Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
"Vivian" beschäftigte einen
internationalen Bautrupp
Eine Schlickschlacht unter Terminzwängen
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Montag, 26. Februar: Der Orkan "Vivian" erreicht gegen Mittag seinen Höhepunkt. Im Westoverledinger Hammrich, wo die Masten der 110 000-Volt-Leitung stehen, knickt bei Driever ein riesiger Gittermast der Preußen Elektra um und fällt auf eine 20 000-Volt-Leitung der EWE. Der Strom ist weg. Im Umspannwerk Leer "Am Südring" und "Am Stein" klingeln die Alarmglocken. Die Umspannwerke in Völlen und Weener schalten ab.
Wie Strohhalme sind die Streben des alten Gittermastes abgeknickt. Der Orkan "Vivian" hat die zehn Meter langen Doppel-T-Träger mehr als einen Meter aus dem schlammigen Untergrund gezogen. |
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Dienstag, 27. 2.: Die EWE Leer hat die 20-kV-Versorgungsleitung bei Driever durch Kabel überbrückt, die Aussiedlerhöfe haben wieder Strom.
Die PreußenElektra Wiesmoor begutachtet den Schaden am Gittermast. Die Ingenieure entschließen sich zum Neubau. Die Telefone laufen heiß.
Mittwoch, 28. Februar: Vom Lager Wiesmoor wird das Material für den neuen Mast angeliefert. Ein Kettenfahrzeug zieht auf einem Schlitten die einzelnen Winkeleisenpakete über die schlickige Wiese bis zur Baustelle. Ein Meßtrupp mißt den neuen Mastenstandort zehn Meter weiter südlich ein. Die ideale Mittellinie muß stimmen, um Spannungen in den tief durchhängenden Leitungsstellen zu verhindern.
Schneeregen hat die schlickige Wiese zu einer seifigen und rutschigen Baustelle gemacht. Die Ramme fährt zum neu ausgemessenen Gittermaststandort in der Mitte. |
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Fünf Männer der Wiesmoorer Starkstromkolonne unter Leitung von Wilhelm Dirksen bereiten alles vor. Die vier Mann starke Rammkolonne aus Oldenburg beginnt ihre Arbeit. Anstelle von 10,30 m langen Winkelfundamente sollen jetzt solche von 17,60 m Länge gerammt werden. Die Aggregate werden angestellt, die Stahlflaschen geöffnet. Zwei Männer schweißen die 40er T-Träger aneinander. Es ist spät. Ein neues Orkantief namens "Wiebke" wird angekündigt. Den Männern interessiert's nicht, sie sind todmüde.
Ein neuer Pfeiler: 17,50 m Doppel-T-Trägerstahl hat die Ramme schräg in den Boden gedonnert. Jetzt werden die Enden zusätzlich mit Stahlplatten verstärkt. |
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Donnerstag, 1. März: Ein neuer Monat. Ein Frühlingsmonat? Draußen Schneeregen. In der Gaststätte Diedje van Mark, Ihrhove, hat eine dritte Kolonne übernachtet. Von hier aus fährt sie zu ihrer Baustelle am Wardieksfennen bei Driever. Die zehn Männer haben noch nicht in Ostfriesland gearbeitet. Alois Beck ist schon 33 Jahre bei der Firma "Energie" aus Biberach im Schwabenland. Mit neun Mann ist er im Auftrag der PreußenElektra von einer Neubaumaßnahme bei Paderborn zur Unfallstelle bei Driever beordert worden. Pierre und Charles kommen aus Luxemburg, das "L" steht am Unimog. Die anderen kommen vom Schwarzwald, ihre wenigen Worte verraten es.
Mittags scheint die Sonne. Pläne werden studiert. Die Profile für die Seitenarme liegen im Schlick und sollen zusammengeschraubt werden. Das Wetter schlägt um. Schneeregen verwandeIt die Baustelle in eine Schlammkuhle. Die Finger werden klamm. Der Fotograf niest und denkt an Grippe. Die Männer lachen nur. Noch vier Stunden. Um 19 Uhr ist Feierabend.
Ein weiteres Seitenteil wird am Boden vormontiert. Alle Winkeleisenteile sind unterschiedlich lang, weil der Gittermast sich nach oben hin verjüngt. |
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Freitag, 2. März: Es hat gefroren. Devise: Warm anziehen! Wie aus einem Stabilbaukasten entstehen die Segmente für den neuen Gittermast. Die Pläne sind klatschnaß und halb zerrissen. Elendig pfeift der Wind über den kahlen Hammrich. Die Männer in ihrem dicken Ölzeug rutschen vorsichtig vom provisorischen Materiallager zu den Fundamenten. Eiskaltes Eisen mit frostigen Schrauben zusammenfügen. Stunde um Stunde. Es schneit ab und zu. Der alte Mast hat nur 2,50 m im Quadrat als Grundfläche mit 10,20 m senkrechten Stahlfundamenten und oben zwei weitausladende Arme. Der neue Gittermast hat jetzt ein Fundament von 6 m im Quadrat, wobei die stählernen T-Träger schräg in den Untergrund gerammt wurden. Sie halten 25 Tonnen Zugkraft aus. Oben sollen nun vier kurze Arme montiert werden.
Links auf den Brettern liegen die neuen Isolatoren, rechts im Anhänger befinden sich Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben, Schellen und sonstiges Hilfsmaterial. Im Hintergrund steht die moderne leistungsstarke Winde, die überall sofort einsatzbereit ist. |
Schwerbepackt mit Schraubenschlüsseln aller Art stapft ein Monteur durch den Schlick. |
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Noch müssen 60 m Schweißnaht an den vierziger T-Träger von der Oldenburger Rammkolonne verarbeitet werden, da beginnen die "Energie"-Leute schon mit dem Aufbau der ersten Seitenteile. Das zweite Segment wird über einen Bock von einer Seilwinde hochgehieft. Die Winde des Unimogs hält das Segment im Abstand.
Das mit Winden von oben eingepaßte Segment wird mit dem Unterteil verbunden. In dieser Höhe ist es für die Männer noch eine der leichtesten Übungen. |
Trotz ihrer dicken Verkleidung und ihrer schweren Ausrüstung klettern fünf Männer bedächtig und zügig zur Spitze und befestigen das schwankende dritte Segment.
Einer nach dem andern, langsam, stetig und sicher, steigen die Männer erneut nach oben. |
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Der Fotograf geht zum Auto. Das Türschloß ist eingefroren. Entsetzter Blick zurück: Noch immer schrauben die fünf oben im Turm. Nichts fällt herunter. Jetzt haben sie fast zwölf Stunden bei dieser naßkalten und stürmischen Witterung gearbeitet.
Samstag, 3. März: Wir begrüßen uns wie alte Bekannte. Die Mastspitze mit den vier Seitenarmen ist montiert. Sie wiegt dreieinhalb Tonnen! Eigentlich wollten Alois und seine Leute die zentnerschweren Isolatoren gleich mitanbringen und hochziehen, aber da macht die Winde nicht mit. Oskar und Philipp sowie Peter und Kurt schrauben sie wieder ab. Jetzt kommt der große Augenblick: Der neue Gittermast erhält seine Krönung. Es ist ziemlich windstill und alles verläuft glatt. Bis Windstärke sechs oder sieben können sie montieren.
Das vorletzte Segment wird verschraubt. Bis Windstärke sechs schaffen es die Männer, in dieser Höhe Loch vor Loch zu bekommen, um die Schrauben durchzustecken. |
Die fertig montierte Spitze wiegt 3,5 Tonnen. Wie aus einem Stabilbaukasten von Kindern sieht das aus, mag mancher denken, aber es ist Schwerstarbeit |
Die Sonne scheint, Wochenende? Die letzten Schrauben werden eingesetzt und die Muttern festgezogen. Ich frage Alois, was die Männer da oben in beinahe 20 m Höhe verdienen. Er sagt: "17 bis 18 DM." Und: "Mach den Mund zu, es zieht." Natürlich babbelt er mit dem ungläubigen Schreiberling auf schwäbisch. Ob ich dem jungen Mann, der mich am Montag fragte, ob ich keine Arbeit für ihn wüßte, diesen Job hier empfehlen soll?
Um 14 Uhr werden die sechs 185 Millimeter starken Leistungsseile aus Aluminium und Stahl eingehängt. Vier Masten weiter, also 1600 m entfernt, hocken die Monteure der PreußenElektra im Mast, um die Trennungsschleifen wiedereinzusetzen. Alois und einige seiner Männer räumen schon zusammen. Um 15 Uhr geht es zur Baustelle nach Paderborn und von dort aus nach Haus. "Gegen Mitternacht sind wir daheim", meint er. Und am Montag in der Früh geht's wieder los. Die Ostfriesen in den Süden, die Schwarzwälder in den Norden. Das Los der Kolonnen.
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