[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 01.03.1990

" ... De Watterhex sitt in de Regenpütt"
Früher war Regenwasser noch ein kostbares Gut

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" ... De Watterhex sitt in de Regenpütt"
Früher war Regenwasser noch ein kostbares Gut

Ein bekanntes Lied beginnt mit den Worten: "Am Brunnen vor dem Tore", und in einem anderen Volkslied heißt es:

"Wenn alle Brünnlein fließen". Der Brunnen steht auch in vielen Märchen im Mittelpunkt. Bei Frau Holle oder dem Froschkönig, bei den sieben Geißlein oder Brüderchen und Schwesterchen.

Der Brunnen mit seinem lebensnotwendigen Wasser war oft, wie wir heute sagen würden, das Kommunikationszentrum des Dorfes. Hier traf sich jeder mit jedem und tauschte die Neuigkeiten aus. Wasser wird zum Trinken benötigt und zum Essenkochen. Das H2O, wie es chemisch genannt wird, holte die Hausfrau oder deren Maid zum Wäschewaschen und zum Schrubben der Fußböden im Haus.

Wir in Ostfriesland haben eigentlich Wasser genug. Da ist einmal das nicht immer willkommene Meerwasser bei Sturmfluten, da ist das oftmals über die Deiche tretende Flußwasser sowie das Regenwasser, das Kanalwasser und das "Püttwater".

Eine Pütte wurde früher bei jedem Haus gegraben. Neben der Pullenhütte auf dem Hochmoor stand die "Bobenpütt", die später auf das untere abgetorfte Stück Land verlegt wurde. Wichtig war für den Brunnenbauer, die Pütte auf der höchsten Stelle zu graben, denn sonst würde das Oberflächenwasser in den Schachtbrunnen hineinlaufen und das blanke Püttwasser trüben. Unten in das ausgeschachtete Erdloch kam ein Rahmen aus Brettern oder Rundhölzern. Dieser Rahmen durfte nicht aus Eichenholz sein, sonst schmeckte das Brunnenwasser noch jahrelang nach Eichenlohe.

Auf diesen Rahmen wurde dreieckig gestochener Splinttorf gelegt, so daß ein gleichmäßig runder Brunnen entstehen konnte. Nun folgte eine Torfschicht nach der anderen bis zum Rand. Über der Erde bildete ein dreieckiges Holzhäuschen den Abschluß. Durch eine aufklappbare Tür wurde nun der Eimer an einem Pütthaken heruntergelassen und gefüllt. Das hört sich so leicht an, erfordert aber doch eine gewisse Übung: "Wenn he andaal geiht, denn wüppt he, wenn he herutkummt, denn drüpt he." Die Kinder bekamen, wenn sie älter waren, leere Blechdosen mit zwei Fäden in die Hand. Sie durften dann vom Kanalrand aus üben, diese Dosen zu füllen.

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Wenn der Pott aber nun ein Loch hat, lieber Heinrich, lieber Heinrich? Nimm Stroh, dumme Liese. Wenn das Messer aber nun zu stumpf ist, lieber Heinrich? Mach`s scharf, dumme Liese, mit `nem Stein, dumme Liese. Wenn der Stein aber zu trocken ist, lieber Heinrich? Mach `n naß, dumme Liese. Wenn der Pott aber nun ein Loch hat, lieber Heinrich... Timmerbaas Hermann Janssen, lhrenerfeld, schärft auf einem ollerwelschen Schleifstein sein Werkzeug. Seine Frau Margarete muß den Stein drehen. Ob Frau Jeltine mit ihrer Tochter Lini) noch einen Eimer Wasser holen soll???

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Heutzutage ist es verboten, auf seinem Land einen Brunnen zu graben. Auch ein Bohr- oder Filterbrunnen ist genehmigungspflichtig. Wie jetzt überall zu lesen war, ist es auch verboten, Regenwasser in die Kanalisation zu leiten. Alle Anschlüsse werden nach und nach überprüft, so daß die Besitzer von Ein- und Mehrfamilienhäusern sich überlegen müssen, wohin mit dem Regenwasser. Die Gebühr für die Oberflächenentwässerung steht bei jeder neuen Kanalisationsmaßnahme auf der Abschlußrechnung.

Vor noch gar nicht allzu langer Zeit wäre jeder Hausbesitzer glücklich gewesen, wenn er sein Regenwasser hätte behalten dürfen. Es machte ihm auch keiner streitig. Insbesondere im Rheiderland hatten die Häuser an jeder nur möglichen Stelle Dachrinnen, die das Regenwasser in ein großes Bassin leiteten. Wenn es draußen pladderte, wurden oft zusätzlich alle möglichen Behälter nach draußen gestellt, um das kostbare Naß aufzufangen. "Hör, wo dat regent, wo't regent, dat gütt, de Waterhex sitt in de Regenpütt." Im Rheiderland hatten fast alle Brunnen brakiges Wasser, mit dem man höchstens das Vieh tränken konnte.

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Eine selbstgebastelte hölzerne Regenrinne. Heinz Egon Taute füttert seine Tauben.

Diese hölzerne Dachrinne hat vorn und hinten einen Ablauf.

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Auf der Gaste, dem sandigen Geestrücken im Overledingerland, war das anders. Hier gab es klares, schmackhaftes Brunnenwasser, das zum Trinken und Kochen bestens geeignet war. Aber in den Moorrandgebieten und auf den Fehnen waren Stellen, wo das Brunnenwasser stark eisenhaltig war. Auch verhinderte so manches Mal eine Tonschicht, daß gutes Quellwasser in dem neugebauten Brunnen aufstieg.

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Regenwasser läuft in eine Ringzisterne. Gerhard Luitjens will Wasser holen für die Blumen vor dem Haus.

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So mußten auch die Fehntjer das Regenwasser auffangen. Dazu zimmerten sie dreieckige hölzerne Regenrinnen, die sie an einer Seite ihres Hausdaches anbrachten. Das Regenwasser lief in eine gemauerte "Regenback". Es wurde zum Waschen und für den täglichen Abwasch benötigt. Dieses "Water ut de Regenback" durfte nur getrunken werden, wenn es vorher abgekocht worden war. Das wußte jedes Kind, weil die Mutter es ihm oder ihr täglich "einschüünte".

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Anni und Ulpt Schaa füttern ihre Katze auf dem gepflasterten Weg zur Pütte. Das sahen Oma und die Mama nicht so gern, denn beide hatten Angst, daß "das Kind in den Brunnen fallen" könnte.

Das Wasser aus der Regenback wurde mit einer einfachen Handpumpe nach oben befördert. "Dor unner in de Grund, dor löppt `n lüttjen Hund; wo deeper dat he lopen deit, wo hoger hum de Steert nu steiht. Früher waren die Pumpen aus Holz. Ein möglichst gerader Baumstamm wurde ausgebohrt. Unten war ein Bodenventil, das Emmerke, und an einem Pumpenschwengel, de SIeger, war das Saugventil befestigt.

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Eine einfache Pumpe mit Holzschwengel.

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Solch eine Regenback wurde einmal im Jahr saubergeschrubbt, möglichst ohne Soda. Mit einem Feudel wischte die lüttje Maid die letzten Schmutzreste vom Boden der leergepumpten Regenbacke auf.

Im Jahr 1887 erhielt die Stadt Leer auf Betreiben von Apotheker Dr. Wolckenhaar eine zentrale Trinkwasserversorgung. Die Angst vor Cholera, Typhusepedemien und anderen seuchenähnlichen Krankheiten ließen den Senat der Stadt tief in die Tasche greifen.

Im Overledingerland dauerte es noch etliche Jahrzehnte länger. Erst nach dem zweiten Weltkrieg ließ der weitsichtige Bürgermeister von Schatteburg, Hermann Follrichs, Anfang der fünfziger Jahre ein Wasserwerk auf der Gaste erstellen. Nach dem wüstentrockenen Sommer 1959 kam dann auch in Westrhauderfehn ein Verband zustande. Dieser Wasserversorgungsverband wählte Hermann Schier zum Verbandsvorsteher, da er schon im Rheiderland und auf Helgoland die Trinkwasserversorgung aufgebaut hatte.

Manchmal waren es nur sieben Haushalte an einer Wiekenseite, die sich diesen neumodischen Kram ins Haus legen wollten. Wenn dann aber das Badezimmer und das WC eingerichtet waren, erblaßten die Nachbarn vor Neid und wollten nun auch schnellstmöglich mit der Zeit gehen.

Die Abflußrohre vom neuen Badezimmer legten die Leute nach vorn in den Kanal. Unser schönes Wiekenwasser, mit dem Generationen von Frauen die Gehwege und Fußböden geschrubbt hatten, war nun nicht mehr zu gebrauchen. Also mußte alsbald ein Klärwerk mit Kanalisationssystem her. Die Kanäle waren überflüssig und wurden zugeschüttet. Auch das Oberflächenwasser soll nun durch ein Rohrsystem abgeleitet werden. All das kostet viele, viele Märker.

Ob sich da der eine oder andere nicht doch überlegt, seine alte Hauswasseranlage wieder anzuwerfen? Ich kenne noch einige Häuser, die mit kostenlosem Regenwasser den Wasserkasten überm WC füllen. Ob die Gemeinderäte im Overledingerland bei ihren Abwassersatzungen diese Trinkwassersparmethode vergessen haben? In Bremen und Osnabrück sind bereits Schultoiletten mit Regenwasserentsorgung eingerichtet worden.

Ausgerechnet die Ostfriesen, die eigentlich von Haus aus wissen, wie kostbar Trinkwasser ist, haben ihre Regenbacken abgeschafft. Sie bezahlen das teure Wasser aus Collinghorst, um ihr Klo zu spülen, und sie bezahlen noch einmal für die Oberflächenwasserentsorgung, damit das Regenwasser satzungsgemäß wegläuft. Das ist fast ein richtiger Ostfriesenwitz!

 

Zur Verfügung gestellt von Anni Deepen, Alfred Kuitjens. Heinz Rieke, Hanni Scheer und Erna Taute.

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