[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 22.11.1990

"Tegen de sall uns Moeder nich lieggen"
Hier sind Buchführung und Menschenkenntnis gefragt

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"Tegen de sall uns Moeder nich lieggen"
Hier sind Buchführung und Menschenkenntnis gefragt

Schon lange vor Allerheiligen und der etwas später liegenden "stillen Woche" sind viele Menschen fleißig dabei, die Gräber ihrer Eltern und Großeltern, der Verwandten und der Alleingelassenen für den Winter herzurichten. Die Einfassungen werden mit viel Wasser geschrubbt, der Stein mit einem weichen Tuch blankgerubbelt, das alte Strauchwerk entfernt, die Erde aufgelockert und mit Tannengrün abgedeckt. Ein neuer Grabschmuck und, je nach Konfession, auch eine Grableuchte erinnern in den dunklen und kargen Wintermonaten an unsere Vorfahren und damit an die Menschen, denen wir unser Dasein zu verdanken haben.

All das geschieht auf dem Kirchhof, der nur noch bei wenigen Gotteshäusern direkt um das Gebäude zu finden ist. Früher war dieser Kirchhof mit einer Mauer eingefaßt und hieß "Gottesacker". Heute sind daraus vielfach gemeindeeigene Friedhöfe geworden, auf denen auch Konfessionslose und Andersgläubige beerdigt werden können.

Der lange Trauerzug bewegt sich nun an Tinnemeyers abgebranntem Haus und Bothens wieder aufgebautem Haus vorbei in Richtung Friedhof. Es sind aber immer noch einige hundert Meter zu bewältigen. Für manchen, der nicht mehr so "beenig" war, eine lange Strecke. Ganz hinten ein Trauergast mit Zylinder und Fahrrad.

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Heute haben wir eine Art Staatskirche, die automatisch die Kirchensteuer erhebt. Wir sehen das auf unserer Lohnabrechnung und auf der Steuerkarte oder bei der Einkommensteuererklärung. Früher gab es das nicht, da war die Kirche viel selbständiger. Sie rechnete mit ihren Gläubigen direkt ab. Die Bauern mußten nach der Größe ihres Landbesitzes Kirchensteuern bezahlen. Dafür hatten sie dann auch das Recht, in der Kirche eine Bank oder mehrere Sitze käuflich zu erwerben. Sogar auf dem Kirchhof wurden Grabstellen verkauft, nachdem die Plätze in der Kirche vor oder hinter dem Altar nicht mehr als Gräber benutzt werden durften.

Vor mir liegt ein solches Verzeichnis aller Grabstellen unsere Muttergemeinde, der Kirche von Rhaude, aus dem Jahre 1768. Auf Anordnung allerhöchster Stellen mußte in jenen Jahren eine solche Bestandsaufnahme aufgezeichnet werden, die glücklicherweise erhalten geblieben ist. Auch heute werden solche Verzeichnisse geführt. In Ostrhauderfehn hat Egon Taute dieses Amt von seinem Vater Johann Taute übernommen. In einem dicken, schweren Folianten sind die Grabstellen auf dem Friedhof Untenende verzeichnet.

Das Deckblatt des Gräber-Verzeichnis von Rhaude aus dem Jahre 1768.

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Es ist das sogenannte Lagerbuch dieses Friedhofs, das Hauptlehrer und Organist Ludwig B. Harms etwa um 1890 angelegt hat, als das Pastorenhaus und die Kirche in Ostrhauderfehn gebaut wurden. Der Friedhof allerdings bestand schon seit dem Jahre 1834 im Untenende. Die Urkunde über den Kauf des ein Viertel Diemath großen Stücklandes ist erhalten geblieben. Pastor Nellner von Westrhauderfehn mußte manchen beschwerlichen Weg auf sich nehmen, um auf diesem neu angelegten Friedhof in der Moorgegend Ost-Rhauderfehn die Verstorbenen zur letzten Ruhestätte zu begleiten.

Mester Harms hat viele alte Grabstellenbelegungen dieses ersten Friedhofs in das neue Buch hineingeschrieben. Die älteste Belegung datiert vom 8.September 1852, als Lammert Pocker beerdigt wurde. Der Grabstein allerdings ist nicht erhalten geblieben. Beim Bau der Friedhofskapelle 1977 sind leider viele alte, schön gemeißelte Grabsteine in die Fundamente des neuen Bauwerks einbetoniert worden. Heute - und damit kommen wir auf die veränderten Bedingungen unserer Weltgeschichte - ziert ein ganz anderer Stein diese Grabstelle: Mustafa Hamurpet, steht da zu lesen, geb. 11.6.1955, gest. 16.12.1987.

Der Trauerzug vor der Ruine vom Kaufhaus Cornelsen, dahinter die grüne Baracke. Rechts im Hintergrund das Geschäftshaus von Hinrich Reents.

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Das zweitälteste Datum betrifft einen Mann aus meinem eigenen, angeheirateten Stammbaum, den Erdwien Erdwiens, der am 29.9.1866 beerdigt worden war. Das heißt nun natürlich nicht, daß zwischen 1852 und 1866 niemand in Ostrhauderfehn gestorben und beerdigt wurde. Viele Neu-Ostrhauderfehntjer hatten ihre Familiengrabstellen noch in der Muttergemeinde Rhaude. Zudem hatten die Osterfehntjer Neukolonisten nicht immer genügend Geld, um eine Grabstelle noch eine zweite Periode von 25 Jahren bezahlen zu können. So kommt es, daß viele alte Grabstellen schon bald wieder neu belegt werden konnten.

Der Leichenwagen von Tammo Drathjer aus Idafehn hat den Sarg von Hauptlehrer Thee Baumann abgeholt. Von der Ostrhauderfehner Hauptstraße ging es Ende 1958 zum Untenende und über den Voßweg zur Schulwieke zu Fuß zum Holterfehner Friedhof.

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Irgendwann wird jeder Friedhof einer Gemeinde mit zunehmender Bevölkerung einmal zu klein. So mußte auch Ostrhauderfehn einen zweiten Friedhof anlegen. Die Obenendjer war sehr froh darüber, entfielen doch nun die manchmal bis zu zehn Kilometer langen Fußmärsche bei einer Beerdigung im Untenende. Eine ehemalige "Torfsteh" in der 3. Südwieke, die dem Fischdampferkapitän Wilke Reemts beziehungsweise später dessen Schwiegersohn Harmannus Ibelings gehörte, hatte die Kirchengemeinde günstig erwerben können. Eine Firma richtete den neuen Friedhof den Vorschriften entsprechend her. Die erste Beerdigung fand dort 1959 statt. Tinus Groote, ein gebürtiger Holländer mit Namen Luttinus, der seine Frau bei Cordes in Burlage kennengelernt hatte, hatte vorhergesagt: "Wenn ik na boben henkumm, word't Weer beeter". Das Wortspiel "Bobenentjer Karkhof" und "Boben" für "Himmel" war typisch für diesen Mann. Und siehe da, es wurde ein wunderschöner wenn auch arg trockener Sommer im Jahr 1959.

Die Verantwortung für den Untenendjer Friedhof hatte Johann Taute Ende des Jahres 1948 übernommen. Seit seinem Tode 1971 führt dieses Amt sein Sohn Egon weiter. Für den Obenendjer Friedhof versieht Ulrich Schmidt diesen Dienst von Beginn an. Neben der Buchführung gehört viel Menschenkenntnis dazu, die trauernden Angehörigen bei der Wahl für die letzte Ruhestätte zu beraten. Man mag es nicht glauben, aber es ist eine mehr als traurige Wahrheit, daß selbst über die letzten zwei Quadratmeter manchmal viel Streit entsteht. "Tegen de sall uns Moeder nich lieggen" heißt ein möglicher Einwand. Vergeblich ist die Mahnung: "Der Friede sei mit Euch".

Von der Bestattung vor dem Altar, die früher nur vornehmen oder adeligen Menschen erlaubt war, bis hin zum Armengrab oder der Beerdigung "buten Kring" gibt es auch nach dem Tod noch Unterschiede. Verständlich, wenn manche Menschen wünschen, daß nach ihrem Tod kein Aufhebens mehr gemacht werden soll. Eitel sind die Menschen. Wir sehen es immer wieder auf den Friedhöfen. Die letzte Ruhestätte, so steht es in manchem altem Testament, "darf auf ewige Zeiten nicht berührt werden".

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Oekonom Otto Weers vom Untenende in Ostrhauderfehn war am 9.Mai 1950 verstorben. Er wurde am 13. Mai beerdigt. Um zum Friedhof zu gelangen, mußte die Trauergemeinde die neue Brücke beim ehemaligen Gemeindehaus benutzen. Wenn die Brücke geöffnet war, gebot ein Schlagbaum den herannahenden Autofahrern das "Halt". Ganz links Pastor Küttner, davor die Nachbarn als Träger. Den Leichenwagen von Plümer fuhr Jürn Jelden.

Die Aufnahmen stammen vermutlich vom Fotografen Winter, der nach Kriegsende eine zeitlang in Ostrhauderfehn lebte und arbeitete. Durch seine Frau, die aus Holland stammte, kam er an die damals kaum zu kaufenden fotografischen Utensilien heran. - Zur Verfügung gestellt von Egon Taute.

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