Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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Die Kirchengemeinde Ostrhauderfehn feiert Ende November, Anfang Dezember ihr 100jähriges Bestehen. Wir wollen hier nicht auf die Entstehungsgeschichte dieser Kirchengemeinde eingehen, die früher zu Rhaude gehörte, dann von Westrhauderfehn aus mitbetreut wurde, ab 1833 einen eigenen Friedhof bekam, deren Kirche aber erst sechzig Jahre später gebaut wurde. All das ist nachzulesen in der Festschrift, die in diesen Tagen fertiggestellt sein wird.
Die neugegründete Kirchengemeinde Ostrhauderfehn wählte sich den aus Dornum stammenden Pastor Johann Hinrichs Fimmen zum ersten Seelsorger. Dieser war 27 Jahre alt und mit Julia Catharina Handrich verlobt, die er vermutlich während seiner Studienzeit in Leipzig kennengelernt hatte. Pastor Fimmen wollte seine neue Pfarrstelle schnellstmöglich mit einer "Frau Pastorin" antreten. So drängte er auf eine Hochzeit noch am 20. Dezember 1889 in Leipzig, da er in seinem Terminkalender zwei zu vollziehende Trauungen am 22. Dezember 1889 vermerkt hatte.
So sah das provisorische "Pfarrhaus im Moor" einstmals aus. Der Eingang auf der Südseite (nicht im Bild) ging in die "Achterköken". Hier war in einem Fenster in deutscher Schrift schräg von unten nach oben eingeritzt "J. H. Fimmen". Vorn die beiden Zimmer, dahinter der fast durchgehende Flur. Zur Verfügung gestellt von Grete Schulz |
Über diese Hochzeit in Leipzig, die bei Sturm und Regen stattfand, wissen wir nicht viel. Käthe Fimmen schreibt in ihren Erinnerungen: "Die junge, neugegründete Gemeinde hatte vor einigen Wochen gar große Eile, endlich ihren ersten Pfarrer in ihre Mitte zu bekommen, und jetzt zeigte derselbe einen ebenso großen Eifer, um sich seine eigene und der Gemeinde eine Pfarrfrau zu holen, ganz gleich, ob diese Zeit den lieben Anverwandten auch paßte, ob sie in dem geschäftigen, eiligen Weihnachtsmonat auch noch Zeit, Lust und Sinn hatten für die Abhaltung und Zurichtung einer Hochzeit. "Er" hatte den 20. Dezember gewünscht, und sie alle flogen und waren bemüht, bis ins kleinste hinein alles zu versorgen trotz des strömenden Regens."
Wie wir aus diesen wenigen Sätzen erkennen, war Fräulein Julia ein gebildetes Mädchen aus gutem Hause. Leipzig gehörte um die Jahrhundertwende zu den großen Handelsstädten Europas. Ein Mädchen aus dieser weltbekannten Kaufmannsstadt heiratet einen Pfarrer ohne Kirche, ehelicht einen Ostfriesen, der in einem abseits gelegenen Fehngebiet eine neugegründete Gemeinde übernimmt, die noch nicht einmal ein Pastorenhaus hat - konnte das gutgehen?
Die Erinnerungen von Käthe (so ihr Rufname) Fimmen, der ersten Pfarrfrau von Ostrhauderfehn, sind so spannend zu lesen, daß es sich für jeden lohnt, die Festschrift aufzuschlagen. Wir können an dieser Stelle nur ein paar Ereignisse herausschreiben, die wohl jeden Rheinländer, Bayern, Hessen oder auch Schlesier, der hier neu ins Overledingerland zugezogen ist, interessieren.
Das typisch ostfriesische offene Herdfeuer, vor dem sich die junge Pastorenfrau so erschreckte. Unser Bild wurde bei Peter van Allen in der 1. Südwieke von Ostrhauderfehn fotografiert. Der gußeiserne Rauchfang war nicht in jedem Haus üblich. "Lüttje Peter" hat einen "Struukbessen" in der linken Hand, mit dem er die Torfasche von den Steinen fegte. Bis vor wenigen Jahren hat es in diesem Haus noch so ausgesehen, denn "Scheef Peter" wollte mit den modernen Errungenschaften der Zivilisation nichts zu tun haben: Die Energieversorgung zum Beispiel mußte die Stromleitungen ganz um sein Land herumlegen, weil er die Elektrizität für "Teufelskram" hielt. Archiv Hinrich Reents |
Bei ihrer Ankunft im ebenfalls regenverhangenen Ostfriesland staunte die neue Pfarrfrau über die so völlig andere Landschaft: "Als wir ein gut Stück gefahren waren, konnte ich meine Neugier nicht mehr bezwingen, ich mußte die dicken Hüllen, die über den Ausguck des ziemlich hohen, halboffenen Wagens des entgegenkommenden Regens halber gehangen waren, ein wenig lüften. Wie erstaunte ich, als rechts und links vom Wege, den wir fuhren, große weite Wasserflächen waren, aus denen ab und zu Bäume und Sträucher hervorragten." Käthe Fimmen wunderte sich über diese großflächigen Schlicküberschwemmungen zwischen Jümme und Leda, wie sie bis vor wenigen Jahren noch vorkamen. Das Mesopotamien Ostfrieslands nahm sie von nun an völlig gefangen.
In den Erinnerungen heißt es im Kapitel 4: "Es hatte der evangelischen Bevölkerung des Ortes viel Kopfzerbrechen verursacht, wie und wo einen Pastor unterbringen, bis man durch den plötzlichen Tod eines Schiffers im Untenende des Fehns mietweise ein provisorisches Pfarrhaus haben konnte." Wer genau dieser Schiffer vom Untenende gewesen ist, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Im Kirchenbuch ist ein Würk Bavius verzeichnet, ein Partikulier von 77 Jahren, der um den 18. Dezember herum verstorben sein muß und am 23. Dezember beerdigt wurde. Sonst ist kein Schiffer verzeichnet.
Der Stolz der neuen Kirchengemeinde Ostrhauderfehn, der "Finger Gottes" an der 2. Südwieke. Auf der gegenüberliegenden Seite das damalige Kaufhaus Bernhard Harms. Archiv Hinrich Reents |
Aus der Grundbuchakte des HeImerschen Hauses geht aber nicht hervor, daß dort früher ein Würk Bavius gewohnt hat. 1870 werden ein Hinrich Verlaat und ein August Beermann als Besitzer dieser großen Fehnstelle genannt. Das Beermannsche Haus wurde abgerissen. HeImers haben die Besitzung von einem Roskam gekauft. Es bleibt eine ungeklärte Lücke im Zeitablauf.
Das Pastorenehepaar Fimmen kam spätabends vor dem provisorischen Pfarrhaus im Moore an. Der Eingang war mit Tannengrün bekränzt und die Fenster hell erleuchtet. "doch einen Schrecken sollte ich beim Eintritt in die Wohnstube bekommen. Der Tür gegenüber, zwischen zwei Fenstern, brannte ein mächtiges Torffeuer. Hell lodernd schlugen die Flammen empor, und ich fürchtete, daß im nächsten Augenblick das Feuer die Stubendecke ergreifen würde. Was ich dann von meinem Mann hörte, begriff ich nicht sogleich, oh nein, es gehörte lange Zeit dazu, diese Erklärung vollständig zu verstehen."
Die Schule im Untenende, in der damals die Gottesdienste abgehalten wurden, hier schon ohne den kleinen Glockenturm. |
"Das ist kein zusammengefallener Ofen", sagte mein Mann, "das hier ist ein allgemein gebräuchliches offenes Herdfeuer mit einem herabhängenden eisernen Rauchfang, in welchem eine auf- und niedergehende Hängekette den Wasserkessel hält, worin über dem rauchenden Torffeuer das hier viel gebrauchte Teewasser gekocht wird. Und du", so lautete sein Schlußwort, "du sollst und mußt künftighin über diesem offenem Feuer uns täglich unsere Mahlzeit bereiten." Ob es an dem bevorstehenden Weihnachtsfest, an den schlechten Wegeverhältnissen oder der übergroßen Liebe lag - Käthe Fimmen packte nicht ihr Bündel und reiste nicht zurück nach Leipzig, sondern sie blieb in Ostrhauderfehn. Zehn lange Jahre blieb sie in diesem "Pfarrhaus im Moor".
Was sie dort noch alles erlebte, die ostfriesische Teezeremonie, die Geburt ihres Sohnes, die Krankheit ihres Mannes, der Aberglaube und die Zuversicht, der Bau der Kirche, all das kann jeder nachlesen in der Festschrift der Kirchengemeinde Ostrhauderfehn.
Der Haupteingang der ehemaligen angemieteten Pastorei im Untenende. Auf unserem Bild ist die Ehefrau des späteren Besitzers Fokko Helmers, Gretje geb. Buss aus Potshausen, mit ihrer Tochter Christine zu sehen. Zur Verfügung gestellt von Grete Schulz |
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