[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 26.04.1990

Das Pitchpine-Holz hielt ganze 143 Jahre ... 
.. doch Pächter gaben sich Klinke in die Hand

[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Zum Seitenanfang

Das Pitchpine-Holz hielt ganze 143 Jahre ...
.. doch Pächter gaben sich Klinke in die Hand

Überschuldeter Müller mußte bald verkaufen.

In der Holländerwindmühle 143 Jahre lang Korn gemahlen

Wer über den alten Friedhof im Untenende von Westrhauderfehn geht, der sieht viele alte Grabdenkmäler, die uns von Personen und Familien aus vergangenen Zeiten berichten Neben diesen Denkmälern gibt es zwei Gruftanlagen. Die von der Familie Hagius ist mit Eisenplatten abgedeckt, während die Familiengruften von Müllers mit Sandsteinplatten zugedeckt sind.

Die Mühlenbesitzerfamilie Müller kam im vorigen Jahrhundert auf das Rhauder-Wester-Vehn. Da stand die Windmühle schon fertig da. Wer hatte sie gebaut?

Als Friedrich der Große die Konzessionsurkunde für das neue Fehn 1769 unterschrieb, genehmigte er damit auch den Bau einer Roßmühle. Der Antrieb dieser einfachen Mühle bestand aus einem Göpel. Ein Pferd lief immer im Kreis herum und zog an einer langen Stange eine Übersetzung, die den Mühlstein antrieb. Wo diese Roßmühle gestanden hat und wer der Besitzer war, weiß heute niemand mehr.

Der Müller in Rhaude, Hermannus Watzema, beobachtete die neue Konkurrenz auf dem Fehn mit Argusaugen. Schon bald beantragte er, dort eine Windmühle bauen zu dürfen. Der König in Berlin genehmigte den Antrag, und so ließ Müller Watzema aus Rhaude auf der Schanze bei der "Witten Hüll" 1803 eine große Holländerwindmühle aus bestem Pitchpine-Holz errichten. Sie hat 143 Jahre Korn gemahlen! Das Aussehen dieser Mühle kann noch präzise nachvollzogen werden, denn in einem Taxationsbericht aus dem Jahre 1839, der erhalten geblieben ist, wurde jeder Nagel und jeder Stein genau aufgeschrieben.

Die Westrhauderfehner Windmühle wurde nach holländischem Vorbild gebaut. Über dem Tor ist der Stein "Zeldenrüst 1803" zu erkennen, womit zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß die Mühlenflügel sich "selten ausruhen" mögen. Denn nur, wenn die schweren Steine über Stunden sich drehten, konnte der Müller seine "Matte" als Verdienst entnehmen. Der Müller Roelf Gerdes Fleßner Müller sen. mit seinem Sohn Tjebbo Rudolf steht in der Mitte, daneben ein Kunde. Rechts sind die Müllerin Sempe, geb. Saathoff zu erkennen sowie deren Töchter Johanne und Gesine (Tante Sini). Ganz außen folgt der Müllerwagen, der 1803 laut Konzessionsurkunde noch nicht fahren durfte. Das Haus im Hintergrund ist der Wohntrakt von Schmiedemeister Brunsema. Dessen Frau unterhielt im Vorderhaus eine alkoholfreie Gaststätte (Guttempler). Dazwischen lag die Werft von Andreas Harms, von der man nur das "Pikhuus" erkennen kann. Auf der zum teil abbröckelnden Kayung sitzen die Jungen aus der Umgebung. Für das heutige Fehnprogramm bedeutsam der Blick auf den Kopf der Schleuse. Auf unserem Foto wird die Mühlenkappe noch mit dem Stert von der Galerie aus in den Wind gedreht. Die speziell für die Windmühlen geschaffene Ostfriesische Mühlen-Brand-Societät schrieb den hohen Blitzableiter zwingend vor. Das Foto dürfte um 1890 von einem Wanderfotografen gemacht worden sein, denn das 1903 geborene Baby Anna ist nicht auf dem Bild, und die Mühle erhielt erst 1911 eine Windrose.

[ Zum Seitenanfang ]

In § 5 der o.g. Konzessionsbedingung heißt es, daß der jeweilige Müller "aus der Mattmühle keine Geldmühle" machen dürfe. Was heißt das? Die "Matte" war des Müllers Lohn. Sie war genau festgelegt. Im § 4 steht: "Die Matte wird zum sechzehnten Korn" gerechnet. Das war damals. In neuerer Zeit bekam der Müller von 100 Pfund Mehl zwei Pfund als Mahllohn. Er durfte früher also nicht für Geld mahlen, sondern mußte von dem angelieferten Korn einen Teil als seinen Verdienst abnehmen.

Bargeld kam so durch die Mühle nicht herein. Im Gegenteil: Es waren Steuern und Abgaben zu bezahlen, und außerdem mußte Watzema hinter der Schleuse auf eigene Kosten "eine dauerhafte Kayung" bauen lassen und "für ewige Zeiten" unterhalten.

Der Rhauder Müller Watzema hatte sich mit dem soliden Fehntjer Mühlenbau übernommen. Seine Erwartungen betreffs der neuen Verdienstmöglichkeiten auf dem Fehn verwirklichten sich nicht. Schon bald war der Stolz der Rhauderfehngesellschaft total überschuldet. Watzema verkaufte die Mühle 1821 für 25 000 Goldgulden an den Holter Deichrichter Heye F. Janssen.

Dieser Deichrichter verpachtete die Mühle an seinen Neffen Wurp Claasen Strenge. Dessen Vater Claas J. Strenge, ein Schwager vom Deichrichter und Landwirt in Tjüche bei Ihrhove, wurde nun zum Hauptgläubiger der Fehntjer Mühle. Als der Deichrichter Heye F. Janssen starb, mußte die Witwe den verschuldeten Besitz alsbald versteigern lassen. Das stand am 13. April 1839 im "Amtsblatt für die Provinz Ostfriesland" "unter seiner königlichen Majestät allerhöchster Genehmigung".

Etwa zur gleichen Zeit sollte auch die "der Foelke Watzema, verehelichte Luike Ulbts Cramer, zustehende, bei Rhaude stehende, Rockenmühle nebst Behausung" unter den Hammer kommen (Anzeige v. 12. März 1839) sowie der Nachlaß des "weil. Müllers Langholz zu Holte" (Anzeige vom 14. März 1839).

Im Fehntjer Mühlenversteigerungstermin am 19. Oktober 1839 blieb der Müller Johann Christian Janssen aus Westerstede Meistbietender, aber ein anderer Müller, nämlich Heve Janssen Müller aus Großefehn, hatte ein Nachgebot abgegeben. So kam es zu einem erneuten Termin am 21. November 1839 in Stickhausen.

Der Pächter Wurp C. Strenge war anwesend sowie der Hauptgläubiger, sein Vater Claas J. Strenge, und dann zwei neue Interessenten, nämlich der Müller Eilert Focken Neelen aus Loga und der Müller Andreas J. Müller aus Bagband, ein Bruder vom Nachbieter Heye Müller von der Mühle in Großefehn. Die Müllerfamilie aus Bagband/Großefehn blieb Sieger. Am 1. Mai 1840 konnte Andreas J. Müller die Mühle in Westrhauderfehn übernehmen. Das war vor 150 Jahren.

So ganz geheuer war es dem neuen Müller in Westrhauderfehn nicht. Er hatte 1826 in HoItrop die 19jährige Tjebbend Roelfs Fleßner geheiratet (das Fräulein hieß wirklich so!). Alle Verwandten und Freunde wohnten also ziemlich weit weg. Verständlich, daß Andreas und Tjebbend Heimweh hatten. Die Fehntjer Mühle wurde erneut verpachtet: von 1843 bis 1849 an Wilke Gerdes Poker aus Leer, von 1849 bis 1852 an Thole Pollmann aus Bunde und von 1852 bis 1855 an Johann Otto Wilken, ebenfalls aus Bunde.

Als der Großvater die Großmutter nahm, ging es auf dem Untenende noch geruhsam zu. Wer von der Langholter Straße kam, mußte einen Schlenker über die weiße Zugbrücke machen, um seinen Mist in die Thauderwieke aufs Land bringen zu können. Die Kurve am Kanal war stark ausgefahren, so daß einige Wagen bereits im Kanal gelandet waren. Etwa 1927 hatten Flintjer und Hensmanns einen Auftrag des Kreiswegebauamts angenommen, dort für 1200 RM Sand aufzufüllen. Das ehemalige Verlaatshaus vom Gastwirt Voigt kaufte 1910 Otto Alexander Maecker, der es 1929 nach einem Brand in seiner jetzigen Form neu aufbaute. Rechts an der Hauswand können wir noch schwach das Schild "Gastwirtschaft mit Stauungen, Niederlage der Brauerei" erkennen. Maecker verkaufte 1933 das ehemalige Compagniehaus am Verlaat, und nun wurde es das "Hotel Marinesse".

[ Zum Seitenanfang ]

Überschuldeter Müller mußte bald verkaufen.

Im Mai 1855 übernahm der jüngste Sohn vom Mühlenkäufer Andreas J. Müller, nämlich Roelf Gerdes Fleßner Müller, die Mühle am Verlaat. Er verheiratete sich 1860 mit Hempe G. Saathoff aus Folmhusen. Sie hatten fünf Kinder: Der jüngste, Johannes G. R. Müller, heiratete 1902 die Amkemine Fresemann von der Ceresschule (zwischen Holte und Holterbarge gelegen); er wurde Müller auf der Backemoorer Mühle.

-Das zweitjüngste Kind, Tochter Gesine, blieb unverheiratet und starb hochbetagt in Rhaudermoor. - Die andere Tochter, Johanne heiratete 1898 Fokke P J Meyer, der bis 1918 Pastor in Rhaude war. (Eine Tochter der beiden mit Namen Hilde war die langjährige Direktorin des Teletta-Groß-Lyceums in Leer). - Das älteste Kind Sohn Andreas, wurde Pastor in Roggenstede und schrieb 1922 die ausführliche Familienchronik.

Das zweitälteste Kind, Sohn Tjebbo Rudolf Müller, wurde der Nachfolger seines Vaters auf der Fehntjer Mühle und ist vielen auch heute noch in guter Erinnerung. Niemand nannte ihn "Tjebbo", sondern alle sprachen nur vom "oll Rolf Müller", womit "Rudolf" gemeint war. Er heiratete Gretjeline Grünefeld aus Backemoor, die aber schon im Alter von 26 Jahren verstarb. Tochter Anna lebt heute noch in der Rhauderwieke und hatte am 13. April Geburtstag. Sohn Roelf Fleßner sollte eines Tages die Mühle am Verlaat übernehmen, aber ....

Tjebbo Rudolf Müller mit Tochter Anna und Sohn Toelf, etwa um 1911. Die Mutter, Gretjeline geb. Grünefeld aus Backemoor, war 1907 gestorben.

Kommen wir noch einmal zurück auf Roelf Gerdes Fleßner Müller, den Sohn des Mühlenkäufers Andreas J. Müller. Er leitete die Fehntjer Mühle von 1855 an bis 1902. Das sind 47 lange Jahre. Gerade während dieser Zeit hat das Fehn einen ungeheuren Aufschwung genommen. Viele Hochmoorflächen waren abgetorft, auf denen nun Korn angebaut werden konnte. Werften entstanden, immer mehr Handwerker und Kaufleute ließen sich nieder, Kapitäne und Matrosen brachten etliches Geld nach Hause, es wurde eine Apotheke konzessioniert, es gab Ärzte und eine Seefahrtschule, eine Straße und verschiedene Brücken wurden gebaut, kurz, dieses rasante Wachstum brachte einen gewissen Wohlstand aufs Fehn.

Der Müller arbeitete mit seiner Frau, den Kindern und dem Gesinde still und unauffällig vor sich hin. Es gab keinen Krieg, der Blitz schlug nicht in die Kappe der Mühle, und über körperliche Gebrechen wurde auch nicht geklagt. Dieser Roelf Gerdes Fleßner Müller hat das Erbe seines Vaters ausgebaut und vermehrt. Offiziell trat er nur als Kirchenvorsteher in Erscheinung. Er setzte sich mit Cleis Ahlrich Ibeling Hagius dafür ein, daß die Kirche einen möglichst hohen Turm bekam. Politisch verhielt er sich bedeckt, und an der sich entwickelnden Gemeindepolitik beteiligte er sich nicht. 

[ Zum Seitenanfang ]

Rudolf Müller auf der Galerie seiner Mühle mit Blick auf den Kirchturm, etwa um 1935.

Ganz anders dagegen sein Sohn Tjebbo Rudolf. Gleich nachdem er 1902 die Fehntjer Mühle am Verlaat übernommen hatte, begann ein Modernisierungsprozeß, der auch auf das Fehn Auswirkungen hatte. Hier sei nur an die ersten Elektrizitätsversuche erinnert, über die der Fehntjer Kurier ausführlich am 5. Januar 1989 berichtete. Tjebbo Rudolf brachte Licht in die Kirche, Tjebbo Rudolf gründete die Volksbank mit anderen Gleichgesinnten, Tjebbo Rudolf war allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, und so konnte er aus einer sicheren Position heraus viele Akzente auf dem Fehn setzen.

Als Tjebbo Rudolf Müller die Mühle von seinem Vater übernahm, erhielten die Flügel selbstregulierende Jalousien. Eine fürchterliche Windhose (s. FK vom 15. 6.1989) zerstörte am 4. Juli 1910 die begonnene Modernisierung, aber der Müller ließ sich nicht beirren und vollendete das Werk. Äußeres Zeichen war eine Windrose, die die Mühlenkappe mit den Flügeln in den Wind drehte. Damals gab es noch keine Autokräne. Die komplizierten Arbeitsvorgänge wurden von Hand mit Winden bewältigt. Hier wird der dritte Flügel hochgezogen. Zwischen der Mühle und dem Getreidelager ist die Dampfanlage noch nicht installiert, und auch die weiße Rosette hat noch nicht die spätere elektrische Lampe.

Es gibt einen seltsam klingenden Spruch in Ostfriesland: "Geld löpt nich övert darte Mann." Der alte Rudolf sah die Gefahr bei seinem Sohn Roelf, der ein leidenschaftlicher Motorradfahrer war und auch sonst ein wenig über die Strenge schlug. Roelf fuhr ein NSU-Motorrad-Modell 1924 mit der Rahmennummer 460604, wie Jan Garrels Roskam hinten in seinem Anschreibebuch vermerkt hat. (Dieses heimatgeschichtlich interessante Buch hat Bernhard Struck vor der Vernichtung bewahrt.) Um diesen jungen Mann ein wenig zu bändigen und ihn an die Pflichten eines Müllers zu gewöhnen, kaufte Rudolf Müller die "Rhauderwiekster Möhlen", die von 1930 an sein Sohn Roelf auf eigene Rechnung betreiben mußte.

Der Juniormüller Roelf läßt sich vor den gestapelten Getreidesäcken fotografieren. Selbst der Laie kann sich vorstellen, wie stabil eine solche Windmühle gebaut werden mußte, denn das Korn lag tonnenschwer auf den einzelnen "Zwischen-Böden".

[ Zum Seitenanfang ]

Die Mühle ist modernisiert werden. Deutlich erkennbar der Schornstein des Lokomobils, der im umgebauten Weizenhaus eine Dampfmühle antrieb. Wenn ein mit Korn beladenes Schiff das Rhauderfehn ansteuerte, wurde von der Rabenbrücke aus angerufen. Dann ließ der Müller seiner "Crew" Bescheid geben. Die Männer kamen sofort und schon bald war solch eine Tjalk entladen. Für größere Schiffe, die die scharfe Kanalbiegung bei de Buhr nicht schafften, gab es dort eine Anlegestelle, und die Kornsäcke wurden dann mit Pferd und Wagen zur Mühle gebracht. Links steht die kleine Anna Müller, rechts Margarethe Brunsema und in der Mitte die Maid Rika Schulte.

Aufnahme von 1911, als Fotopostkarte von A. Kaufmann in Bremen hergestellt.

   [ Fortsetzung folgt: Fehntjer Kurier v.19.07.1990 ]

[ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers ]


[ Home ]
Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ] [ Links ][ Startseite ]