[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 21.02.1991


 

Gesinde wünschte sich „Jan Ruugfröst“ herbei

 

Hinter jedem Haus läßt sich leicht eine Rutschbahn anlegen. Nicht nur in Ostfriesland, auch im Osten gab es harte und strenge Winter. Hier sind es Lidia und Sygmund im Winter 1942, die in Thorn an der Weichsel vor einem Nachbarskind ihre Schlittschuhkünste demonstrieren.


 

Im Winter 1939 lag Beurtschipper Grüssings Schiff beim Verlaatshaus. Vorn auf dem Eis haben sich hinter einem Schneewall halb versteckt (von links) die Maid Elisabeth Roelfs aus Ihrhove, Ulpt Schaa mit Pelzkragen, Hans Alting, das Enkelkind von Peter Marinesse, sowie Hanni und Herwig Schaa. Etwas zurück steht Hermann Prahm, Matrose und Schiffsführer bei Ulpt Schaa. Er hat ein Beil in der Hand, mit dem er ein Bitt ins Eis schlagen sollte. Die Frauen brauchten Wasser zum Waschen, und die Regenbecken waren leer.


 


 

Auf dem Eis hatte die Schöfelbraut das Sagen

 

Der Marinesoldat Erich Angermann, der zur Wachmannschaft bei den Kasernen in Leer gehörte, hatte einen freien Tag und kam nach Westrhauderfehn. Er band sich die Schlittschuhe unter und schöfelte über die Inwieke bei Scheer bis zur Dosewieke Verlängerung, wo Gärtner Willi Nientker gewohnt hatte. Das ging damals noch, als das Fehn noch ein Fehn war! Der junge Soldat fiel 1945 bei den Angriffen auf Leer.


 

Etliche Jahre mußten wir warten, bis Väterchen Frost nun endlich auch in Norddeutschland wieder einmal regiert. „Gefroren hat es heuer" heißt es in dem bekannten Kindergedicht vom ,,Büblein auf dem Eise". Friedrich Güll beschreibt darin, wie gefährlich es ist, auf einer noch nicht fest zugefrorenen Eisdecke zu schöfeln: ,,Das Eis auf einmal knacket, und kracht! schon bricht‘s hinein." Zum Glück geht die Geschichte für das Büblein gut aus: ,,Wär nicht ein Mann gekommen, der sich ein Herz genommen - O weh! Der packt es bei dem Schopfe und zieht es so heraus, vom Fuße bis zum Kopfe wie eine Wassermaus. Das Büblein hat getropfet, der Vater hat's geklopfet - zu Haus."

Für die West- und Ostfriesen ist das Schlittschuhlaufen eine Art Nationalsport. Geschichtlich verständlich, denn mit den eisernen Kufen konnten weite Entfernungen viel leichter, angenehmer und schneller überwunden werden als mit Pferd und Wagen oder zu Fuß. Aus diesem Grunde wünschten sich die Friesen den ,,Jan Ruugfröst" sehnlichst herbei. Auf den Bauernhöfen war die Alltagsarbeit in wenigen Stunden erledigt. Das Gesinde bekam ,,schöfelfrei", und der Bauer konnte mit seiner Familie die Verwandten, Freunde und Bekannten besuchen.

,,De Deepen sünt dichte, elk wagt sück up't lis", heißt es in der Gesindekammer. ,,‘t is all in de Riege, un't Melken is daun, Jann, nu kannste van Avend up Schöfels man gahn, Jann." So beschreibt es Harbert Harberts in einem Gedicht aus dem Jahre 1869. ,,De Bahn is süver, un‘t Weer is bedaart, Jann; ik wünsk di van Harten pleseerleke Fahrt, Jann. Hier heste dien Loopers un dar ok wat Geld, Jann; mak di dar mit lüstig, ik hepp dat neet tellt, Jann."

Knechte und Mägde holten ihre Breinermoerkers vom Boden, wo diese seltsamen ostfriesischen Schlittschuhe eingefettet seit dem vergangenen Frühling hingen. Schon um 1830 begann der Schmied Koert Harms Schmidt aus Breinermoor mit der serienmäßigen Herstellung von Schlittschuhen. Aus diesem Grunde steht auf seinem Grabstein, der noch erhalten ist auf dem Breinermoorer Friedhof, das Wort ,,Schlittschuhfabrikant". Die Nachfrage nach den echten ,,KHS"-Lempen war groß. Bis zu 1300 Stück hat der Schmiedemeister mit seinen Gesellen in Handarbeit in guten Frostwintern des vorigen Jahrhunderts hergestellt.

Auf ging es zum Schöfeln! Ein seltenes Vergnügen für die „Deensten" in der früher doch recht strengen Arbeitswelt beim Bauern. Freiheit, frei von der Arbeit, frei von allen Zwängen hierarchischer Art, frei auf dem Eise dahinzugleiten, das war das Höchste, das herrlichste Vergnügen!

,,Trientje, sünt uns Schöfels blank? Tied word mi all völ to lang. Kiek' ins buten! Sülvst de Wieven willen neet mehr bi't Teepott blieven. Laten Pott un Schöffels stahn, wiln all up Schöfels gahn." - Nu man gau de Schöfels fast. Man paß up, dat‘t Band neet bast. Kumm, ik help di. As de Blixen, as een Bössel bi dat Wixen, so geschwinde mutt dat gahn.

,,Jung, dat geiht di, kiek ins up! Kiek ins vör di, wat een Trupp! Van dat gruselike Swieren fangt dat lis ok noch an't gieren. Ollen, Kinner, Groot un Kleen, allens is vandag up't Been. ,,In einem weiteren Vers berichtet W. J. Willms von den Ereignissen, die die Jungen am liebsten mögen: ,,Hör, wat swiert dor achter di? Kiek, dar snieden's all vörbi: Jann un Geske, Gerd un Trientje, ‚t geiht d'r her as bi een Lientje, de sünt van de Wolden her, kieken nich na Wind un Weer."

Auf dem Eis gilt die verkehrte Welt. Die Mädchen dürfen die Jungen auffordern, und so mancher angehende Casanova war stolz auf seine Schöfelbraut, die gerade ihm auf die Schulter geklopft hatte. ,,Man nehm di vör de Wichter und Waaken in acht, Jann, un schöfel man düchtig, dat nüms d'r over lacht, Jann." Solch ein gekonnter winterlicher Paarlauf auf ostfriesischem Eis hat, wenn man den Erzählungen glauben darf, schon zu manch glücklicher Ehe geführt.

Später hat die Mutter ihren Kindern von ihren Erlebnissen erzählt. ,,Kumm, wullt mit mi hen swieren, Jung", hebb ik an hüm seggt, ,,ik bün noch löss un free." Und dann ging es los: ,,Van Maibörg na Nörtmoor geiht dat net so liek as'n Snoer." Und verliebt guckt die Mutter durchs Fenster in die winterliche Landschaft. Doch dann wird sie wieder ernst und reißt sich los aus Ihren Träumereien von gestern und damals. „Kinner, treckt Handsken an, de Fingerknieper kummt." Und Oma lamentierte aus ihrem Hörn: ,,Wenn de Fingerbieter kummt, fangt dat Klömen un Kellen an.


 

Willst du es nicht doch mal versuchen?“ fragt Geert Janssen seine Tochter Martina. Aber die hält noch nicht viel vom Schliddern und hebt abwehrend die Schuhe hoch. Hinterm Rücken versteckt sich Ulrike, um nicht aufs Bild zu kommen. Über die Brücke im Hintergrund fahren heute die Busse zum Schulzentrum Rhauderfehn.


 

Die Mühlenwieke von Rhaudermoor, wie sie nur wenige noch kennen, war im Winter 1955/56 so fest zugefroren, daß Edith Freede herrlich schöfeln konnte.


 

Ein etwas altersschwaches Bild wohl aus dem Jahr 1944, auf dem im Vordergrund Käthe Eilers das Schöfeln mit Hilfe eines handgemachten Ostfriesen-Schlittens erlernt. Im Hintergrund steht Wilma Janssen auf der zugefrorenen Rhauderwieke. Sie wohnte mit ihren Eltern im ehemaligen Schlömerschen Haus.


 

Dort, wo heute der Autoverkehr durch die Rhauderwieke braust, gab es einstmals einen Kanal. Er war im Februar 1935 so fest zugefroren, daß Inge, die Tochter von Martin Kettler aus erster Ehe, ihre Schlittschuhe unterbinden konnte, um leichtfüßig über das Eis zu gleiten.


 

Überschwemmte Wiesen und Weiden wie hier am Langholter Tief eignen sich besonders gut als Schöfelfläche für Kinder. Links vorn Lenchen und Josef Poelker, dahinter links Franz Janssen und seine beiden Geschwister (hintereinander stehend). Daneben Elise Poelker, Erich Bohlmann und rechts Rikus Poelker


 


 

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