Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1989 ]
[ Zum Seitenanfang ]
In der stillen Woche gehen die Gedanken zurück zu Eltern und Geschwistern, die schon verstorben sind. Junge Menschen haben dafür selten Verständnis, liegt doch das ganze Leben noch vor ihnen. Aber auch hier wird es den einen oder anderen Jugendlichen geben, der an das Grab der Freundin oder des Freundes denkt, ja, denken muß, weil ein tödlicher Unfall den geliebten Menschen aus unserer Mitte riß.
Viele Menschen sind in den vergangenen Wochen auf den Friedhöfen gewesen. Die Grabstellen wurden mit Tannengrün winterfest gemacht. Bei dieser Arbeit bleibt es nicht aus, daß wir die Namen auf den anderen Grabsteinen lesen. Viele sind uns bekannt. Manch neuer Stein ist hinzugekommen. Neue Namen, die wie die anderen, schon verwitterten, ebenfalls ein Schicksal darstellen. Jeder Name bedeutet ein Menschenleben. Jeder Name bedeutet Freude und Leid. Jeder Name macht nachdenklich und erinnert an das eigene, bevorstehende Ende. Irgendwann steht auch unser Name auf einem Stein eingemeißelt. So mancher Grabstein ist in den Jahrzehnten von unseren Friedhöfen verschwunden. Die Familie ist ausgestorben oder weggezogen. Dann wird die Grabstelle frei und kann erneut belegt werden. Die alten Grabsteine wurden früher nicht selten weiterbenutzt. Nicht auf dem Friedhof, sondern zu Hause im Dorf, zum Beispiel vor der Hintertür, wo es immer so matschig war. Irgendwann hat jemand diesen Stein einmal umgedreht und versucht, die alte Schrift zu entziffern. Namen, die längst schon keiner mehr kennt. Namen von Vorfahren vielleicht, die gerade ein Familienforscher sucht, damit er seinen Stammbaum vervollständigen kann.
Beerdigung in Ostrhauderfehn. Im Hintergrund der wiederhergestellte Kirchturm, und links die Ruine vom Kaufhaus Cornelsen. |
Im Jahr 1768 beauftragte der Sup. Johann Friedrich Reil aus Detern die Pastoren seiner Parochie, die Namen derjenigen aufzuschreiben, die eine Kirchenbank und einen Begräbnisplatz besaßen.
Richtig, in früheren Zeiten kauften sich die Leute einen Platz in der Kirchenbank und auf dem Friedhof. Dies gehörte dann zum "Besitz" und wurde weitervererbt. Auch beim Kauf eines Bauernhofs wurden diese Pläne übernommen.
Das "Verzeichniß aller Kirchenstühle und Gräber in Rhaude, auf Seiner Königlichen Majestät allergnädigst Special-Befehl angefertigt im Jahr 1769, den 2ten Februarius" ist für den Heimatgeschichtler eine Fundgrube. Familien aus Burlage und Langholt sind dabei, aber auch sehr viele Namen aus Holte. Dieses Dorf hatte bekanntlich im Dreißigjährigen Krieg seine Kirche verloren. Bis heute weiß niemand, wo sie wohl gestanden haben könnte. Auch ein Friedhof aus vergangenen Zeiten wurde in Holte bislang nicht gefunden.
Dem einen oder anderen, der in diesem interessanten Verzeichnis blättert, mag auffallen, daß dort viele Namen stehen mit der Ortsangabe "auf der Griepenburg". Wer nun einmal den Ortsplan der Großgemeinde Rhauderfehn zu Hilfe nimmt, stellt fest, daß es in Holte eine kleine Sackgasse mit dem Namen "Griepenburg" gibt. Wer mitten im Dorf nach links abbiegt zur Erdgasstation, der kommt an dieser Stichstraße vorbei. Es sind links und rechts jeweils drei Platzgebäude, wenn die Halle vom Lohnunternehmer Buttjer nicht mitgerechnet wird. Hier wohnten zu der Zeit, als das Fehn gerade gegründet wurde, verschiedene wohlhabende Bauernfamilien, die alle ihre Plätze in den Kirchenbänken hatten sowie auf dem Friedhof bestimmte Grabstellen.
Die "Griepenburg" ist also keine Ritterburg aus dem Mittelalter, sondern ein Ortsteilname für solide steinerne Häuser zu einer Zeit, als auf dem entstehenden Neuefehn hauptsächlich Pullenhütten standen.
Etwas anders dürfte es mit dem Begriff "Bungersbörg" sein, der ebenfalls in dem Gräberverzeichnis von Rhaude vorkommt. An diese "Bungersbörg" erinnert heute weder ein Flurname noch ein Straßenschild. Trotzdem ist die Geschichte interessant.
Im Jahr 1618, so alt ist die Begebenheit, heiratete ein Rittmeister Albert Bunger eine Margaretha Kohnen. Genauer gesagt; Albert Bunger heiratete in den roßdienstpflichtigen Kohnenhof ein. Ein Rittmeister war zu der damaligen Zeit schon eine ganz passable Erscheinung, denn er zog mit einem Pferd in den Krieg. Vielleicht plagte diesen Albert Bunger jetzt das Zipperlein, und er hatte es satt, jede Nacht in irgendeiner anderen Butze zu schlafen.
Warum Johannes-Vienne Smidt, der diese Geschichte in seinem kleinen Heftchen "Harr ji al mal mitnanner deelt?" erzählt, aus diesem Rittmeister gleich einen stolzen "Burgherrn" macht, ist schwer nachzuvollziehen. "Burgen" waren in den ostfriesischen Dörfern besonders solide gebaute Steinhäuser, bei denen es kein Hinterhaus gab. Diese Steinhäuser dienten bei Kriegsgefahr genauso wie die Wehrkirchen als Zufluchtstätten für einen Teil der Bevölkerung. Die Leute "auf der Griepenbörg" wohnten in solch festen, oft zweigeschossigen Steinhäusern, und Albert Bunger sowie sein Menno wohnten ebenfalls in einem aus dicken Steinmauern gebauten Haus, ebenfalls der "Bungerbörg".
Auf dem Friedhof im Ostrhauderfehner Untenende: Links Pastor Küttner, und rechts die Sängerinnen vom Kirchenchor in ihren schwarzgefärbten Wehrmachtsmänteln. Von links: Erna Taute, Irmgard Körte, Hedwig Hartmann, Anni Eichhorn, Theda Möhlmann, dahinter Martha Dombrowski, Lienchen de Buhr, Anni Neeland und Reenstine Hemmen. |
Der Grund, warum wir heute nichts mehr über diese " Bungerbörg" wissen, liegt in einem Erbschaftsprozeß, dessen Akten erhalten sind. Albert Bunger hatte seinen Sohn Menno "Leutnant" werden lassen. Dessen erste Frau starb im Kindbett; das Kind Anna konnte gerettet werden. Von Mennos zweiter Frau sind vier Kinder überliefert, wobei der einzige Sohn Diederich alles erbte, und die Töchter ausgezahlt wurden. Die älteste Tochter Maria, die einen Albert Roskam aus Collinghorst ehelichte, war mit der Erbaufteilung nicht einverstanden. Besser gesagt, der Albert Roskam kaufte aus der Erbmasse den "Platz vor dem Door"' auch "Bessembörg" genannt, was ausdrücklich im Testament des Menno Bunger verboten war.
Hierüber entstand ein Prozeß, der bis vor das Reichskammergericht ging. Er wurde von den einzelnen Gerichten nur gegen hohe Kaution angenommen, wofür die Kläger sogar einen ganzen Hof zur finanziellen Prozeßabsicherung abtreten mußten. Die Urteile gingen hin und her. Ein Gutachten nach dem anderen wurde von den Rechtsfakultäten der verschiedensten Universitäten angefertigt. All das muß enorme Summen verschlungen haben. Nach fünfundzwanzig langen Jahren und vielen dicken Aktenbergen endete der Streit mit einem Vergleich. Aber das Erbe war längst aufgezehrt, und heute weiß niemand mehr etwas von der Bungersbörg in Holte, so, wie sie im Gräberverzeichnis von Rhaude aus dem Jahre 1769 genannt wird.
Zur Verfügung gestellt von Egon Taute, Engelke Pruin und Erna Taute.
[ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1989 ]
[ Home ]
[ Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ]
[ Links ][ Startseite ]