[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 17.01.1991


 

Nur Straßenname erinnert an Colonistenarbeit


 

Ganz hinten in der Vereinswieke stand dieses Haus von Groenevelds. Links Gerd Garrels, dann Heinrich Groeneveld, seine Tochter Gerta mit dem tollen Roller (spätere Frau Goldsweer), dann Helene Groeneveld geb. Garrels und der Besuch aus Langholt, Marie Bergenthal geb. Bunger, Heinz und Johann sowie Arnold Onni Bergenthal.


 


 

Hier blickt der Betrachter in das Ende der Vereinswieke mit den Häusern von Berend Hahn links und Heinrich Groenewold rechts. „Müllers harren up beid Sieden Land. De Post hett oll Müller sülvst mokt.“ Rechts steht Tammo Hesenius und läßt sich mit seiner eigenen Kamera fotografieren.


 


 

„Bi Hochwater kwem he nich över’t Deep“


 

Blick von der Rhauderwieke in die Vereinswieke mit dem abbaubaren Battenpost in der unübersichtlichen Kurve von Rhaudermoor. Es war ein ,,Interessenten-Post", das heißt, diese Brücke mußte von etwa sechs Anliegern (Interessenten) unterhalten werden. Oft gab es ,,Scheel um de Planken", die dem Gewicht eines Müllerwagens von zwei Tonnen standhalten mußten. Diese Brücken wurden von den Gemeinden kontrolliert, nicht von der Fehngesellschaft. Links die Häuser Janssen, Annäus Onken und weiter hinten Gerd Park. Rechts auf Ukens Landstelle steht heute eine Tankstelle, dahinter Schumann, Didi Meyerhoff und Boekhoffs Haus. Auch die Vereinswieke hatte einen Knick wie die Rhauderwieke.


 


 

Zwischen Weihnachten und Neujahr liegen die Tage, in denen traditionell Besuche gemacht werden. Junge Leute, die aus dem Overledingerland wegzogen, kommen nach Hause und besuchen die Eltern und Verwandten. Onkel und Tanten, die nach auswärts heirateten, versuchen in den wenigen Stunden ihres Hierseins möglichst viel Heimatgefühl mitzunehmen.

All das ist gar nicht so einfach, denn die Entwicklung in den alten Dörfern ist stehengeblieben, während rundherum neue Siedlungen entstanden sind. Solche Veränderungen hat es immer schon gegeben. Wer ein bißchen weiter zurückschaut, über zwei oder sogar fünf Generationen hinweg, der erkennt, daß der weise Spruch ,,Und die Erde dreht sich doch"' zu allen Zeiten seine Berechtigung hat.

Vom alten Kirchdorf Rhaude aus wurde einst der Heidacker besiedelt. Auf dem Osterhörn entstanden erste Häuser genauso wie am Batzenweg. Die alte Heerstraße in Richtung Langholt, Bockhorst und Esterwegen wies den Weg hinein ins Münsterland. Dort, wo der Batzenweg auf den heutigen Neuen Weg mündet, stand die erste Schule von Rhaudermoorhusen im Jahr 1797.

Als die Colonisten das Untenende und die Dosewieke ausgegraben hatten und man in Rhauder-Osterfehn nicht weiterkam, entschied die Rhauderfehngesellschaft, die erste Wieke auszubauen. Die Franzosenzeit kam, die ,,Rajung Wieke" entstand (von ,,rayon", wie mit dem Lineal gezogen), und in den nachfolgenden hannoverschen und preußischen Jahren gruben die Fehntjer die Rhauderwieke. Der Ortsteil Rhaudermoor war geboren und mit ihm eine zweite Schule im Jahr 1836.

Von der Rhauderwieke zweigt zuerst die Jürgenaswieke ab, benannt nach einem der ersten Colonisten, der auch Ortsvorsteher und Bürgermeister war. Dann folgt die Vereinswieke und zuletzt die Mühlenwieke. Die Vereinswieke ist nicht nach dem Schifferverein oder einem Gesangverein benannt worden, sondern sie heißt so, weil hier alle Anlieger ,,vereint" den Kanal gegraben ~ hatten. Ganz am Ende des neuen, schiffbaren Entwässerungsgrabens zweigte noch die Cassenswieke nach rechts ab.

Wenn Didi Fehn von der Rhaudermoorer SchuIe kam, dann ging er nicht den weiten Weg bei Düpree um die Ecke zu seinen Eltern auf der Nordseite Rajen (heute Memmen), das ja bekanntlich noch zu Rhaudermoor und damit zum Rhauder Kirchenbezirk gehört, sondern er nahm eine Abkürzung. Er ging die Vereinswieke hoch ,,un leep dwars dör't Kampen no sien Ollenshuus". Nur im Frühjahr war das nicht so einfach, dann stand überall Wasser: ,,Bi Hochwater kwem he nich övert Deep." Dann lief Didi Fehn Richtung Königskiel und überquerte die Cassenswieke. Dabei fiel ihm auf, daß sich überall im Wasser dicke Aale schlängelten. Schnell holte er einen Sack, und im Nu hatte er ihn voll dicker Aale, die alle nicht tranig schmeckten.

Hier, in der Vereinswieke, war die Welt noch in Ordnung. Die Leute kannten sich alle, sie waren zum Teil noch in Pullenhütten geboren worden. Sie sangen ,,Aus dem Moore geboren", und wenn Tammo Hessenius das Schifferklavier auseinanderzog, fühlten sie sich als ,,Moorhahntjes" glücklich und gesund. Wenn "Melkfohrer" Fokko Möhlmann kam, wurde die Milchkanne in eine „holten Waskebalje“ gesetzt und an einem Tau auf die andere Seite gezogen. Wenn der ,,Postloper" kam, band er die Zeitung oder den Brief um seinen Stock und warf ihn über die Wieke. Wenn ,,Wobketant" mit einem Sack voll Torf aus der 3. Südwieke müde querfeldein stapfte, bekam sie bei Heiko Schier die drei Tassen ostfriesischen Tee und mußte dann nötig weiter, ,,Schalotten puulen un Tuffels koken", wie sie meinte.

Kaum ein Fremder kann sich vorstellen, wie es damals war, als Nachbarschaft noch kein Fremdwort war. Zwar gibt es auch heute viele Straßengemeinschaften, die zusammen feiern, Bogen basteln oder kegeln, aber irgendwie ist das anders. Es fehlt die Oma im Hörn mit ihren knöchernen Fingern, die Katze auf dem Schoß, das schüttere Haar unter der Haube, es fehlt der Herd mit dem brennenden Torffeuer und dem singenden Teekessel, es fehlen die auf dem Fußboden spielenden Kinder und der pfeiferauchende Vater.

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir können uns aber in diesen Tagen erinnern, wie unsere Groß- und Urgroßeltern lebten in einer Welt ohne Autos, ohne Fernsehen und ohne Telefon. Das alles scheint unendlich lange her, aber das stimmt nicht. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde ein Damm in die Rhauderwieke bei der Kirche gebaut. Das Wasser wurde brakig, die Wieke zu einem Verkehrshindernis. 1948/49 wurde die Rhauderwieke dann mit Unmengen von weißem Sand zugeschüttet. Auch die Jürgenaswieke, die Mühlenwieke und die Vereinswieke wurden zugeschüttet. An die fast 200 Jahre alte Colonistenarbeit, die mühselig mit der Hand gegrabene ,,Vereinswieke“, erinnert nur noch ein Straßenname. Selbst die Gemeinde Rhaudermoor existiert nicht mehr.


 

Dort, wo heute die Hosentruhe in der Rhauderwieke ist, stand einstmals dieses Haus von Schmidts. In der Mitte Minchen Schmidt, die später einen Kruse heiratete. Rechts die kleine Mimi Sonnenberg mit ihrer Mama, die später einen Ulpt van Wahden heiratete. Links steht Frau Thomssen mit Edzard (links) und Therese. Übrigens stand rückwärtig, also hinter diesem Haus landeinwärts, noch ein weiteres Haus.


 


 

Erinnerung an herrliche Sommertage auf der Vereinswieke. Das hölzerne Boot hatte Hermann Freede aus Leer besorgt und wieder instand gesetzt. Vor dem Hahnschen Ollenhuus sitzen im Boot an den Riemen Vetter Ernst Hillers, mit den Flechten Hanni Fischer aus Norden, links neben ihr Ferienkind Paula Mügler und achtern Mathilde Mütz aus Ihrhove.


 


 


 

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