[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 24.01.1991


Von Abelitz als Moorvogt in das Overledingermoor I


 

Eine sogenannte Kartoffellore während des 1. Weltkrieges, die von Kindern in bewährter Technik vorangeschoben wird auf Schienen, die sich durch das ganze Moorgelände hinzogen. (Einige der von Bertha Barth geb. Müller zur Verfügung gestellten Fotos hat ein Lehrer Ebel aus Aurich aufgenommen.)

 

Das Ausmessen und die korrekte Vergabe von Torfpütten war einer von vielen Streitpunkten zwischen dem Abelitzer Domäneverwalter Heinrich Müller (links mit seinen Helfern) und den Arbeiteranführern.


 

Mit roten Drainagerohren begann Kampf um neues Land

 

Moorvogt Heinrich Müller mit seiner Ehefrau Minna Berta Winkelmann und den Kindern Heinz und Bertha im Sommer 1916 in Abelitzmoor.

 

Beim Butenostfriesenverein "Upstalsboom" in Oldenburg lernten Wilhelm Lalk und ich anläßlich unseres Dia-Vortrags über Klostermoor eine Dame kennen, die uns zwei alte Fotos mitgebracht hatte. Bertha Barth, geb. Müller, so ihr Name, lud uns ein, einmal ihre Alben anzuschauen, in denen viele Bilder vom Abelitzer und Overledinger Moor eingeklebt seien. Eine solch liebevolle Einladung ließen wir uns nicht entgehen. Es wurde zwei Wochen Später ein hochinteressanter Vormittag, über den ich an dieser Stelle gern berichten möchte.

Im Overledingerland sowie in den anderen Regionen Ostfrieslands hatten seit uralten Zeiten immer die Bauern das Sagen. Sie waren die eigentlichen Herrscher, auch wenn sich im Laufe der Jahre eine Art Hierarchie von besonders reichen Bauern entwickelte. Diese gaben sich den Titel "Häuptlinge". Sie bauten feste und wehrhafte Wohnhäuser und trennten somit die Stallungen und Scheunen erstmalig von der übrigen menschlichen Behausung.

Der Besitz dieser reichen Bauernfamilien wurde durch entsprechende Heiraten möglichst wertsteigernd vermehrt. Eigenartigerweise entwickelte sich aber in Ostfriesland nie so etwas wie die Gutsherrenhöfe im Osten Deutschlands. Dort waren es meist riesige Güter von manchmal mehreren hundert Hektaren, auf denen Korn, Kartoffeln und Zuckerrüben angebaut wurden. Viele Knechte und Mägde waren bei den Erntearbeiten nötig. Oft wurde das Korn in eigenen Brennereien zu Spiritus verwandelt.

In Ostfriesland blieb der Bauer, außer im Rheiderland und in der Krummhörn, bei seinem Milchvieh, seinen Pferden und Schweinen. Der Handel mit Pferden, Butter und Käse sowie Schlachtvieh waren die Haupteinnahmequellen. Wenn dann Seuchen auftraten oder kriegerische Soldaten das Land plünderten, hatten es die hiesigen Bauern schwer, wieder in die Gänge zu kommen.

Erst nach und nach wurde das allgemeine dörfliche Weideland, die Allmende, aufgeteilt, um Familienangehörigen eine neue Existenzmöglichkeit zu geben. Übrig blieben nur die unwirtlichen Moore und Sümpfe, wo niemand leben konnte. Hier setzte das Urbarmachungsedikt Friedrichs des Großen vom 22.Juli 1765 ein. Kultivierung war angesagt. So wie es vor ein paar hundert Jahren die Mönche des Deutschen Ritterordens im Osten gemacht hatten und andere Mönchsorden zum Teil auch in unserem nassen Ostfriesland, so sollte nunmehr jedem mutigen und kräftigen Neusiedler die Möglichkeit gegeben werden, kostengünstig Moor- und Sumpfland urbar zu machen. Zwei Diemat (und manchmal mehr) konnte er bekommen, bei sechsjähriger Abgabefreiheit und fünzehnjähriger Befreiung von der Personalsteuer, laut Erlaß vom 17.1.1779.

Das funktionierte an einigen Orten ganz gut, wie wir mit einem Blick auf unsere ostfriesischen Fehne feststellen können. Mit preußischer Gründlichkeit gingen die ortsfremden Beamten zu Werke, um die Kammereinkünfte für den Hof in Berlin zu steigern. Aber das Moor ließ sich nicht ausbeuten. Schon nach wenigen Jahrzehnten waren einige verarmte Siedlungen bekannt, und um 1840 setze eine gewaltige Auswanderungswelle nach den USA ein.

Im hannoverschen Worpswede fanden erste systematische Abtorfungs- und Kultivierungsversuche statt unter dem berühmten Moorkommissar Jürgen-Christian Findorff. Um 1890 begann dann die sogenannte "Deutsche Hochmoorkultur" im ostfriesischen Marcardsmoor einen Versuch mit wissenschaftlicher Absicherung. Die gründlichen Deutschen begleiteten die Urbarmachungs- und Kultivierungsmaßnahmen alsbald mit vielen theoretischen Erörterungen. An den Universitäten, wo die mittelalterlichen Chemiker bislang mit der Herstellung von Gold beschäftigt waren, begann seit einigen Jahrzehnten das naturwissenschaftliche Zeitalter.

Die chemischen Elemente wurden entdeckt und in eine Reihenfolge gebracht. Durch die Harnstoffsynthese von Friedrich Wöhler im Jahre 1828 wurde erstmalig ein Produkt organischen Lebens aus mineralischen Stoffen hergestellt. In der anorganischen Chemie wurde probiert, wie bestimmte Elemente sich auf das Wachstum von Pflanzen auswirkten. Der Kunstdünger wurde "erfunden" (die Agrikulturchemie des Justus von Liebig 1840) und gab den Kulturbautechnikern nunmehr die Möglichkeit, trockengelegte Regionen in Ackerland zu verwandeln. In Deutschland entstanden die ersten Fachschulen für Landwirtschaftliche Kulturbautechniken in Suderburg (Kulturbauschule), Siegen und Freiberg/Sachsen.

Heinrich Müller wurde 1885 geboren. Sein Vater war Bäcker in Uetze, und seine beiden älteren Brüder hatten ebenfalls das Bäckerhandwerk erlernt. Heinrich mußte (und wollte) sich nach einem andern Beruf umsehen. Er fand einen wohlgesonnen Sponsor, der ihm den Aufenthalt auf der Landbautechnischen Schule in Reichenbach/Sachsen finanzierte. An dieser Wiesenbaufachschule studierte er alles, was mit der Urbarmachung von Oedland zusammenhing, von der Trockenlegung bis zur Kultivierung.

Seinen ersten Job erhielt Heinrich Müller 1912 im ostfriesischen Neudorf, zwischen Remels und Wiesmoor gelegen. Hier endete im Jahre 1891 der 1827 begonnen Bau des Nord-Georgsfehn-Kanals, der erst 1922 an den Ems-Jade-Kanal angeschlossen wurde. Die Arbeit des jungen Technikers Müller, dessen Nachfolger der Verwalter Schecker wurde, der ebenfalls aus seinem Heimatort Uetze bei Hannover stammte, erschloß ihm die Kultivierungspraxis in Ostfriesland mit den vielen kleinen tausend roten tönernen Drainagerohren. Das 1908 gebaute Kraftwerk Wiesmoor befand sich in einer gewaltigen Aufstiegsphase. In Neudorf blieb Müller aber nur ein Jahr, denn schon bald wurde er nach Abelitzmoor versetzt, um hier eine Dom„ne aufzubauen. Für den jungen Kulturbautechniker Heinrich Müller begann eine steile Karriere.


 

Der junge Moorverwalter Müller mit seiner Frau und Tochter Bertha besuchen von Abelitz aus den Moorvogt May und Frau (mit den beiden Töchtern und einem Nachbarskind) auf der Hochmoordomäne Neudorf. Die ersten Domänegebäude waren aus Holz auf einem einfachen steinernen Fundament gebaut.

 

 

An diesem Haus von Oma Schiermüller zwischen Abelitz und Tannenhausen kamen die Kinder vom Moorvogt Heinrich Müller vorbei, wenn sie zur Schule gingen.


 

Auricher Schulkinder werden in Torfloren zur Abelitzer Domäne gefahren, wo sie im Herbst zum Kartoffellesen eingesetzt wurden.


 

Etwas ungeübt sieht das schon aus, was die Kinder hier machen. Aber zur Erntezeit während der "Kartoffelferien" wurde jede Hand gebraucht, denn die Männer waren im Krieg.

 

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