[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 07.02.1991


 

14jähriger sprang bei Einberufung über Bord

 

Der 67 m lange und 8,20 m breite Schleppkahn W.T.A.G. 104 lag 1928 an einem Sonntag im Dortmunder Hafen. Links Matrose Bertus de Vries aus Papenburg, dann Schiffsführer Gerd Hemmen und seine Frau Stina sowie Bruder Jakobus Hemmen, Matrose.


 


 

Schiffsführer berichtet von seiner letzten Fahrt

 

Im Dortmunder Union-Hafen liegt die private „Friesland“ und der Schleppkahn „Lenkering 19“, auf dem Bruno Hagemann aus Leer Schiffsführer war.


 

Es ist Krieg. Fernsehen und Zeitungen berichten täglich mehr oder weniger ausführlich. Die Jugend weiß nicht, was Krieg bedeutet, und sie versteht die Älteren nicht, die Angst haben, einen dritten Weltkrieg zu erleben.

Der Fehntjer Kurier möchte keine Kriegsgeschichten bringen, weder die aus dem ersten noch die aus dem zweiten Weltkrieg. Aber die vor uns liegende Geschichte des fast 89jährigen Ostrhauderfehners, die er im Dezember eigenhändig(!!) aufgeschrieben hat, möchten wir unseren Lesern nicht vorenthalten.

 

Ostrhauderfehn, im Dezember 1990

Bin 88 Jahre. Vor 18 Monate ist meine Frau gestorben. Ich bin jetzt viel alleine und habe Langeweile. Da habe ich mir gedacht, du schreibst deine letzte Schicksalsreise als Schiffsführer der W.T.A.G. von Emden nach Heilbronn und zurück auf.

 

An einem Septembersonntag des Jahres 1944 sind wir bei schrillem Sirenengeheul (Vollalarm) mit einer Ladung Getreide von Emden nach Heilbronn abgefahren. Die Fahrt bis Münster war gut. Von da an bekamen wir Tag und Nacht Angriffe von feindlichen Fliegern. In Duisburg habe ich unser Schiff auf dem Büro gemeldet und nächsten Tag ging es weiter rheinaufwärts bis Mannheim.

In Mannheim wieder Meldung erstattet. Am anderen Tag ging es weiter, am schönen Heidelberg vorbei, den Neckar hinauf bis Heilbronn. Dort hatten sie schon auf uns gewartet; wir mußten gleich löschen.

Als Ich mich in unserem dortigen Büro meldete, lag ein Telegramm für meinen Schiffsjungen vor, abgeschickt von seinen Eltern aus Dortmund. Franz, kaum 18 Jahre alt, mußte Soldat werden. Seine Antwort: ,,Nein, Herr Hemmen, ich geh' nicht weg."

Ich habe ihm gesagt: ,,Franz, dein Vater ist Zollbeamter Wenn der sagt, du brauchst kein Soldat sein, dann komm wieder." Wieder antwortete Franz: ,,Ich geh' nicht weg."

Franz war mit 14 1/2 Jahren bei uns als Schiffsjunge an Bord gekommen. Meine Frau, die bei mir an Bord war, hat ihm immer geholfen, daß er zurecht kam.

Abends sind wir zum Bahnhof gegangen und haben uns erkundigt, wie Franz von Heilbronn nach Dortmund kommen könnte. Am anderen Morgen hab' ich ihn geweckt ,,Franz, du mußt aufstehn!" Ich hab' ihm Frühstück gemacht und auch ein Stück Brot für die Reise eingepackt; Als wir dann zum Bahnhof gehen wollten, rief er auf einmal: ,,Herr Hemmen, ich geh' nicht weg!", und dabei ließ er sich ins Wasser fallen.

Ich hatte viel zu tun, daß ich den Jungen wieder an Bord bekam. Als ich ihn endlich gerettet hatte, hat er sich seine nassen Kleider ausgezogen und ist ins Bett gegangen. Er war am Weinen und bat: ,,Herr Hemmen, lassen Sie mich an Bord!" Ich habe über Tag seine Kleider getrocknet.

Am Sonntagmorgen habe ich es von neuem versucht. Ich habe ihn fest am Arm gehalten, und endlich hatte ich ihn glücklich an Land. Auf dem Bahnhof habe ich solange gewartet, bis der Zug abgefahren ist. Aus dem Fenster rief Franz noch einmal: ,,Herr Hemmen, nehmen Sie mich wieder an Bord!"

Franz wollte mir schreiben. Auch meiner Frau wollte er nach Ostrhauderfehn schreiben, denn im letzten Kriegsjahr war sie zu Haus geblieben. Franz hatte keinem geschrieben. Er hatte keine Gelegenheit dazu bekommen. Er mußte gleich an die Front. Erst viel später habe ich gehört, er sei vermißt.

Ich hatte nun nur noch einen Matrosen an Bord. Das habe ich meiner Firma gemeldet. Aber die hatten auch keinen Jungen mehr. Es war Krieg. Als wir unser Getreide gelöscht hatten, mußten wir nach Mannheim, Eisen für Duisburg laden. In Mannheim sind wir unter Bombenhagel unversehrt fertig geworden, und ab ging es nach Duisburg.

Es war Sonntag nachmittag um drei Uhr, als die drei Rheinschiffe in Andernach ankamen. Unser Schlepper, ein 2000 PS starker Raddampfer, stoppte, und wir gingen vor Anker. Als wir alles klar hatten, nahm der Kapitän sein Sprachrohr und rief: „ln Köln-Mülheim liegt die 350 Meter lange Brücke im Rhein.“ Die Fahrt war gesperrt.

Es war für uns eine bittere Nachricht. Wir mußten neun Wochen warten, bis die Fahrt wieder frei war. Es war eine schlimme Zeit. Post von zu Hause bekam ich nicht. Die Bahn fuhr nur noch unregelmäßig. Wir mußten an Bord bleiben, es konnte ja jeden Tag weitergehen.

Im Monat November bekam ich ein Telegramm von meiner Frau: ,,Bin gesund. Stina" Nun wußte ich wenigstens, daß zu Hause alles in Ordnung war. Dann war es endlich so weit, daß wir wieder fahren konnten. In Duisburg angekommen mußten wir gleich löschen, denn sie brauchten dringend das Eisen. Durch einen Großangriff wurde die ganze Stromanlage des Hafens lahmgelegt, und wir konnten nicht weiter löschen.

Zur Verfügung gestellt von Josef Bohlmann, Wilhelm Hanneken und Gerd Hemmen.

Fortsetzung folgt

 

Das 1899 erbaute Schiffshebewerk Henrichenburg für Schiffe bis 67 m Länge. Es dient zur Überwindung des rund 14 m hohen Wasserstandsunterschiedes zwischen dem Rhein-Herne- und dem Dortmund-Ems-Kanal. Die Schiffe fuhren in einen Trog hinein und wurden dann mit sieben Spindeln hochgehoben. Während des Krieges hat ein spaßiger Kerl von der Bedienungsmannschaft bei Luftangriffen immer vor sich hingepurzelt: „Lieber Tommy, flieg bitte weiter, weiter nach Berlin, da haben sie alle ja geschrien.“


 

Gerd Hemmen wird am 26. Februar 89 Jahre alt.


 

Vor dem Schiffshebewerk Henrichenburg liegt vollbeladen das W.T.A.G. Schiff „Münster 7“ und wartet auf den Hub. Rechts Schiffsführer Hinrich Börchers, in der Mitte Wilhelm Hanneken mit dem Sohn von Börchers und links Matrose Karl Schäfer.

 

 

Bernhard Bohlmann, Westrhauderfehn, 2. Südwieke, auf dem Dampfer „Ruhrort“. Am Heck steht darüber das Wort „Justitia“.


 


 

 [ Zum Seitenanfang

[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1991 ] [ Zurück zur Bildübersicht Fehntjer Kurier 1991 ]


[ Home ]
Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ] [ Links ][ Startseite ]