[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 07.03.1991


 

„Scheef Sporen“ konnte Ritter gar nicht leiden


 

Eines Morgens vor der Arbeit, als die Sonne den Morgendunst noch nicht durchbrochen hatte, setzten sich die Domänearbeiter auf eine Mauer bei den Silos und ließen sich von einem jungen Arbeiter, der gerade eine Kamera bekommen hatte, fotografieren. Von links: Hinnerk Sanders, unbekannt, Hermann Krumminga mit Zigarette, vorn, unbekannt, dahinter Klaas Griepenburg, daneben Kutscher Heyo Wessels, dann Lambertus Luikenga mit Pfeife und Hinnerk Haats. Der kleine Kopf im Hintergrund konnte nicht identifiziert werden, davor Leon Fligiel, dann Hermann Groeneveld. Zwei unbekannte junge Arbeiter hintereinander, dann mit Zigarette Gerhard Luikenga, zwei weitere unbekannte Arbeiter, und der vorletzte ist Bernhard Poppen.


 


 

Domäneverwalter Heinrich Müller mit seiner Frau Berta und seinem Sohn Heinz vor der Tür des typischen Domänegebäudes bei Bermuthfelden im Abelitzer Moor.


 

 


 

Schmiedegeselle Poppen stand 10 Stunden auf dem Lokomobil


 

Ein Mehrscharpflug, wie er in der Anfangszeit der Urbarmachung in Wiesmoor und Abelitzmoor eingesetzt wurde. Interessant die „doppelte Bereifung“ in der Furche. Oben rechts die Öse für den Haken vom Seil des Lokomobils.


 


 

Der 87jährige Bernhard Poppen, der als Schmied auf der Domäne gearbeitet hatte.


 

 


 

Unser ausführlicher Bericht über die Geschichte der Domäne im Overledingermoor ist nicht nur im Südteil der Gemeinde Westoverledingen ausführlich gelesen worden. Auch aus Lingen erhielt der Fehntjer Kurier Post von Heinz Brunswig. Er hat in den dreißiger Jahren mit dem ostfriesischen Baumeister Egbert Leerhoff, der die Gebäude der Domäne im Overledingermoor konstruierte und dann an das Staatshochbauamt nach Lingen versetzt wurde, lange zusammengearbeitet. Ebenfalls hat sich aus Papenburg eine Freundin der Familie Müller gemeldet, und auch die ,,Maid Elli" ist durch ihre Tochter aus der Anonymität der vergessenen Geschichte hervorgekommen.

Elsine Schmidt, so ihr richtiger Name, kam mit 14 Jahren auf die Domäne. Das war 1928. Und ein paar Jahre später, als Heinrich Müller Verwalter wurde, kam sie ,,aus der Hölle in den Himmel", wie sie später ihrer Tochter erzählte. Nicht nur, daß sie ein neues Zimmer bekam - auch die Arbeitsbedingungen änderten sich grundlegend. Sie hatte jetzt vollen Familienanschluß. Als Elsine ihren Abbo Sangen heiratete und somit einen eigenen Hausstand gründete, riß die Verbindung nicht ab. Wenn Bertha Barth mit ihren beiden Töchtern die Eltern auf der Domäne besuchte, schaute sie auch bei Elli vorbei, um bei einer Tasse Tee die neuesten Nachrichten zu beklönen.

Den Anlaß, uns erneut mit der abseits gelegenen, einzigen Domäne in unserem Raum zu befassen, gab der heute 87jäh-rige Bernhard Poppen aus Flachsmeer. Er kam 1918 zum Jhrhover Schmidtbaas Lüpkes in die Lehre. Nach seiner Gesellenprüfung verdiente er beim Schmiedemeister Weert Laak in Papenburg sein erstes Geld. Aber schon bald zog es ihn auf die Domäne. Dort waren die sozialen Bedingungen besser.

Er könne sich erinnern, so Bernhard Poppen, daß zu die­ser Zeit, so etwa um 1922/23, das damalige Schweizerhaus am heutigen Schweizerweg platt gelegen habe. Das Hinterhaus sei abgebrannt gewesen. Nur im Vorderhaus konnte Verwalter Ritter weiterhin provisorisch sein Büro verwalten.

Das ursprüngliche, das erste Verwalterhaus, das habe am Ellernweg gestanden. Dort habe etwa um 1913 der erste Moorvogt Speckmann residiert. Über diesen Ellernweg, der heute zwar asphaltiert, aber wegen seiner Versackungen kaum mehr zu befahren ist, habe damals die einzige westliche Zufuhr zur Domäne bestanden. Die Milchkannen mußten mit der Lore bis zur Birkenstraße gebracht werden, wo sie dann ,,de Melkfohrer" mitnahm zur Molkerei Jhrhove.

Selbst später noch, als das oben genannte Schweizerhaus gebaut wurde, hat die Domäne nicht selbst gebuttert Die Milch wurde weiterhin ,,bit na't Krüzung brocht". Poppen kann sich erinnern, daß der Schweizer Jan Blank einen festen Monatslohn erhielt und verschiedene Deputate. Als zweiter Melker arbeitete Albert Schmidt und als dritter Melker Simon Loers auf der Domäne. Selbst als eine neumodische Melkanlage in die Stallungen der Hauptdomäne eingebaut wurde, waren vier Mann notwendig, um die anfallenden Arbeiten zu erledigen.

In diesem eben genannten Schweizerhaus arbeitete zwischen 1923 und 1927 der Verwalter Ritter, der im 1. Weltkrieg einen Arm verloren hatte. Er war ein fixer Kerl, wie Poppen erzählt. Mit Riesenschritten lief er über die wenigen Sandwege oder auch querfeldein. Radfahren konnte er nicht, dafür sah er aber jede unerledigte Arbeit und Nachlässigkeiten duldete er nicht.

Das erste Domänehaus am Ellernweg wurde als ,,Gefangenenhuus" umgebaut. Von hier aus zogen die von Lingen ausgelagerten Strafgefangenen ins Moor zu den Kultivierungsarbeiten. Im Jahr 1930 wurde dieses erste Moorverwaltungshaus an Peter Lalk aus Flachsmeer verkauft. Noch heute kann man es an der mit Dachpfannen verkleideten Giebelwand erkennen.

Zurück zu unserem jungen Schmiedegesellen Bernhard Poppen. Er kam als Ablöser für Fligiel auf ein Lokomobil. Ihm gegenüber arbeitete Johann Prellhage auf dem andern Lokomobil. Den riesigen Tiefpflug bediente zuerst Gerhard Luikenga und später Bernhard Lalk. Tagtäglich brauchte solch ein Lokomobil ein ganzes Fuder Torf, wofür damals Theo Weber als Torfjunge zuständig war (s. F. K. v. 27.9.90).

Fünfzig Meter lang war das Seil, mit dem solch ein Tiefpflug hin- und hergezogen wurde. Einmeterfünfzig tief riß die Pflugschar die abgetorften Flächen auf und durchbrach das Urgestein. Am schlimmsten waren ,,de oll Knurren, dat Kienholt". Diese manchmal weitverzweigten Wurzeln von ehemals riesigen Bäumen ließen sich nur mit der Maschine herausziehen. Dazu mußte der Pflug ausgehakt werden, und die Männer versuchten, das Seil um den halb verrotteten Baumstumpf zu legen. Dann konnte das Lokomobil mit etwas Glück den ,,Knurren" herausziehen, und die Männer konnten wieder an ihre eintönige Arbeit gehen.

Morgens um halb sechs wurde so ein Lokomobil vorgeheizt. Um sieben begann die Arbeit. Das Wasser holten die Lokomobilisten aus dem Schlot. Alle zwei Meter gab es solche ,,Gaten", tiefe Gräben, die einst die russisch sprechenden Ostpolen gegraben hatten. Das Lokomobil saugte das Wasser selbst auf. Mit einem lnjektor gelangte das Wasser dann in den Dampfkessel. Bei zwölf atü fingen die Sicherheitsventile an zu blasen, denn der normale Arbeitsdruck bestand aus zehn atü. Wenn der Zeiger auf dem Manometer unter neun atü rutschte, konnte das Lokomobil den Pflug nicht mehr ziehen.

Zehn Stunden stand Poppen auf seinem Lokomobil, einem einfachen Auspuffer ohne Regulator. Alle Arbeitsgänge mußten per Hand mit dem Dampfhebel eingesetzt werden, und ein Auge mußte immer zum Pflug gerichtet sein. Wenn der anfing zu ,,wüppen", dann gab es schiefe Furchen, und ,,scheef Sporen" konnte Ritter gar nicht leiden.

Der Kalk sowie Kunstdünger für die umgebrochenen Flächen kamen vom Kleinbahnhof Westrhauderfehn. Wenn dort einige Waggons angekommen waren, ging es mit Pferd und Wagen sowie ein paar Gefangenen zur Bahnstation. Hier wurde der lose Kalk oder Kunstdünger erst einmal mit Karren auf eine Mutte umgeschlagen. Auf der Rajenwieke schipperten sie nun bis ,,Bakker Schmidt". Erneut mußte mit Schaufeln und Karren umgeladen werden, diesmal in Loren, die dann auf den Schienen des Russenwegs bis zur Domäne gezogen wurden. Wie die Männer am Abend aussahen, kann sich jeder leicht vorstellen!


 

Fortsetzung folgt.


 

Die Giebelwand des ersten Domäneverwaltergebäudes am Ellernweg im Overledingermoor, wie sie heute noch zu sehen ist. Das Gebäude wurde 1930 von Peter Lalk erworben.


 


 

Links das Lokomobil von Bernhard Poppen. Am linken Vorderrad steht Johann Brelage aus Papenburg. Rechts im Hintergrund der Torfwagen, den das Lokomobil immer mitschleppte, wenn es einen Meter vorfuhr. Rechts die große Egge mit doppelten Tellerscheiben, die hin- und hergezogen wurde. Bernhard Lalk dreht sich gerade um, da er jetzt mit seiner „Eit“ von dem anderen Lokomobil die 500 m lange Strecke zurückgezogen wird.


 


 

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