Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
Privatschüler Roelf Müller betrachtet seine selbstgebastelte Windmühle im Garten hinter dem alten Edenschen Haus. Neben ihm steht Jürine Renken, dahinter Wilhelmine Plümer (verheiratet mit Claas Grünefeld in Breinermoor), und das Mädchen davor ist unerkannt geblieben. In der Mitte die Klassenlehrerin Christine Bourbeck, die die „Höhere Privatschule“ von 1914 bis 1916 leitete. Dann folgt Gerda Schomaker, die später auf der Bank arbeitete. Anna Müller, die Helmer Dirksen aus Weenermoor heiratete, dahinter: unbekannt; davor Ida Plümer, später verheiratet mit Artur Loger, und ganz rechts Irene Ulpts. An die Namen des Jungen ganz links (Otto „Top“ Leewog?) und an die vier Jungen im Vordergrund kann sich die fast 88jährige Anna Dirksen nicht mehr erinnern. |
Die Wassermühle am Hauptfehnkanal. Hannes Kruse von Idafehn und Heini Baumfalk waren „up Visit bi’t Watermöhlen. Es waren die Vettern von Mathilde (Tilli) Baumfalk, die vor der „Meermühle“ sitzt. Die Aufnahme wurde wahrscheinlich von Hermann oder Gerd Baumfalk gemacht und der zerstörte obere Teil von Hermann Freede nachgemalt. |
Der heutige heimatkundliche Bericht handelt von einem noch jungen Verein, der sich erst am 7. Februar dieses Jahres gebildet hat. Es ist der „Mühlenverein Hahnentange“, der mit gewaltiger Kraftanstrengung seiner Mitglieder die Flügel des Galerieholländers zu Ostern in den Wind drehen will. Fast täglich wird in und um die Mühle herum gewerkelt.
Im Erdgeschoß werden die Besucher eine Vielzahl kleiner Mühlen sehen, die Kinder aus Legosteinen während der Ferien gebaut haben. Der Gedanke kam uns beim Betrachten einer alten, braunstichigen Fotografie aus dem Jahre 1915. Dort steht der Knabe Roelf Fleßner Gerdes Müller und betrachtet stolz seine selbstgebastelte Windmühle. ,,Morgen kommt der Fotograf", sagte die Lehrerin Bourbeck zu ihrer Klasse. Die Ankündigung eines so wichtigen Ereignisses veranlaßte alle Mütter, ihre Töchter aufzufordern, die frisch gewaschenen Kittelschürzen aus der Kleidertruhe zu holen. Die Jungen mußten sich ihren Sonntagsanzug anziehen, und die Schülermütze wurde solange gebürstet, bis sie fast wie neu aussah.
So vorbereitet stellten sich die Kinder der „Privatschule Westrhauderfehn“ im Garten hinter dem ehemaligen Edenschen Haus auf (heute Stellamanns) Der angereiste Fotograf stellte die Mühle auf einen morschen Weidezaunpfahl und ließ sie von zwei Jungen betrachten. Daneben gruppierte er einmal drei und dann noch einmal vier Mädchen um die Klassenlehrerin in der Mitte, und vorn auf den Boden setzte er eine weitere Jungengruppe. Überall liegen Schulbücher und Schultaschen herum. Das Mädchen rechts weiß nicht so genau, wo es hingehört, und die vorletzte Schülerin verdeckt ihre Freundin - da hat der Fotograf nicht aufgepaßt.
Diese Gruppenaufnahme ist ein typisches Stimmungsbild, komponiert und zusammengestellt nach dem Geschmack der Kaiserzeit. Von den Kindern der ehemaligen ,,Höheren Privatschule Westrhauderfehn" gibt es drei Fotos, eins aus dem Jahr 1910, eins von 1911 und eins aus dem Jahr 1913. Dieses Foto aus dem Jahr 1915 ist bislang nicht veröffentlicht worden. Es ist also eine Neuentdeckung, die der ,,Mühlenverein Hahnentange" zu Ostern in seinen Ausstellungsräumen zeigt.
Zwei Photoraritäten
Wir wissen heute nicht mehr viel über den jungen Müllersohn Roelf, denn die meisten Familienunterlagen sind bei der Katastrophe 1945 verbrannt (S. FK v. 26.4., 19./26.7. und 23.8.1990). Aber ähnlich wie sein Vater Tjebbo Rudolf Müller war auch sein Sohn ein Bastler und Tüftler. Roelf ging damals zur „Höheren Privatschule", um sich auf den Übergang zum Gymnasium vorzubereiten. Diese Schule wurde 1909 durch ein Kuratorium unter dem Vorsitz von Obergerichtsvollzieher Friedrich Olthaver gegründet. Mitglieder in diesem Kuratorium waren u. a. der damalige Pastor Voß und der Postmeister Strohschnieder. Der erste Unterricht begann am 1. Mai 1909 im Café von Bäckermeister Saadhoff (später Töbermann, heute van Osten), das morgens „as neijmodschen Kram" bislang meistens leerstand (s. FK v. 10.3.88). Schon ein Jahr später mußte diese Privatschule umziehen in das alte Edensche Haus. Im Garten hinter diesem heute nicht mehr vorhandenen Haus dürfte unsere Aufnahme im Sommer 1915 gemacht worden sein.
Ist dieses kleine braune Foto schon eine Rarität, so ist das andere nicht weniger selten. Der Zahn der Zeit hat daran genagt. Der obere Teil fehlt gänzlich und wurde von Hermann Freede nachgezeichnet. Heinrich Gosch weiß über die beiden ehemaligen Wassermühlen am Hauptfehnkanal anschaulich zu berichten.
Das Oberflächenwasser wurde einst durch das Langholter Tief entwässert. Durch den Bau des Hauptfehnkanals verlandete der nördliche Teil des Langholter und Rhauder Meeres immer mehr. Um dieses riesige Stück Land wenigstens im Sommer zum Heuen nutzen zu können, mußten windangetriebene archimedische Schrauben das Wasser aus dem Rhauder Meer bei Ebbe in den Hauptfehnkanal ,,pumpen". Dafür bauten die Rhauderfehngesellschaft und die Holterfehner Gemeinde, der ein Teil des Rhauder Meeres durch Ankauf gehörte, jeweils eine Schöpfmühle dicht bei einem Zuggraben zum Rhauder Meer, denn die Grenze verlief genau zwischen diesen beiden Mühlen.
Die Holterfehntjer ,,Meermöhlen“, eine Ständermühle, lief eines Tages bei drehenden Winden („de Wind spölt“) plötzlich rückwärts und kam dadurch in Brand. Heinrich Gosch kann sich erinnern, daß sein Schwiegervater erzählte, daß etwa zur gleichen Zeit Tammingaburg abgebrannt war. Ekko Vietor kam deshalb ans Meer, um sich die Pitchpinebalken der abgebrannten Mühle zu holen, aber diese waren zu kurz und hatten zu viele Löcher für die Verstrebungen, so daß er sie zum Wiederaufbau der Tammingaburg nicht gebrauchen konnte.
Das obere Lager für die Achse dieser Ständermühle war aus Sandstein. Unten stand der ,,König" (die Königswelle) auf einem großen Eisenfuß. Diese Königswelle trieb die archimedische Schraube an. Der gelochte Sandstein und der schwere Eisenfuß lagen noch lange bei der ehemaligen Schöpfmühle, bis Heinrich Gosch beide Teile 1963 dem Heimatmuseum Westrhauderfehn schenkte.
Die andere Mühle mit den Ländereien hatte Enno Hinrichs aus Potshausen von der im Inflationsjahr 1923 aufgelösten Fehncompagnie gekauft. Hier gibt es ein Problem. Tatsache ist, daß die Fehncompagnie 1921 in einer Anzeige und einer redaktionelle Notiz ihre windangetriebene Wasserschöpfmühle zum Verkauf anbot. In der „Niedersächsischen Mühlengeschichte“, Hannover 1978, von Wilhelm Kleeberg, steht deshalb, daß das Oberteil der Mühle in den Landkreis Norden verkauft und dort wiederaufgebaut wurde: ,,Die Tjadensche Holländerwindmühle in Menstede-Coldinne ist ein 1922 von Westrhauderfehn nach hier versetzter Erdholländer mit Steert. Sie war in Westrhauderfehn als Wasserschöpfmühle genutzt worden." In dem Buch von Wolfgang Fröde, ,,Windmühlen", Hamburg 1987, ist sie auf S.50/51 farbig abgebildet. ,,Großheide-Südcoldinne, Entwässerungsmühle: Die Mühle wurde im Jahre 1922 aus Westrhauderfehn nach hier versetzt und ist außer Betrieb."
Heinrich Gosch aber behauptet Stein und Bein, daß er die Schöpfmühle 1930 noch in Betrieb gesehen habe, wie die archimedische Schraube das Wasser in ein Betonbecken hob, von wo es bei Ebbe in den Hauptfehnkanal abfloß. Und diese Behauptung wird durch das Foto gestützt, denn es muß etwa um 1930/31 aufgenommen worden sein. Vor der Schöpfmühle sitzt Mathilde Baumfalk, die verstorbene Ehefrau von Heinrich Gosch. Der Junge rechts ist Heinrich Baumfalk und der links ist ,,Hannes" Kruse.
Der Schriftführer im Imkerverein, Hans Kruse, ist heute 70 Jahre alt und lebt an der Langholter Straße in unserer Nachbargemeinde Ramsloh. Als er ein ,,junger Bengel" war, fuhr er mit seinem Bruder Bernhard an jedem freien Nachmittag zur Großtante Gesine Baumfalk ans Meer. ,,Dat Meer hett uns immer antrucken", erzählt Hans Kruse, dort konnten wir vom Boot aus den ganzen Tag fischen, Entennester finden, ,,aovers de Eier düssen wi nich mitnehmen, dat wull Sinitant nich hebben", und abends mußten die beiden die Blutegel mit einem Nähseidenfaden von den Waden abstreifen. Verschiedene Male sind sie sogar mit einem Paddelboot ganz von ldafehn über Holterfehn zum Meer gepaddelt. Ein herrliches Paradies voller Fische und Vögel! Besonders an dem zwei Meter breiten gemauerten Siel im Hauptfehnkanal mit seinen hölzernen Toren, durch die das Wasser von der Schöpfmühle ablief, konnten die Jungen viele Fische fangen.
Damit ist das Rätsel um die verkaufte oder nicht verkaufte Schöpfmühle am Rhauder Meer leider nicht gelöst. Eine Lösung könnte sein: Vielleicht hat Enno Hinrichs aus Potshausen, der ein reicher Junggeselle mit mehreren Plaatzen war, diese verkaufte Schöpfmühle neu aufsetzen lassen, denn die gemauerten Fundamente standen ja noch. Aber wann das war, und welcher Mühlenbauer das war, und ob es überhaupt so war - wir wissen es (noch) nicht. Heinrich Gosch kann sich erinnern, daß später, als die Mühle 1931 (erneut?) abgebrochen wurde, der Holterfehner Bauunternehmer Bernhard Vietor den gemauerten Achtkant höher gezogen hatte, in der Mitte einen Schornstein einbaute und das ganze mit einem achtfirstigen Dach versah.
Hier wohnte dann einige Jahre lang Ulrich Schmidt, der als arbeitsuchender Auswanderer erfolglos aus den USA zurückgekommen war (siehe Foto in: Bruno Ewen, Ostrhauderfehn ,,wie es wurde, wie es war", S.100). Als Enno Schmidt 1933 starb, wurde Uli Schmidt Besitzer des Potshauser Plaatzes (heute Raiffeisenbank) und zog aus dem Achtkant aus. Die umgebaute ehemalige Schöpfmühle und das Land erhielt durch Einheirat Gerjet Janssen, der Bruder vom Marienheiler Tierarzt Janssen. Das Gebäude verfiel während der Kriegsjahre immer mehr. Die herumliegende Mühlenachse schenkte Gerjet Janssen dem Stickhauser Heinrich Bürjes.
Heinrich Gosch weiß auch zu berichten, daß mitten in Holte zwischen Burlager und Gosch, aber auf der andern Seite zum Hammrich hin, früher eine ,,Tichelei" gewesen sei. Dort, so erzählte seine Mutter früher, habe eine windangetriebene ,,Kleimöhlen" gestanden, von der es aber kein Bild gibt. Selbst Heide Braukmüller, Weener, hat in ihrem Buch ,,Van Kleiland, Tichelwarken un Backstenen" keine Abbildung von solch einer windangetriebenen Kleimühle.
Und wenn Heinrich Gosch auf Holte zu sprechen kommt, dann glänzen seine Augen. In dem ehemalig weitbekannten Marktflecken habe westlich der Häuser hinter der Griepenburg eine Windmühle gestanden. Denn in der Rhauder Kirche steht auf dem ersten Leuchter geschrieben: ,,DIESE KRONE HABEN DER EHR UND ACHTBARE PELMÜLLER MSR. IOHANN lANSEN STEENBLOCK IN HOLTE UND DESSEN EHR UND TUGENDSAME EHEFRAU HISCHE FOLRICHS AUS LIEBE ZU IHREM ANDENKEN DER KIRCHE ZU RHAUDE GESCHENKET. 20.TEN APRIL DES IAHRES 1793. HEILAND SCHEIN IM HERZENSGRUNDE LASS UNS LEÜCHTEN ALS EIN LICHT: DAS DIE IN DER ABENDSTUNDE: AUF DEM LEUCHTR ZU GERICHT. D. S. FISCHER. PREDIGER.DES.ORTS." Dirk Siebens Fischer war Pastor in Rhaude von 1790 bis 1801, wie jeder auf der rückwärtigen AItarwand nachlesen kann.
All diese Dinge will der ,,Mühlenverein Hahnentange" aufschreiben und in kleinen Heften für die Heimatfreunde herausgeben. Die Osterbesucher der Windmühle Hahnentange können das, was diesmal im Fehntjer Kurier steht, auf anschaulichen Tafeln nachlesen. Ganz besonders sei auf eine bis heute völlig unbekannte Karte von 1808 hingewiesen, die gezeichnet wurde, um den Bau eines ,,Mühlenweges" von West- nach Ostrhauderfehn zu ermöglichen.
Zur Verfügung gestellt von Anna Dirksen, Heinrich Gosch und Heinrich Reents.
Foto: Heinze.
Der erste Kronleuchter in der Rhauder Kirche, gestiftet vom Holter Müllermeister Steenblock im Jahre 1793. |
Feine Gardinenstickereien mit Mühlenmotiv, gesehen in Rajen. |
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