Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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Erinnern Sie sich?" heißt es, und wieder gucken über 30 Kindergesichter den Zeitungsleser an. Fleißig werden die Namen gelesen und Fragen gestellt: "Wo ist der abgeblieben?" Und: "Wen hat die geheiratet". Es dauert nicht lange, da wächst in den verschiedenen Betrachtern solch alter Schulbilder der Wunsch eines erneuten Zusammentreffens. Die Wiedersehensfeier verläuft in den meisten Fällen mit einer gehörigen Portion Herzklopfen. Zu sehr haben sich Aussehen und Interessen gewandelt.
Im Jahr 1954 verließ Lehrer Fricke die Langholter Schule. Für ihn kam Lehrer Theodor Janssen aus der Krummhörn. Links neben ihm steht vor dem Wetterhäuschen Gretchen Folkers, rechts Reni Damm und in der Mitte Heidemarie Schade. Die Jungen von links: Albert Schmidt, Anton Schmidt und Heinrich Gerdes, der dies Bild zur Verfügung stellte. |
"Erinnern Sie sich?" ist nicht notwendigerweise ein Foto von anno dunnemal. Mir wurden vor einiger Zeit Bilder vorgelegt, die noch gar nicht so alt waren. Sie berührten mich sehr stark, weil sie an eine Zeit erinnerten, die ich selbst miterlebt habe. Aus diesem Grund ließ ich das Thema ein wenig ruhen, um Abstand zu gewinnen.
Jetzt strömen die "Flüchtlinge" aus der DDR zu uns ins Land. Überall sind die geflüsterten Befürchtungen zu hören: "Wo sollen die bloß alle wohnen?" Oder: "Ob wir unsere Dachbodenzimmer wohl abgeben müssen?" Auch das erinnert wieder an eine Zeit vor vierzig Jahren. "Ungeheure Flüchtlingsströme", so schreibt Lehrer Hans-Georg Fricke, "die auch vor Langholt nicht haltmachten; katastrophale Wohnverhältnisse der Vertriebenen und die z. T. fast feindliche Einstellung der Einheimischen. Die überwiegende Mehrzahl der Kinder kam noch mit strohausgelegten Klumpen zur Schule. Geschrieben wurde in der Grundschule auf Schiefertafeln. Die Schulspeisung war für viele Flüchtlingskinder oft die einzige Mahlzeit am Tage. Mein monatliches Gehalt betrug auf den Pfennig genau 175,73 neue DM."
Auf dem Pult die Schiefertafeln, auf der Fensterbank ein paar armselige Blümchen, aber hellwache Augen und ein engagierter Junglehrer. Linke Reihe von hinten: Heinz E. Hensmanns, Alfred Luitjens und Helmut Meißler; rechts hinten Gerhard Folkers, vor ihm Volkmar Heidergott und rechts vorn Heinz Ohling im Jahr 1950. |
"Und doch", so fährt Lehrer Fricke fort, "war es für mich die schönste Zeit meines Lebens. Ich mußte als lüttje Mester in der Kirche die Orgel spielen, am Volkstrauertag in die Posaune blasen und bei jedem Konfirmanden das größte Stück Torte essen und die drei Tassen Tee trinken." Was Lehrer Fricke in seinem Brief nicht beschreibt, ist der feurige Idealismus, mit dem Junglehrer damals ihren Beruf angingen. Ostfriesland würde heute noch in archaischen Strukturen stecken, wenn nicht viele "fremde" Junglehrer manchmal mit dem Mut der Verzweiflung - um die Integration der Flüchtlingskinder gekämpft hätten.
Als es noch das Fach "Erdkunde" gab, lernten die Kinder neben Hauptstädten, Flüssen und Gebirgen auch verschiedene Klimagebiete kennen. |
Dieser soziale Ausgleich zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ließ sich am besten bei tätiger Schularbeit erlernen. So versuchte Lehrer Fricke, Anfang der fünfziger Jahre in Langholt bei der evangelischen Schule einen Schulgarten anzulegen. Eine Wetterstation und ein Terranum sollten zusätzliche Lernhilfen bieten. Damit sich möglichst viele Leser in die damalige Zeit zurückversetzen können, hier eine List der Lehrer aus dem Overledingerland, die zum Schulaufsichtskreis Weener gehörten:
An der kath. Schule III in Burlage unterrichtet Max Wagner, an der anderen kath. Schule in Altburlage Matthias Gaillard und in Neuburlage Alfons Weiß sowie an der luth. Schule in Altburlage Folkert Saathoff. In Collinghorst Gustav Höfer, Johann Oltmanns, Hans Nußbaum und Frida Völkner; in Glansdorf Bernhard Bonhuis und Arno Siebrecht, in Flachsmeer Bernhard Vette, Kurt Vetter, Friedrich-Wilhelm Walter und Sophie Meyer sowie an der kath. Schule Felix Montag, in Steenfelde Gertrud Nilsson und Wolfgang Hirschfeld, in Steenfelderfehn Friedrich Rohde, in Steenfelderfeld Friedrich Grabbe und Hans Schwill, in Großwolde Ernst Schmidt und Inge Wittmack, in Großwolderfeld Friedrich Höweler und Rolf-Dieter Köhlert; in Grotegaste Gerhard Dirksen, in Holtermoor Hubert Vollbrecht, Walter Hendeß, Gerhard Brandt und Ellen Brockmann, in Mitling-Mark Eckart Müller.
In Ihren Heinrich Kramer, Richard Meyer und Ruth Radant; in lhrenerfeld Georg Müller und Albert Brunzema; in Ihrhove Albert Cramm, Thomas Bekaan, Heinrich Peterssen, Eberhard Menke, Everwine ter Haseborg und Rudolf Stephan; in Ostrhauderfehn I Friedrich Taute, Kurt Lehmann, Wilhelm Luikenga und Wilma Taute sowie "Oben II" Heinrich Horstmann, Karl Foitzick und Bertus Pfeiffer sowie an der kath. Schule Oskar Tamm und Ruth Adamczyk; in Rhaude Dietrich Andreeßen und Kurt Engel; in Rhaudermoor Ernst Gottschalk, Ruth Dierkes und Gebhard Löning; in Völlen Oltmann Tjardes, Karl Miehe und Almut Jonas in Völlenerfehn Ait Aits, Gerda Antwerpen, Klaus Stehr, Georg Groppe und Reinhold Arnemann; in Völlenerkönigsfehn Göko Snakker, Edo Meinen und Wilfried Albering sowie an der kath. Schule Hubert Thieme und Melita Trojahn; in Westrhauderfehn unten Friedrich Peppmeyer, Gerhard Reinemann, Eilt Evers, Hilkea Prigge und Johannes Deepen; in Hahnentange Heinrich Koch, Marie Meentz und Adalbert Duit; in Rajen Friedrich Suhre, Henny Schoon, Hermann Manitzke und Edo Bunjes; an der kath. Schule Philipp Ernst, Appolonia Marx, Otto Küper, Johannes Kerner und Liselotte Voskuhl sowie an der Mittelschule Hermann Bockstiegel, Johanne Tuinmann, Hilda Loesing, Carl Renelt, Karl Nußwaldt und Hajo Jelden.
Das war der Stand Ende 1953. Der eine oder andere Leser ist jetzt sicherlich nachdenklich geworden. Ja, so viele kleine Schulen gab es damals! Was in Niedersachsen zerstört wurde, wird mittlerweile im Schwabenland wiedereingeführt; die kleine ortsnahe Dorfschule. Ganz so schlecht, wie einige Theoretiker sie immer wieder verteufelt haben, kann sie doch nicht gewesen sein! In Langholt jedenfalls, "dort hinten am Jammertal", wie es so schön in einem damaligen Zeitungsbericht heißt, unterrichteten Georg Walpuski und der Junglehrer Hans-Georg Fricke.
Als der Lehrer auch auf dem Schulhof in der Pause noch eine richtige Bezugsperson war, ließ sich das (Schüler-) Leben trotz der schweren Zeiten leichter ertragen. Rechts steht Inge Folkers, dann Gerda Plümer und Gustav Noormann. |
Schon vor dem 1. Weltkrieg hatte Lehrer Dirk Folkers einen kleinen Park angelegt. Sein Nachfolger, Lehrer Niemeyer aus Ostrhauderfehn, war ebenfalls ein begeisterter Naturkundler, so daß Lehrer Fricke nach dem 2. Weltkrieg trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse ein offenes Ohr beim Gemeinderat fand, als er "seinen" Schulgarten plante. Selbst das Kultusministerium stellte 200 neue Deutsche Mark zur Verfügung. Das war damals eine enorme Summe!
Zur Einweihung an einem Sonnabendnachmittag im Sommer 1953 fand sich alles ein, was Rang und Namen hatte. Bürgermeister Carl Tinnemeyer konnte den Regierungs- und Schulrat Wiemann, Aurich, begrüßen sowie Dr. Haase vom Kuratorium für Wirtschaftsberatung der Landjugend, Revierförster Coring aus Wiefelstede, Baumschulmeister Otto Maecker und alle Schulleiter der umliegenden Volksschulen. Die Reden der Herren können an dieser Stelle nicht mehr wiedergegeben werden, denn sie klingen noch recht deutlich nach "Blut und Boden" einer vergangenen Epoche.
Der Langholter Gemeinderat besichtigt die neue Wetterstation. |
Im Herbst 1953 besichtigten die anderen Schulräte aus ganz Ostfriesland diesen "Musterschulgarten" in Langholt. Die Ammerländer Arbeitsgemeinschaft "Wald und Schule" kam zu Besuch, und die "vorläufige" Landwirtschaftskammer Weser-Ems spendete zwei Telefonapparate für eine Verbindung von der Wetterstation zum Klassenraum. Sogar aus Japan schickten Schulkinder sieben Stück Kirschbaumkörner! Das ließ den NWDR - so hieß der Rundfunksender damals - nicht ruhen, und im Jahr 1954 berichtete ein Reporter aus Langholt über den Schulgarten, die Wetterstation und das Terranum.
Das alles ist lange her. 89 minus 53 ist 36. Vor 36 Jahren stand Langholt im Mittelpunkt. Heute gibt es offiziell kein Langholt mehr. Das Schulgebäude steht noch, aber es tollen keine Kinder mehr auf dem Schulhof. Die ersten Bäume mußten gefällt werden. Die Wetterstation wurde noch eine Zeitlang als Hühnerstall genutzt und dann abgerissen. Das Terranum wurde mit Abfall verfüllt und überdeckt. Bittere Tatsachen für die einst mustergültige Anlage. Die Schüler und ihr Lehrer werden demnächst zusammenkommen. Erinnerst du dich noch?
Fotos (5) zur Verfügung gestellt von Hans Georg Fricke
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