[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 08.02.1990

Wasser stand einen Meter hoch in der Küche
Der Deichbruch im Entlastungspolder

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Wasser stand einen Meter hoch in der Küche
Der Deichbruch im Entlastungspolder

Der erste Orkan in diesem Jahr war ein gefährlicher "Spätentwickler". Am Abend des 25. Januars dachte so mancher an die entsetzlichen Stunden im November 1972, als fast jedes Haus Schäden zu beklagen hatte. Auch der Deichbruch bei Völlen im Jahr 1962 ist noch nicht vergessen (der Fehntjer Kurier erinnerte am 19.2.1987).

Wir brauchen aber gar nicht soweit zurückzudenken, denn trotz aller Verbesserungen durch die Deich- und Sielachten gab es noch vor sieben Jahren eine Situation in unserem wasserreichen Gebiet, die kaum einer für möglich gehalten hätte. Es war der 2. Februar 1983, ein Mittwoch, als plötzlich das Wasser einen Meter hoch in der Küche der Familie Hinken stand.

Sturmböen und Schneeschauer fegten am Dienstag, dem 2. Februar 1983, über das Oberledingerland. Der Himmel hatte ein seltsam düsteres Aussehen. Die Tiere waren unruhig, und die Menschen fürchteten sich. Am Mittwoch hatte sich das Wetter etwas beruhigt, aber bei Spriekenborg stand das Land unter Wasser. Einen Meter hoch gluckerte es ,,in't Achterköken" der Familie Hinken zwischen Stühlen, dem Sofa und den Schränken. Im Stall hatten sich die Hühner auf treibende Heuballen gerettet, und die Kühe waren nach Esklum abtransportiert worden. Alle elektrischen Geräte konnten nicht mehr benutzt werden. Es war ein Schaden von über 20 000 DM entstanden.
Sturmböen und Schneeschauer fegten am Dienstag, dem 2. Februar 1983, über das Oberledingerland. Der Himmel hatte ein seltsam düsteres Aussehen. Die Tiere waren unruhig, und die Menschen fürchteten sich. Am Mittwoch hatte sich das Wetter etwas beruhigt, aber bei Spriekenborg stand das Land unter Wasser. Einen Meter hoch gluckerte es "in't Achterköken" der Familie Hinken zwischen Stühlen, dem Sofa und den Schränken. Im Stall hatten sich die Hühner auf treibende Heuballen gerettet, und die Kühe waren nach Esklum abtransportiert worden. Alle elektrischen Geräte konnten nicht mehr benutzt werden. Es war ein Schaden von über 20 000 DM entstanden.

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Die Leda und Jümme entwässern ein riesengroßes Gebiet, das von Detern und Apen im Norden bis über die Thülsfelder Talsperre in den Süden reicht. Wenn es geregnet hat, bringen das Langholter Tief und die Sagter Ems viel Oberwasser zur Leda. Bei Amdorf kommt das Wasser der Jümme hinzu, und nun schwillt das kurze Flußstück bis zur Mündung in die Ems bei Leerort so gewaltig an, daß es hier zur Katastrophe kommen kann, wenn eine Springflut in der Unterems das Wasser staut.

Das Problem war seit langem bekannt. Wahrscheinlich lag es an der nur geringen Bevölkerung in den Überschwemmungsgebieten, daß nicht eher versucht wurde, das Problem in den Griff zu bekommen, denn Sperrwerke waren seit längerem bekannt. Vier Jahre hat man gebaut, um das Ledasperrwerk 1954 fertigzustellen. Drei Jahre später konnte das Entlastungswerk eingeweiht werden, und 1960 waren die Deiche um den Entlastungspolder aufgeschüttet und begrünt worden. Ein Jahrhundertwerk konnte sein segensreiches Wirken aufnehmen.

Wir sind heute abgestumpft durch die Vielzahl der Unglücke, die uns täglich per Fernseher ins Haus geliefert werden. Für die Hammrichbauern im Overledingerland war die winterliche Überschwemmung eine Art Naturgesetz, die sogar begrüßt wurde, denn die Wassermassen brachten auch den wie Dünger wirkenden Schlamm mit auf die Wiesen und Weiden. Weniger gut empfanden es aber alle, wenn die Fluten wochenlang auf den Ländereien stehenblieben und, verstärkt durch tagelange Regenfälle, endlich sogar bis an die Wohnhäuser und Stallungen schwappten. Hier war Abhilfe durchaus erwünscht.

Das Sperrwerk mit seinen fünf Meter breiten Öffnungen, die durch 10,5 Meter hohe Hubtore verschlossen werden können, regelte von 1954 an die Wasserstände im 300 Quadratkilometer großen Leda-Jümme-Gebiet. Eine komplizierte Betriebsordnung schreibt dazu genau vor, wann die Tore wie lange geschlossen werden müssen. Alle Fluten, die voraussichtlich höher als zwei Meter über Normalnull (NN) auflaufen, werden durch das Ledasperrwerk "ausgesperrt".

Mit der auf der ehemaligen Wiese-Werft gebauten Tjalk ,,Delphin" durfte Anton Hensmanns mit Erlaubnis der Eigner Jutta und Martin Ullrich vor einigen Jahren noch einmal auf der Leda schippern, und auch das neumodische Leda-Sperrwerk war für den erfahrenen Schiffer kein Hindernis.
Mit der auf der ehemaligen Wiese-Werft gebauten Tjalk "Delphin" durfte Anton Hensmanns mit Erlaubnis der Eigner Jutta und Martin Ullrich vor einigen Jahren noch einmal auf der Leda schippern, und auch das neumodische Leda-Sperrwerk war für den erfahrenen Schiffer kein Hindernis.

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Wenn in Borkum die Flut aufläuft, erhalten die Männer im Sperrwerk die Zahlen. Die Gezeitenwelle braucht Stunden, um von Borkum über Emden in die Leda nach Leer zu kommen. Alle Wasserstände werden immer wieder kontrolliert und verglichen. Gleichzeitig werden die Pegel der Oberwasserführung von Leda und Jümme aufgezeichnet. Am Dreyschloot darf ein Wasserstand von 2,10 über NN niemals überschritten werden.

Dieses komplizierte System zwischen dem Regenwasser der entwässernden Flüsse und der auflaufenden Flutwelle aus dem Meer hat eine klitzekleine Schwachstelle: Es kann passieren, daß es wochenlang regnet und die Leda und Jümme randvoll sind. Wenn dann ein ungünstiger Nordwestwind das Nordseewasser über Tage in die Ems drückt, darf das Sperrwerk nicht geöffnet werden. Für diesen seltenen Fall von gleichzeitiger Sturmflut und nicht enden wollenden Regenfällen ist die Gefahr von Deichbrüchen groß. Um das zu verhindern, haben die Wasserbauer ein Entlastungswerk neben das Sperrwerk gesetzt, das mit seinen zweigeteilten Hubtoren zwei 16 Meter breite Öffnungen verschließen kann. Dieses Entlastungsbauwerk kann verhindern, daß die Leda oder Jümme überläuft. Wenn die Tore geöffnet werden, kann das Entlastungspolder drei Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen.

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Der Weg zu den Wiesen im Entlastungspolder führte durch dieses Deichgatt. Die reißende Strömung hat vorn und hinten gewaltige Löcher in den Deich gerissen.

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Der orkanartige Weststurm hatte am Mittwoch, dem 2. Februar 1983, eine solche Situation heraufbeschworen. Das Wasser der Jümme drohte bei Detern, Barge und Apen über die Deiche zu laufen. Ein Bruch der Dämme konnte nur noch vermieden werden, indem das Entlastungspolder geflutet wurde. Der Leda-Jümme-Verband entschloß sich am späten Dienstagabend zu dieser erstmals notwendig gewordenen Maßnahme. Das Flutwasser lief sprudelnd in den Entlastungspolder. Überall wurden Wachen aufgestellt.

Gegen Morgen flaute der Sturm etwas ab. Die übermüdeten Wachen wollten schon abrücken, als sie plötzlich bemerkten, wie sich die Steine eines landwirtschaftlichen Weges beim Deichgatt in den Entlastungspolder bewegten. Fast ungläubig schauten die Männer auf das Geschehen, um dann fortzueilen und Meldung zu erstatten. Auf 25 Meter brach der Deich neben dem Deichgatt, und die Fluten ergossen sich an das Gebiet um Spriekenborg.

Das gesamte Deichgatt stand auf Betonringen. Die plötzlich drückenden Wassermassen im Entlastungspolder unterspülten das Deichgatt und rissen dabei 25 m breite Löcher in den anliegenden Deich.
Das gesamte Deichgatt stand auf Betonringen. Die plötzlich drückenden Wassermassen im Entlastungspolder unterspülten das Deichgatt und rissen dabei 25 m breite Löcher in den anliegenden Deich.

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Dort standen zwei Gehöfte. Bei Sturm und Hagelschauern, bei Blitz und Donner retteten die Feuerwehrmänner die von den Fluten überraschte Familie Hinken. Ludger und seine Frau Juliane waren mit dem 14 Monate alten Töchterchen in das Obergeschoß geflüchtet. Von hier aus wurden sie mit einem Schlauchboot abgeholt. Das Wasser stand einen Meter hoch in der Küche und reichte den Kühen im Stall bis zum Hals.

Die Verantwortlichen versprachen "schnelle und unbürokratische Hilfe". Diese "Hilfe" mußten die Hinkens einklagen, erhielten auch recht, aber in der Revision obsiegte die Gegenseite, denn die juristische Frage, ob "künstliches oder natürliches Gewässer" ursächlich für den Schaden verantwortlich gewesen sei, war wichtiger als die versprochene Geldentschädigung. Seitdem heißt es in dieser Region: "Der kleine Mann ist immer der Dumme, denn die da oben dürfen ja nicht dumm sein."

Das Leda-Sperrwerk wurde neben dem Leda-Altarm gebaut, der später als Zuführung zum Entlastungspolder wurde, nachdem die Leda durch das Sperrwerk hindurch ,,begradigt" worden war. In diesem Entlastungspolder plant die Gemeinde Westoverledingen jetzt einen Feuchtbiotop. Etwa über dem Bindestrich liegt das Deichgatt, welches unterspült wurde und die beiden Höfe in Spriekenborg unter Wasser setzte.
Das Leda-Sperrwerk wurde neben dem Leda-Altarm gebaut, der später als Zuführung zum Entlastungspolder wurde, nachdem die Leda durch das Sperrwerk hindurch "begradigt" worden war. In diesem Entlastungspolder plant die Gemeinde Westoverledingen jetzt einen Feuchtbiotop. Etwa über dem Bindestrich liegt das Deichgatt, welches unterspült wurde und die beiden Höfe in Spriekenborg unter Wasser setzte.

Zur Verfügung gestellt von Abbo de Groot, Luise Ütrecht und Anton Hensmanns.

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