[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 26.07.1990

Mühle "Zeldenrüst" in Brand geschossen
Moderne Motormühle setzt Tradition fort

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Mühle "Zeldenrüst" in Brand geschossen
Moderne Motormühle setzt Tradition fort

Von drei Seiten aus bewegten sich die kanadischen und englisch-polnischen Truppen durch das Overledingerland in Richtung ldafehn. Am Sonntagabend, dem 22 April, wurde die Brücke bei Marienesse gesprengt. Am Montagmorgen kamen die Soldaten mit ihren Schützenpanzern über das Untenende. Von Ostrhauderfehn aus wurden die letzten Verteidigungsgeschosse von deutschen Soldaten in Richtung Fehn abgefeuert. Die Alliierten schossen zurück. Die Häuser von Rogge, Dübbelde und Oma Hinrichs am Langholter Meer gingen in Flammen auf. Endlich trat Ruhe ein. Abends legten Pioniere eine Notbrücke auf Pontons über den Kanal.

Am Dienstag wurde das Gebiet ab Dosewieke zum Frontgebiet erklärt. Die Menschen dürften nur das Vieh versorgen, aber noch nicht zurück in ihre Häuser. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde die über 140 Jahre alte Mühle "Zeldenrüst mit Leuchtspurmunition in Brand geschossen. Fast 14 Tage schmorte das Korn vor sich hin. Eine wahre Völkerwanderung brach auf. Jeder Fehntjer wollte von dem angesengten Korn etwas haben, um in diesen traurigen Zeiten wenigstens die Tiere füttern zu können.

Der Mühlenstumpf von "Zeldenrüst" wird abgerissen. Im Vordergrund Müllermeister Helmer Dirksen.

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Der Krieg war zu Ende, die Mühle zerstört, und alles, was nicht niet- und nagelfest war, hatte einen neuen Besitzer gefunden. Wie sollte es weitergehen? Anna, geb. Müller, und ihr Mann Helmer Dirksen in Weenermoor entschlossen sich, den kleinen Roelf Müller zu adoptieren. Nach der Währungsreform und dem Kopfgeld entschlossen sich die Dirksens, die Mühle in der Rhauderwieke wieder in Gang zu setzen. Die Fehntjer Bevölkerung konnte mit Korn, Bohnen, Erbsen und Mehl versorgt werden.

Die Mühlenruine "Zeldenrüst" am Westrhauderfehner Verlaat.

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Roelf wuchs nun in Rhaudermoor auf, dort, wo er geboren war. Er ging zur Schule und spielte mit seinen Freunden hinter der Mühle oder im Tayemoor. 

Der kleine Roelf mit Helmer Dirksen unter den Linden an der Mühlenwieke in Rhaudermoor.

Mit der Zeit entwickelte sich der Gedanke, die Mühle "Zeldenrüst" beim Verlaat als neue Walzenmühle wiederaufzubauen. Pläne wurden gemacht, Angebote eingeholt und die Ruine abgetragen. 

Abbruch der Rhauderwiekster Mühle im Jahr 1965

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Eines Tages war es dann soweit: Richtfest an der Schleuse! Die Zeitung berichtete stolz, daß der junge Müllersohn die obligatorische Flasche unter dem Richtkranz mit dem zweiten Wurf getroffen habe. Der alte Inschriftenstein mit dem Namen ,Zeldenrüst" und dem Gründungsdatum 1803 wurde ergänzt um die Jahreszahl 1960 und in die Vorderwand eingemauert.

Der junge Roelf Müller machte seine Lehre, den Gesellenbrief und seinen Meister. Er heiratete und riß ohne viel Aufsehen die seit 1950 flügellose Mühle an der Inwieke zur Rhauderwieke im Jahr 1965 ab. Es war die Zeit des großen Mühlensterbens in Ostfriesland.

Anna Dirksen ruft den kleinen Roelf zum Essen.

Ein Jahr später starb der Müllermeister und Landwirt HeImer Dirksen. Roelf mußte nun allein Entscheidungen treffen, und das war gar nicht so leicht in einer sich immer rasanter entwickelnden Wirtschaftseuphorie. Nach dem Tod von Müllermeister Haase kaufte er die Mühle Hahnentange, um eine mögliche Konkurrenz zu verhindern. Schon bald bot er sie wieder zum Verkauf an, nur zum Grundstückspreis. Aber weder Heimatverein noch Gemeinde wollten das Juwel haben. Der Fremdenverkehr hatte damals noch keinen Stellenwert in der Gemeindepolitik. Wer die vielen Anträge an den "Ausschuß für Kultur und Heimatpflege" in den Protokollen des Kreistages nachliest, der kann nachvollziehen, wie sehr sich die Besitzer und die Heimatfreunde bemühten, die ostfriesische Mühlenlandschaft zu erhalten. Aber selbst verschiedene Mühlenvereinigungen schafften es nicht, eine Bewußtseinsänderung herbeizuführen.

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"Für eine zerstörte Kirche", so schreibt ein unbekannter Autor in der "Rundschau am Sonntag" vom 14. Januar 1950 "oder ein sonstiges wertvolles Gebäude lassen sich die Mittel zur Instandsetzung in der Regel beschaffen. Wer aber ist in unserer Zeit bereit, den Wiederaufbau einer unrentablen Windmühle zu finanzieren? Der Müller? Der hat andere Sorgen. In der Regel läßt er die Mühlenruine mit einem häßlichen Flachdach versehen und statt der Mühlenflügel den elektrischen Motor brausen, statt der schweren Steine die Stahlwalzen sich im Kreise drehen." Und er fährt fort: "Von ehedem 325 Mühlen in Ostfriesland sind bereits mehr als die Hälfte gestorben."

Das war 1950. Wenn ich in dem schmalen Windmühlenführer von Anette Wessels nachschlage, komme ich für das Jahr 1983 noch auf genau 59 Mühlen in Ostfriesland. Ich glaube, nichts wäre Roelf FIeßner Gerdes Dirksen-Müller lieber, als in einer richtigen Windmühle die seit 1622 in der Familie bestehende Müllertradition fortsetzen zu dürfen. In Gedanken klettert er ab und zu auf die Galerie seiner Mühle, holt den Spezialhammer zum Billen (Schärfen) der schweren Mühlsteine, ächzt unter der Last eines 2oopfündigen Kornsackes, prüft die Windrichtung und -stärke für die Jalousien der Flügel und ist ein bißchen stolz darauf, daß ein einzelner Berufsstand über so lange Jahre die Ernährung der Bevölkerung gesichert hat.

Zur Verfügung gestellt von Ingeborg Oltmanns.

Nach 1945 ging Zofia nach England und dann nach Frankreich, wo sie sich verheiratete. Mit ihrem Mann und den 4 Kindern besuchte sie Roelf Dirksen-Müller in Rhaudermoor. Rechts Roelf, dann Zofia, Helmer, Anna, Remmer Harms, Helene Wieditz und Gerda Schoemaker.

Traditionell wurde der letzte Dachbalken versteckt. Erst nach langem Suchen konnte er auf der Witten Hüll gefunden werden.

Richtfest des neuen Mühlengebäudes am Verlaat.

 

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