[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 15.11.1990

Das Leben machte es ihm nicht leicht
Hermann Freede sah Umwelt mit dem Auge des Künstlers

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Das Leben machte es ihm nicht leicht
Hermann Freede sah Umwelt mit dem Auge des Künstlers

In vielen Fehntjer Häusern hängen Bilder oder wenigstens Kalenderblätter, die mit "H. Freede" und einem langem Strich darüber signiert sind. Auch ich habe ein solches Bild einmal geschenkt bekommen. Hermann Freede ist kein Unbekannter, und doch: Wer kennt schon einen Menschen ganz genau ?

Fast alle Werften im Overledingerland hat Hermann Freede nach und nach ausfindig gemacht. Ältere Helgennachbarn erzählten ihm, wie solch eine Helling früher einmal ausgesehen hat. Mit Blei oder Kohle entstand eine erste Skizze. Später wurde daraus ein Aquarell oder ein Ölbild. Nicht die fotografische Reproduktion war Freedes Ziel, sondern das Einfangen der Arbeitsbedingungen unserer Vorfahren. Menschen haben Schiffe und Häuser im Schweiße ihres Angesichts gebaut, und der Betrachter spürt in jedem Bild die Atmosphäre einer "guten" alten Zeit, in der die Menschen unter kargen Bedingungen immer wieder hervorragendes geleistet haben.

In all den vielen Artikeln, die bislang über ihn geschrieben wurden, wird Hermann Freede immer wieder "Kunstmaler" genannt. Eine seltsame Bezeichnung. Ist Freede kein Künstler? Kann er "nur" kunstvoll malen? Sind seine Bilder also keine Kunstwerke? Das sind einige Fragen, die mir durch den Kopf gingen, als ich mich auf ein Gespräch mit ihm vorbereitete.

Wer einmal in Leer oder anderswo die langmähningen Straßenkünstler gesehen hat, wer in Paris, London oder in den Bergen eine Staffelei bemerkte, auf der ein Mann mit Baskenmütze mit Wasser- oder Ölfarben ein Bild fertigte, wer vielleicht schon einmal auf einer Ausstellung war und dem Künstler vorgestellt wurde, wer sogar eine exklusive Vernissage miterleben durfte, der weiß, daß Künstler ein eigenes Völkchen sind. Und heute im Zeitalter der Emanzipation ist es gefährlich, nur von "Künstlern" zu sprechen, gibt es doch mittlerweile immer mehr Künstlerinnen, die manchmal sogar eine eigene Galerie besitzen.

Ich will jetzt gar nicht von Michelangelo, van Gogh oder Gauguin berichten, sondern von einem Mann, den sein Vater und seine Mutter mit dem Vornamen "Hermann" bedachten. Der Vater war Schuster in Leer. Die Mutter kam aus dem Harz. Sie war in Braunschweig bei einem Konsul Brouwer in Stellung gewesen, und ist, als dieser mit der Familie nach Leer verzog, mit nach Ostfriesland gekommen. Das Ehepaar Freede hatte fünf Kinder. Die beiden 1905 und 1907 geborenen Jungen, Hermann und Karl, spielten auf der Straße, sie gingen zur Schule und plötzlich brach der 1. Weltkrieg aus.

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Davon verstanden die Kinder nicht viel. Die Jungen waren viel lieber am Hafen, saßen hinter der "Waage" auf dem Kai und schauten den Segelschiffen nach. Eins fiel ihnen besonders auf. Es gehörte dem Kunstmaler Poppe Folkers aus Norderney, der ab und zu nach Leer kam. Mit ihm freundeten sich die beiden Jungen an, von ihm erhielten sie ihr erstes Stück Kohle, von ihm lernten sie, Striche auf weißes Papier zu zeichnen. Er zeigte ihnen, was eine Perspektive ist, wie die Diagonale ein Bild beherrscht und wie ein Schatten entsteht.

Der erste Weltkrieg war aus, und Hermann verließ die Volksschule. Natürlich sollte er einen ordentlichen Beruf erlernen. Aber welchen? Von seinem Onkel in Braunschweig, der dort Bühnenmaler war, hatte er in den Schulferien weitere Feinheiten aus dem Bereich der Farbenlehre erlernt. Sein Entschluß stand fest: Er wurde Lehrling bei einem Malermeister. Die Ausbildung dauerte vier Jahre und war damals lange nicht mit so viel Theorie belastet wie heute, obgleich es auch schon eine Berufsschule gab. Ein Maler hatte nicht nur Fenster und Türen zu streichen sowie Brücken und Windfehren, er mußte nicht nur tapezieren und lackieren können, Fensterscheiben reparieren und gegebenenfalls ein Schild kunstvoll bemalen, nein, es gab da auch noch eine weitere, heute leider vergessene Kunstfertigkeit, die ein Malergeselle beherrschen mußte.

Schon als Malerlehrling beschäftigte sich Hermann Freede mit Haar- und Borstenpinsel, und auf seiner Palette mischte er die Zwischentöne. Der Weg vom Maler zum malenden Gestalter, zum bildenden Künstler, verlangt viel Gefühl für Farben und Formen. Eine gute Ausbildung ist Voraussetzung für den zukünftigen Lebensweg.

Ab und zu erhielt ein Malermeister den Auftrag, in einem gutbürgerlich Stadthaus oder in einem großen Bauernhaus den oftmals riesigen Flur dekorativ zu verschönern. Das einfachste Verfahren war, über einer dunklen Abschlußlinie viele kleine rote Rosen zu malen. Oder über weißen Lacktüren eine herrschaftliche Goldkrone zu pinseln, deren Bänder rechts und links neben dem Türrahmen in eleganten Schwingungen herunterglitten. Oder einen röhrenden Hirsch ganzseitig auf eine Etagenwand über dem Aufgang zum 1. Stock zu malen. Viele Malermeister, die nicht freihändig skizzieren konnten, benutzten dazu Schablonen. Diese heute vergessene Schablonenmalerei entwickelte sich fast zu einem eigenständigen Berufszweig bei den Malern. Wer Gelegenheit hat, sich bei Dina Taute in Rajen einmal den Hausflur anzuschauen, der wird die wunderschönen Schwäne im Treppenaufgang nicht so schnell vergessen.

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Hermann Freede benötigte keine Schablonen. Schon frühzeitig hatten seine Berufsschullehrer seine künstlerische Ader bemerkt und förderten sie. Aber als er dann seine Gesellenprüfung gemacht hatte, herrschte in Deutschland große Arbeitslosigkeit. Auch Hermann wußte nicht, wo er Geld verdienen konnte. Auf einem Handwerkerfest in Leer erfuhr sein Vater, daß ein Maler Anton Meyer vom Westerfehn einen Aushilfsgesellen suchte. Hermann Freede trat seine erste Stelle in der 1. Südwieke an, schlief auf einem alten Bett im Flur - und war Pfingsten schon wieder entlassen, denn die restlichen Aufträge bis zum Winter schaffte der Meister allein. Hermann fand Arbeit bei Malermeister Rudolf Oltmanns, dann bei Hinnerk Schmidt, der seine Werkstatt im Hinterhaus des alten Bernhardschen Kaufhauses hatte, und bei Karl Olthoff in Marienheil.

Das war sein Glück. In zweierlei Hinsicht. Einmal lernte er dort beim Tanz im "Gasthof zur Erholung" seine spätere Frau kennen, mit der er sich 1925 verlobte. Zum anderen aber war Olthoff ein bekannter Bühnenmaler. Hier schließt sich der Kreis zu Hermanns Onkel in Braunschweig. Geselle Freede konnte endlich wieder einige großflächige Bilder malen, für Meyerhoffs Saal in Holterfehn, für den Bahnschen Saal im Untenende, für die Schauspieltruppe vom Chor "Feierabend". Der junge Malergeselle hatte Erfolg, er wurde mutig, denn alle lobten seine Werke. Er wurde sogar so mutig, daß er sich selbständig machte in der Vereinswieke von Rhaudermoor. Am 1. Mai 1931 zeigte er der geschätzten Fehntjer Bevölkerung an, daß er sämtliche Maler- und Glaserarbeiten billigst ausführen würde.

Als Dekorationsmaler stand Hermann Freede oft auf zugigen und kalten Bühnen in verschiedenen Sälen des Overledingerlandes, um mit großflächigen Hintergrundbildern den jeweiligen Schauspielstücken angemessen kontrastreiche Farbe und Perspektive zu geben.

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Es kam der unselige 2. Weltkrieg. Auch Hermann Freede wurde eingezogen. Fast am allerletzten Kriegstag, nämlich am 29. April 1945, erhielt das Geschütz, neben dem er marschierte, einen Volltreffer. Die schweren Eisenteile brachen ihm Arm und Bein und mehrfach sein Becken. Er kam ins Lazarett von Teupitz bei Cottbus. Eine russische Ärztin versorgte ihn. Er brauchte nicht in ein Gefangenenlager. Am 14. August 1945 kam er zurück auf sein Fehn, in seine Heimat, ein kaputter Mann, der monatlich 28 Mark Unterstützung erhielt, die er später auch noch zurückzahlen sollte.

Papa ist wieder zu Hause. Der ehemalige Soldat Freede kann seine Tochter Edith nur mit dem linken Arm festhalten. Auch Hemd und Hose schlottern noch um den ausgemergelten Körper, doch wer will das Glück dieser beiden je wieder zerstören?

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Hermann Freede - ein Kunstmaler? Nein, Hermann Freede war und ist ein Künstler. Er hat diese harten und grausamen Zeiten überstanden, weil er die Welt anders sah als seine Mitmenschen. Hermann Freede sah in jedem Baum, in jeder Blume ein Lebewesen, er sah die Tjalk oder Mutte als ein Werkstück eines Schiffsbaumeisters, das jetzt von einem Schiffer durch Wind und Wellen gelenkt wurde, er sah durch die Häuserwände die Menschen in der Wohnung, wie sie lebten und was sie fühlten. Er sah all dies mit seinen künstlerischen Augen, und er hatte das Talent, das Gesehene mit Bleistift skizzieren zu können und später mit Farben auszumalen.

Die Bilder von Hermann Freede hängen in der ganzen Welt, viele in den Staaten. Jeder, der einmal ein Bild von Freede erworben hat, liebt es, weil es ein Gefühl von Heimat, von Zufriedenheit und Geborgenheit ausstrahlt. Wer ein solches Bild betrachtet, der spürt: hier bist du zu Hause, hier kannst du jederzeit kommen, ganz gleich, wie du dich fühlst.

Es gibt kein Foto von der ehemaligen "Börg" in Collinghorst. Hermann Freede mußte sich aus vielen Einzelinformationen ein Bild machen über die Steinhäuser früherer Jahrhunderte, die im Volksmund "de Bungersbörg", "de Bessembörg" wie in Holte genannt wurden oder "Christiansbörg" in Ostrhauderfehn nach dem Sohn des Amtmanns von Glan, und die auch einigen Orten an der Ems ihren Namen gaben: Spriekenbörg, Dorenborg, Hilkenborg oder Soltborg. Hermann Freede bemüht sich, Vergangenes zu erforschen sowie bildlich und atmosphärisch darzustellen.

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