Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
Fehntjer Kurier vom 08.11.1990
Schifferverein protestierte
scharf gegen Projekte
1876 dampfte die erste Lok über
die Hilkenborger Brücke
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Wer viel in alten Zeitungen blättert, wundert sich, was wir alles vergessen haben. Die Diskussionen um moderne Verkehrsanbindungen waren damals genauso emotionsbeladen wie heute. Sind es heute der Autobahnbau im Emsland und in Ostfriesland, so waren 1910 die beherrschenden Themen der Kanalbau Kampe-Dörpen und die neue Brücke bei Leerort. Der Kreistag in Leer hatte beschlossen, eine Ledabrücke bei Tjackleger und eine Emsbrücke bei Leerort zu bauen. Gegen beide Projekte erhob der Schifferverein "Germania" Westrhauderfehn schärfsten Protest.
Auf einer Bürgerversammlung am 29. September 1910 wurde eine Resolution verfaßt und am 1.Oktober nach Berlin geschickt. Insbesondere im "Ministerium für öffentliche Arbeiten" verkannte man die Bedeutung eines solchen Verkehrshindernisses für die See- und Kanalschiffahrt keineswegs, wie die Ems-Zeitung schrieb. Somit seien in Berlin die Aussichten für den Bau einer Brücke als "ungünstig" bezeichnet worden.
Immerhin, so fuhr die Ems-Zeitung fort, könne nur dringend empfohlen werden, die Angelegenheit nicht als erledigt anzusehen, sondern weitere Bedenken den Ministerien in Berlin zur Kenntnis zu geben. Folgerichtig wandte sich dann ein namenloser Leser unter "Eingesandt" gegen die Ansicht, daß die neue Brücke den kleinen Schiffen mit niederzulegendem Mast keine Hindernisse bereiten werde, daß die Brücke eher durch den jetzigen Fährbetrieb behindert würde. (siehe Kasten)
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Vielleicht vermutet der eine oder andere ähnliche Diskussionen in den Jahren um 1856, als die Eisenbahnlinie Rheine-Emden gebaut wurde. Die Suche in den alten Zeitungen ist aber vergeblich, denn Deutschland befand sich damals in einer Aufschwungs-Euphorie. Heute, wo jeder kleine Bahnhof ums Überleben kämpft, fällt das Zurückdenken schwer. Auf jeden Fall war niemand gegen den Eisenbahnbau. Nur über die Trassierung stritt man sich (s. FK vom 19. und 26.Okt. 1989). In meinen beiden Berichten über den Bahnhof Jhrhove erwähnte ich den Abzweiger nach Holland. Im Jahre 1876 wurde die erste Eisenbahnverbindung Jhrhove-Nieuweschans über die neue Ems-Drehbrücke am 26.November in Betrieb genommen.
Bau der neuen Klappbrücke über die Ems in den Jahren 1924/26. Sie erhielt den Namen "Friesenbrücke". Im Winter mußten die Männer das Eis zerbrechen, das sonst die Hilfskonstruktion aus Holz zerstört hätte. Rechts erkennt man durch die Dalben hindurch im Hintergrund die alte Eisenbahnbrücke. |
Die etwa 300 m lange erste Eisenbahnbrücke lag 15 m stromabwärts neben der späteren Friesenbrücke. Sie hatte sechs feste Brückentragwerke und zwei Durchfahrtsöffnungen von rund 20 Meter Breite für den Schiffsverkehr. Auch damals schon werden sich die Schiffer über dieses sperrige Eisenmonstrum aufgeregt haben, aber die Kapitäne und Schiffsführer waren noch nicht so organisiert, daß ihr Protest höheren Orts gehört wurde. Auf jeden Fall blieb der drehbare Mittelteil dieser Brücke normalerweise offen wegen des damals regen Schiffsverkehrs. Er wurde durch den Brückenwärter nur geschlossen, wenn ein Zug kam.
Schon bald war diese erste Stahlkonstruktion zu schwach für den sich immer mehr steigernden Schienenschwerlastverkehr. Erste Schäden zeigten sich an den Brückenpfeilern. Die vorgesehenen Reparaturarbeiten konnten wegen des 1. Weltkriegs nicht durchgeführt werden. Erst im Jahre 1924 begann man, eine neue Brücke zu bauen. Am 27.Mai 1926 wurde diese stärkere Eisenbahnbrücke, die ein riesiges Klappteil erhalten hatte, eingeweiht. Doch schon 1945 wurde sie gesprengt, und erst 1951 rollte der Eisenbahnverkehr wieder wie gewohnt in beide Richtungen.
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Verkeilte Kupplungen verhinderten Absturz
In der Nacht vom 25. zum 26.Juli 1913 ereignete sich auf der Emsbrücke bei Hilkenborg ein Eisenbahnunglück. Die Zeitung "Rheiderland" schrieb:
"Der Zug war mit mehreren Minuten Verspätung auf der Haltestelle "Hilkenborg", die dicht vor der Emsbrücke liegt, angekommen. Eine Frau, die hier den Dienst versieht, hatte den Zug vorschriftsmäßig abgefertigt. Der Zugführer gab das Signal zur Abfahrt, dem der Lokomotivführer auch sofort Folge leistete. Keiner achtete auf das vor der Brücke sich befindende Signal, das noch auf "Halt" stand und somit anzeigte, daß die Brücke offen und noch nicht passierbar war. Nur die Frau sah es und rief dem Zugführer nach, den Zug wieder halten zu lassen; jedoch vergebens; ihre Rufe gingen in dem Getöse verloren.
Eisenbahnunglück auf der alten Emsbrücke in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1913. |
Unterdessen fuhr der Zug in langsamen Tempo seinem Verhängnis entgegen. Der Brückenwärter (er hieß Bleeker), der infolge eines gerade passierenden Schleppzuges die Drehbrücke nicht rechtzeitig hatte schließen können, sah die Gefahr, in der sich der Zug befand, und suchte ebenfalls durch Schreien die Aufmerksamkeit des Lokomotivführers zu erregen. Aber auch hier vergebens.
Da, wenige Meter vor der gähnenden Tiefe, blickte der Lokomotivführer hinaus und sah das grausige Verhängnis, dem er entgegenfuhr. Mit einer bewundernswerten Geistesgegenwart zog er blitzschnell die Luftdruckbremse und riß die Ventile auf, damit der Dampf ausströme; doch schon neigte sich die Lokomotive in die Tiefe. Mit einem kühnen Sprunge rettete sich Führer und Heizer auf den Tender. Ein heftiger Ruck, der den Zug erschüttern ließ, so daß die Passagiere unsanft durchgerüttelt wurden, und die Lokomotive rammte sich mit dem Aschenkasten auf dem Brückenpfeiler fest; gleichzeitig stellte sich der Tender hoch auf, und beide Kupplungen verkeilten sich.
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Das hierdurch entstandene Gegengewicht machte es unmöglich, daß die Maschine ganz abstürzte. Sie blieb in der oben beschriebenen Lage hängen. Die nachfolgenden Wagen, ein Gepäck- und drei Personenwagen, blieben auf den Gleisen stehen. Sogar die hintere Achse des Tenders entgleiste nicht einmal. Ein Zeichen, in welcher Sekundenschnelle sich der ganze Vorgang abspielte.
Die ahnungslosen Passagiere - 14 an der Zahl - rissen erschreckt die Fenster auf und sahen mit Grauen, wie nahe sie dem Tode waren. Sie wurden vom Zugpersonal über die Brücke zurückgebracht, mittels Fähre über die Ems gesetzt und dann mit einem sogleich herbeigeschafften Ersatzzug ihrem Bestimmungsort zugeführt.
Führer und Heizer begaben sich wieder auf ihren Posten und verließen denselben nicht eher, bis der Kessel entleert, das Feuer gelöscht und jede weitere Gefahr beseitigt war."
In einem andern Bericht heißt es allerdings, daß der Lokomotivführer mit einem Nervenschock in ärztliche Behandlung gebracht werden mußte. Ein Schwimmkran aus Wilhelmshaven, der "Lange Heinrich", hob die Lokomotive einige Tage später wieder in die Gleise.
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Wenn die Emsbrücke dort gebaut wird, wo sich jetzt der Leerorter Fährbetrieb abwickelt, so werden bei ruhigem Wetter die mit der Ebbe aus der Leda kommenden Schiffe überhaupt nicht durch die Brücke kommen können, denn der Emsstrom setzt scharf nach Land hin. Da die Brücke reichlich 500 m lang werden muß und in der Mitte eine Drehbrücke vorgesehen ist, so müssen im Strom drei Pfeiler gebaut werden und an jeder Seite wenigstens auch einer.
Der an der Leerorter Seite an Land zu erbauende Pfeiler wird von den aus der Leda kommenden Schiffen immer angerannt werden. Auch das Niederlegen des Mastes ist so ein Beginnen im Strom, denn wenn der Mast an Deck liegt, ist das Schiff bei einigem Wind vollkommen manövrierunfähig, und so ganz rasch geht das Niederlegen und Aufrichten auch nicht.
Es ist auch kaum anzunehmen, daß bei steifer Briese ein Schiffer es tun wird, denn dann muß er unter allen Umständen zu Anker gehen und oberhalb der Brücke bis zur Seeschleuse darf er das auch noch nicht mal. Ganz anders wird das Bild aber bei westlichen Stürmen. Dann wird ein leeres oder leicht beladenes Schiff wohl kaum wagen dürfen, überhaupt die Brücke zu nehmen; es muß also vor Anker gehen und warten bis besseres Wetter eintritt.
Für Segelschiffe, die unter Segel die Brücke passieren, kann man wohl getrost annehmen, daß das Passieren jedesmal mit einem durchschnittlichen Zeitverlust von 12 Minuten verbunden ist, was bei den vielen Schiffen, die dort verkehren, doch schon recht schwer ins Gewicht fällt, und wie viele Kollisionen werden nicht noch stattfinden.
Ems-Zeitung vom 11.Oktober 1910.
Zwölf Minuten Zeitverlust gaben auch 1910 schon Anlaß zu Protest - time is money!
Postkarte mit dem Motiv der alten Emsbrücke bei Hilkenborg. "Tante Mimie will nicht haben, das ich alleine nach den Tief hindarf." |
Zur Verfügung gestellt von Friedel Popkes, Hinrich Reents, Heinz Schipper und Archiv Gemeinde Westoverledingen.
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