[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 11.04.1991

 

Fehntjer Seeleute wurden im April unruhig


 

Wilhelm Hanneken fuhr unter andern auf der "Luise Henriette", deren Treibnetze dreißig Meter lang und 15 m hoch waren. Ein solcher Logger wie die AE 93 hatte 100 Meter Netz an Bord, das heißt, dieser Logger konnte drei Kilometer Treibnetz aussetzen! Hier sehen wir die "Luise Henriette" in der Nesserlander Schleuse beim Auslaufen, dahinter einen leeren Kahn. Die AE 93 war ein ehemaliger Segellogger mit einem 60 PS Hilfsmotor. Die beiden Frauen des Kapitäns (links) und des Maschinisten sind noch an Bord. Von links: sitzend Wilhelm Schmidt, Bernhard Reck, der Bruder des Kapitäns; Klaus Giere, der Schwager des Kapitäns; stehend: Kapitän Theodor Reck, seine Frau, Frau Schmidt, Wilhelm Hanneken. Neben ihm ein etwas eitler Herr mit Dauerwelle, dann der Steuermann Karl Simmering, Matrose Thole Beitelmann und Koch Theo Janssen aus der 2. Südwieke, der früher selbst eine Tjalk hatte. In der hinteren Reihe steht ganz rechts Heinrich Brouwer aus Westrhauderfehn.


 

Die vollen Treibnetze werden mit der Hand an Bord gehievt und die Heringe aus den Netzen "herausgeschlagen". Die Maschengröße der Netze ist vorgeschrieben, damit zu junge, untermaßige Heringe durch die Maschen schlüpfen knnen. Der Mann mit der Schaufel ist Kapitän Theodor Reck.

 

 

Gekehlte Heringe wurden sofort an Bord gesalzen

 

Nach jedem "Hol" werden die Heringe gekehlt (im Hintergrund). Für Nachschub sorgt links Wilhelm Hanneken mit seinem Käscher.

 

Vor Jahren erdreistete sich auf dem Hamburger Fischmarkt ein "Utröper", seine Ware mit dem "zündenden" Spruch anzukündigen: "Hering, Hering, so fett wie Hermann Göring!" Das war damals sehr gewagt, und dieser Fischhändler soll einige Wochen auf dem Markt gefehlt haben.

Wenn wir uns noch einige weitere Jahre zurückversetzen, dann käme in jenen Apriltagen die Zeit, wo die Fehntjer Seeleute unruhig durchs Fenster nach draußen schauten. Einige waren auch schon wieder in Emden oder Leer auf ihren Loggern, um "klar Schiff" zu machen. Die Heringszeit nahte. Je nach Wind und Wetter fuhren die Logger Ende April oder Mitte Mai hinaus in die Nordsee, um den winterfetten Hering zu fangen.

Der Hering "atmet", indem er das sauerstoffreiche Wasser durch seine Kiemen saugt. Er gehört zu den Schlundblasenfischen und ist ein Planktonfresser. Viele Kinder kennen den Stichling in unseren Gewässern mit seinen spitzen, wehrhaftigen Stachelflossen. Der Hering dagegen hat weiche, geschmeidige Flossenstrahlen. Sein Körper ist nur unzureichend geschützt durch leicht abfallende, ganzrandige glänzende Rundschuppen. Diese Eigenschaften machen den Hering zu einem idealen, leicht zu verarbeitenden Nahrungsmittel, das gern "roh" aus der Hand in den Mund gegessen wird.

Als Wilhelm Hanneken und ich im vorigen Jahr die Emder Matjestage besuchten, fanden wir ein großes Volksfest in der Innenstadt vor. Nach einem leckeren Matjes haben wir aber vergeblich Ausschau gehalten. Matjesheringe nennt man die Jungfernheringe, die noch nie gelaicht haben und deshalb besonders fett und wohlschmeckend sind. Vollheringe werden die Fische genannt, die mit Rogen oder Milch kurz vor dem Laichen stehen. Und Hohlheringe sind solche, welche den Laich bereits abgesetzt haben und deshalb mager sind.

Der Hering ist ein gesellig lebender Fisch, der in großen Schwärmen ausgedehnte Freß- und Laichwanderungen ausführt. Der an der Südwestküste Norwegens lebende Frühjahrshering "Vaarsild" begibt sich zuerst auf die Reise in den Süden, während der genauso große, 30 bis 40 Zentimeter lange schottische Hochseehering erst im Herbst in südlicher Küstennähe ablaicht.

Der Heringsfang wurde schon in grauer Vorzeit profihaft betrieben. Der Beruf des Fischers entwickelte sich immer mehr, bis um 1700 die Hochseefischerei in Norwegen, Holland, Schottland und auch Deutschland einen ersten Höhepunkt erlebte. Der abends vom Grunde in die oberen Wasserschichten steigende Hering wurde mit Treibnetzen gefangen. Erst in unserem Jahrhundert plünderte man die Nordsee auch am Tage mit Grundschleppnetzen durch den sogenannten Trawlheringsfang.

Wilhelm Hanneken hat von seinen Fahrten auf dem alten Motorlogger "Luise Henriette" mit der Bezeichnung "AE 93" viele interessante Fotos mitgebracht, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. (Das A steht für Aurich, wo die Schiffe registriert waren, und das E für Emden als Heimathafen.) Und auch so manches Döntje kann er erzählen. Denn wenn die Arbeit an Bord auch sehr hart war, so blieb doch immer noch ein wenig Zeit für Spaß und Freude.

Der Maschinist Hermann Schmidt aus Emden konnte sehr gut auf der Geige spielen (siehe Foto) und auch herrlich singen: "Einst wollt ich mich lassen rasieren, so zwischen drei und vieren, und da ich nicht viel Geld hatt' zuhaus, ging ich den Waldberg hinauf. Und wie ich da oben nun steh und mir die Bäume beseh und schaue zum Wipfel hinauf, da seh ich ein Vogelnest drauf. Ich dachte, da kraxelst hinauf. Das Kraxeln, das fiel mir nicht schwer. Wie ich oben ankam, war das Nest schon leer.

Und wie ich dort oben nun sitz, vom Kraxeln ein wenig verschwitzt, kommt so ein Pärchen versunken im Traum und setzt sich grad unter meinen Baum. Da nimmt er sie bei der Hand und sagt so allerhand: Mein Liebchen, ich hab dich so gern, mußt halt mein Weibelein werd'n. - Dein Weibelein, das will ich schon werden, aber wer soll unsere Kinder ernähren ? - Vertrau dort oben auf den Herrn, der wird unsere Kinder ernähren !

Ich schreie dort oben vom Baum: Bagage willst auch noch hab'n ? Wenn ich runterkomm, dann zeig ich euch den Herrn! - Die beiden sind vor Schreck ganz stumm. Sie denken, daß der liebe Herrgott nun kumm. Dann sind sie gerannt über Stecken und Strauch und ich hab gehalten vor Lachen mein'n Bauch."


 

Wenn die Heringslogger zum Fangplatz auslaufen, hat die Mannschaft nicht allzuviel zu tun. Unser Foto zeigt die traditionellen Seemannsarbeiten "flechten un plüsen". Hier wird für das Reep eine Unterlage erstellt. Diese Matte soll verhindern, daß das Reep in der Klüse durchscheuert, wenn das Schiff bei starkem Seegang "arbeitet".


 

Nach dem Schlachten werden die Heringe auf dem Vordeck gesalzen und kommen in Kantjes. Ein Kantjes entspricht etwa einem auf See gepackten 100 kg Heringsfaß. Rechts bringt der Matrose einen Korb gekehlter Heringe. Jetzt muß auch der Maschinist (links) mithelfen und Salz nachfüllen. Selbst Kapitän Reck hat die Ärmel aufgekrempelt, denn es ist wichtig, daß der gekehlte Hering so schnell wie möglich konserviert wird.

 

 

Im Emder Hafen auf den leeren Kantjes: links Schiffsjunge Heinrich Fecker, Ostrhauderfehn, in der Mitte Schiffsjunge Wilhelm Abels, Langholt, und rechts Matrose Heinrich Hanneken, Westrhauderfehn.

 

 

Feierabend an Bord. Die Mannschaft der "Luise Henriette" (s. F.K. v.16.11.89) hatte einige lustige Musikanten dabei, so daß niemandem die Zeit lang wurde. Links an der Mandoline Müller aus Timmel, an der Quetschkommode Steuermann Hein Tapper und rechts mit der Geige Maschinist Hermann Schmidt aus Emden (siehe Text).


 

Der Tag neigt sich seinem Ende zu. Die Kantjes werden dicht geschlagen und unter Deck gebracht. Vorher müssen die Bänder angedreht werden. Dann bohrt man ein kleines Loch und bläst Luft in das Holzfaß. Wenn das Kantje nicht ganz dicht ist und der Hering verderben kann, muß das Leck gesucht und mit Hanf abgedichtet werden. Ganz rechts Wilhelm Hanneken.

 

 

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