[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 01.02.1990

Groffe Sacken mutt man neet mit Siede neihen
Drei Gulden Strafe für Schwarznäherei

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Groffe Sacken mutt man neet mit Siede neihen
Drei Gulden Strafe für Schwarznäherei

Schneidri, schneidra, schneidrum, ich bin ein Meister Schneider und mach den Leuten Kleider im Lande weit herum. Und wenn da keine Schneider wären, wir liefen nackt herum! Nun, das geht natürlich nicht, wie sähe das denn aus, wenn wir alle nackt herumlaufen würden?

Die Frage stellt sich beim Nachdenken über diesen Beruf: Wann gab es die ersten Herrenschneider? Ist die Schneiderei ein typisch männlicher oder ein typisch weiblicher Beruf? Ist es vielleicht so wie bei der Kochkunst: Das Festmahl bereitet der Küchenchef, aber das alltägliche Mittagsmahl "darf" die Frau zubereiten?

Auguste Marschallek und Hiskea Meyer hatten sich ordentlich herausgeputzt, damit der Fotograf ein schönes Bild anfertigen konnte.

Fest zugeknöpft bis unters Kinn, den Rock lang bis über die Knöchel, nur die Ärmel durften modisch dreiviertel lang sein. Margarethe Fecker, geb. Bekebrock aus Ostrhauderfehn hat sich mit ihrer Tochter Angela in Leer fotografieren lassen.

Auguste Marschallek und Hiskea Meyer hatten sich ordentlich herausgeputzt, damit der Fotograf ein schönes Bild anfertigen konnte.

Fest zugeknöpft bis unters Kinn, den Rock lang bis über die Knöchel, nur die Ärmel durften modisch dreiviertel lang sein. Margarethe Fecker, geb. Bekebrock aus Ostrhauderfehn hat sich mit ihrer Tochter Angela in Leer fotografieren lassen.

In Ostfriesland lassen sich seit dem 17. Jahrhundert "Kleidermacher-Gilden" nachweisen. Interessant an diesen Gilden ist, daß keine Frauen zugelassen waren. Es gab deshalb "Mannskleidermacher" und "Frauenkleidermacher". Die Statuten dieser Gilde schrieben eindeutig vor, daß es verboten war, in der Wohnung der Auftraggeberin die Kleider anzufertigen. So entstanden überall kleine Werkstätten, in denen "Böhnhasen", das sind ungelernte billige Arbeitskräfte, im Verborgenen nähten. Wenn der Meister erwischt wurde, mußte er drei Gulden Strafe zahlen.

Um 1905 zahlte der Hausherr etwa drei Mark für das Nähen seiner Beinkleider, und die Ehefrau mußte etwa zwei bis drei Mark für das Nähen ihres Sonntagskleides bezahlen. Handarbeit war zu dieser Zeit nicht viel wert, denn seit 1850 waren die Nähmaschinen aufgekommen, die alles besser und schneller konnten.

Wenn man heute die Anzeigen in alten Zeitungen betrachtet, so muß man sich wundern, wie die Frauen das damals tragen konnten. Da wird zur Herbstmode 1885 ein "Corsett aus feinem schwarzen Lasting, mit roter Seide gesteppt, garantirt ächt Fischbein, mit Schutzstange" für sechs Mark angeboten, damals ein enormer Preis. Nun ja, zu der Zeit schnürte sich die Dame von Welt. Dazu trug sie unter ihrem "Tournürenrock Helene" für 7,50 Mark die "Crinoline Eugenie" oder die "Crinoline Elsa" mit Reifen-Tournüre für drei Mark. Diese Reifröcke waren eigentlich schon wieder aus der Mode, aber in Ostfriesland ließen sich die Restbestände der großen Handelshäuser aus Hamburg und Berlin noch gut verkaufen.

Anzeige von 1885 im Leeraner Anzeigenblatt.
Anzeige von 1885 im Leeraner Anzeigenblatt.

Auf dem Lande aber waren diese unförmigen Gestelle nicht beliebt, denn wie sollte sich eine Fehntjerin mit einem solchen Reifengestell hinsetzen? Ganz davon abgesehen, daß sie so wohl kaum hinters Haus gehen konnte, wenn sie austreten mußte. Im Overledingerland hieß es: "Groffe Sacken mutt man neet mit Siede neihen."

Im Januar vorigen Jahres veranstaltete der Heimatverein Leer eine kleine Modenschau "ut olle Kisten un Schappen". Da wurden Kleider aus der Jahrhundertwende vorgeführt, die sich heute keiner mehr vorstellen kann. Auch die verschiedenen Stoffsorten, die in den Zeitungsanzeigen damals genannt werden, kennt heute kaum noch jemand. Ich will in meinem kurzen Bericht keine Modenschau durch die Epochen dokumentieren. Ich möchte lediglich daran erinnern, daß es uns heute schwerfällt, die Kleidungsstücke der Groß- und Urgroßmütter korrekt zu benennen.

Die Mode der zwanziger Jahre: Gretjeline Junior aus Rhaudermoor bei einer Freundin in Oldenburg.
Die Mode der zwanziger Jahre: Gretjeline Junior aus Rhaudermoor bei einer Freundin in Oldenburg.

 

Die schicke junge Dame rechts nähte für ihr Leben gern.
Die schicke junge Dame rechts nähte für ihr Leben gern.
So kamen die Frauen der ganzen Familie zu schicken Kleidern.

Von rechts: Elisabeth Kramer, Hermann Kramer, Trientje, geb. Junker, Anna Hündling, Rika und Alma sowie Heinrich Kramer und Alfred Schiller, der im 1. Weltkrieg fiel. Im "Hörn" sitzt der Patriarch Ulrich Kramer.

 

Der Rock hat keine Rüschen, aber das Oberteil ist aufwendig verziert. Aaltje Börchers aus Holterfehn ließ dieses Foto bei Bengen in Leer anfertigen.

Wilhelmine Lühring, geb. Mühring, starb 1919 im Alter von 55 Jahren. Ein Rüschenkleid aus der Jahrhundertwende.

Als die Blusen aufkamen, hatten die Damen die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten. Hier zeigt Trientje Schilling aus Idafehn, was sie ausgesucht hat.
Der Rock hat keine Rüschen, aber das Oberteil ist aufwendig verziert. Aaltje Börchers aus Holterfehn ließ dieses Foto bei Bengen in Leer anfertigen. Wilhelmine Lühring, geb. Mühring, starb 1919 im Alter von 55 Jahren. Ein Rüschenkleid aus der Jahrhundertwende.

Als die Blusen aufkamen, hatten die Damen die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten. Hier zeigt Trientje Schilling aus Idafehn, was sie ausgesucht hat.

Hunderte von Kindern hat sie unterrichtet, die Mittelschullehrerin Fräulein Tuinmann. Eine Maid, die bei den Gebrüdern Wiese im Haushalt angestellt war. Der Spitzenkragen kam aus Brüssel, den Frauke Lühring hier im Jahre 1915 präsentiert.
Hunderte von Kindern hat sie unterrichtet, die Mittelschullehrerin Fräulein Tuinmann Eine Maid, die bei den Gebrüdern Wiese im Haushalt angestellt war. Der Spitzenkragen kam aus Brüssel, den Frauke Lühring hier im Jahre 1915 präsentiert.
Eine unbekannte Tante aus der Familie Lühring/Ulpts. Im Jahre 1931 stellten sich Rösko, Hanni und Gerta Prahm für ein Foto an die Mauer des Geschäftshauses. Die Eltern hatten früher auch Manufakturwaren. Dieses gestickte Kleid war demnach "von der Stange".
Eine unbekannte Tante aus der Familie Lühring/Ulpts. Im Jahre 1931 stellten sich Rösko, Hanni und Gerta Prahm für ein Foto an die Mauer des Geschäftshauses. Die Eltern hatten früher auch Manufakturwaren. Dieses gestickte Kleid war demnach "von der Stange".

Zur Verfügung gestellt von Hildegard Albert (3), Johanne Drieling, Johanne Kramer, Johanne Poppen (2) und Johanne Scheer sowie Angela Hanneken und Anton Hensmanns (2).

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