfehn den Namen "Germania" und in Holterfehn den Namen "Velo" gaben. Der Verein in Idafehn hieß "Flottweg", in Collinghorst "Edelweiß", in Jhrhove "Wanderlust", in Ihren/Großwolde sinnigerweise "Vergißnichtmein", in Steenfelderfehn einfach "Sport", in Völlenerkönigsfehn "Adler" und in Völlen "Volldampf vorwärts".

Diese Vereine wurden sicherlich aus zweierlei Gründen gegründet: Einmal wollte man mit Gleichgesinnten zusammensein, also mit Menschen, die auch ein Fahrrad hatten oder sich ebenfalls für Fahrräder interessierten, und die beim Fahrradfahren und Radflicken die gleichen oder ähnliche Probleme bewältigen wollten. Die Satzungen konnten die hiesigen regionalen Vereine vom übergeordneten Verband übernehmen. Es brauchten nur noch die ”örtlich relevanten Angaben eingeschrieben zu werden. In den ersten Paragraphen waren die Ziele eines solchen Vereins genannt, die nun über das eigene Interesse am Rad weit hinausgingen. Damit war die ursprüngliche Interessenlage wesentlich erweitert worden.

Jetzt ging es nicht nur mehr um Vergleiche: "Wie hast du das Radfahren erlernt ?" oder: "Wie funktionieren bei deinem Rad die Bremsen ?", sondern es kamen nun Wettkämpfe, Wanderfahrten und Feste hinzu. Vor mir liegen einige Zeitungsausschnitte aus der Papenburger Ems-Leda-Zeitung. Am 6. Mai 1906 veranstaltete der Völlener Radfahrer-Verein "Volldampf vorwärts" ein Fest der Bannerweihe, verbunden mit einem Rennen in Völlen.

Das Programm für den Sonntag sah so aus: Um halb zwei Uhr Empfang der auswärtigen Vereine beim Vereinslokal J. E. Schulte, Völlen, um halb drei Uhr Bannerweihe, um drei Uhr die Rennen, und zwar zuerst das Eröffnungsfahren, dann das Hauptfahren und schließlich das Meisterschaftsfahren. Den Abschluß bildete ein Vereinswettfahren sowie eine Korsofahrt durch den Ort. Der abendlichen Kommers und die Preisverteilung wurden eingeleitet mit einem Saal- und Kunstfahren.

Unterzeichnet hat diese Anzeige der 1.Vorsitzende Joh. J. Straat, der in einem Nachsatz hervorhebt: "Das Ehrenmitglied des Vereins, Herr Gerd Sehen aus Wymeer (der älteste Radfahrer Deutschlands), 88 Jahre alt, wird persönlich anwesend sein." Von diesem "ältesten Radfahrer Deutschland" gab es damals farbig gedruckte Postkarten, eine absolute Novität im sensationsarmen Ostfriesland.

Am Montag berichtete die Ems-Leda-Zeitung: "Das Fest der Bannerweihe des Radfahrervereins "Volldampf vorwärts" verlief am Sonntag bei herrlichem Frühlingswetter und unter großer Beteiligung in schöner Weise. Die verschiedenen Rennen ergaben folgendes Resultat: a. Eröffnungsfahren: 1. M. Stumpf, Leer, 2. J. van Allen, Leer, 3. H. Campen, Ledabrücke. b. Vereinsfahren: 1. Straat, Völlen, 2. Krumminga, Völlen. c. Hauptfahren: 1. J. Stumpf, Leer, 2. J. de Vries, Leer, 3. M. Stumpf, Leer. Im Meisterschaftsfahren ging M. Stumpf, Leer, als erster durchs Ziel." Wir sehen, die Leeraner Rennfahrer haben auf dem Dorfe ganz schön abgesahnt. Den älteren Lesern werden die Namen der Gebrüder Stumpf noch durchaus geläufig sein. Leider habe ich bis heute keine Bilder oder Pokale von diesen Rennfahrer gefunden. Auch das Banner vom Völlener Radfahrerverein ist nicht erhalten geblieben.

Drei Jahre später annoncierte der gleiche Verein unter dem neuen Vorsitzenden Theodor Arend für den 9.Mai 1909 ein wesentlich größeres Rennfest. Nachmittags fand wiederum zuerst der Empfang der auswärtigen Vereine und Gäste statt, diesmal aber vor dem eigenen "Gasthof zum Ostfr. Wappen" (Theodor Arend), wie es in der Anzeige heißt. Den Auftakt bildete das Rennen auf der Strecke "Emsfähre bis zur Hauptstraße", welches kostenlos war.

Dann folgte für drei Reichsmark das "Eröffnungsfahren", für das zwei Ehrenpreise und eine Medaille ausgelobt wurden. Anschließend fand das "Erstfahren" statt nur für Fahrer, welche noch keinen Preis errungen hatten. Der Einsatz betrug zwei RM. Dafür gab es einen Ehrenpreis und zwei Medaillen. Fr drei RM konnte man dann am "Hauptfahren" teilnehmen, für das drei Ehrenpreise und eine Medaille ausgesetzt waren. Beim abschließenden "Vereinsfahren" für den Einsatz von einer RM gab es zwei Ehrenpreise und eine Medaille. Irgendwo müßte doch solch eine Medaille noch aufgehoben worden sein, aber bis heute habe ich keine gesehen.

Der Höhepunkt dieser Veranstaltung war sicherlich die Theatervorführung um 17 Uhr. Es wurde gespielt "Nulpe im Verhör", wobei sich ein "verkommenes Genie namens Nulpe" vor Gericht zu verantworten hatte, und "Die fidelen Handwerksburschen", welche beim Wirt namens "Pantsch" ihre Streiche spielten. Der anschließende "Große Festball" wurde musikalisch ausgeführt von der Papenburger Stadtkapelle unter Leitung von Kapellmeister Erdbrink.

Eine herrliche Zeit, die "Kaiserzeit auf dem Dorfe", wie ein Buchtitel verheißungsvoll verspricht. Man lebte einfach und in Frieden. Die Wunden des kurzen Krieges von 1870/71 waren vernarbt, die Industrie begann immer flotter zu florieren, und der "kleine Mann", die Knechte und Maiden, hatten sogar auf den stillen Dörfern ihr Vergnügen, indem sie an diesen beliebten Radfahrerfesten teilnehmen konnten.


 

Hier macht der Westrhauderfehner Radfahrerverein "Concordia" einen Fotostop vor dem Idafehner Schleusengasthof von A. Cramer. Fast alle R„der haben noch die Karbidlampenhalterung am Lenker. Interessant die kurzen Schutzbleche, die nicht nach vorn überragten. Von links: Hinrich Dänekas, ein Preyt, Heinrich Müller, Wilhelm Willms, unbekannt, Bannerträger Johann Abels, ein Klock, Jürgen Willms, unbekannt und Johann Willms.


 

Das Banner des Westrhauderfehner Radfahrervereins "Concordia" ist glücklicherweise erhalten geblieben und befindet sich heute im Heimatmuseum. An der linken Seite der Standarte hängt ein Fahnenband von der Bannerweihe eines anderen Vereins. Beim sonnt„glichen Ausflug stellten sich unterm blühenden Apfelbaum der Kamera: von links: Hinrich Dänekas, ein Jelschen, Jürgen Willms, mit Schärpe ein Preyt, dann ein Klock und etwas angekratzt auf der altersschwachen Fotografie Heinrich Müller.


 

Zur Verfügung gestellt von Sieglinde Daenekas, Hermann-Josef Döbber, Grete Pranger und Mathilde Schmidt

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