[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 19.10.1989

In Ihrhove trafen sich die Züge - Teil 1
Bahnkarte Ihrhove-Leer kostete einen Tageslohn

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In Ihrhove trafen sich die Züge - Teil 1
Bahnkarte Ihrhove-Leer kostete einen Tageslohn

Unsere Leser kennen das Lied: "Auf der schwäbsche Eisebahne gibt's gar viele Haltstatione. ,,Auch auf der preußischen Westbahn gab es viele Haltestationen und Bahnhöfe. Einer davon war ,,Jhrhove".

Jawohl, mit einem Jot vorne! So muß es auch gesprochen werden: ,,Jiiirhow."

Dieses Jhrhove ist heute Standort des Westoverledinger Rathauses. Vor 50 Jahren war Jhrhove ein ländlicher Eisenbahnknotenpunkt, wie es keinen zweiten in Deutschland gab. Hier kreuzte sich die preußische Westbahn mit der großherzoglich-oldenburgischen Hollandlinie, und hier hatte die Kleinbahn Westrhauderfehn ihren Kopfbahnhof.


Diese Postkarte aus dem Archiv H. Reents hat mir nicht im Original vorgelegen, so daß sie zeitlich nicht genau einzuordnen ist. Im Vergleich zu den beiden anderen Aufnahmen wird aber deutlich, daß es sich hier wohl um eine ältere Aufnahme handeln muß, denn auf der Münsterschen Seite ist noch ein Holzzaun zu erkennen, der später durch eine Hecke ersetzt wurde. Das linke Foto zeigt die Rückseite dieses Bahnhofs von 1879. Sie wurde als ,,Oldenburger" Bahnhof für die Hollandlinie benutzt, denn das Gebäude war damals zwischen die beiden Bahnlinien gebaut worden.

Ein bahnhistorisch so bedeutungsvoller Ort ist sicherlich von den vielen Eisenbahnliebhabern aufs genaueste untersucht worden. Glaubt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Es gibt nichts, rein gar nichts über diesen Eisenbahnknotenpunkt im südlichen Ostfriesland zu lesen. Selbst nach den imposanten Bahnhofsgebäuden fragt der Heimatkundler vergebens. So habe ich keine Aufnahme von dem ersten Stationsgebäude gefunden, welches nach dem Neubau des ,,alten" Bahnhofs zu Wohnzwecken vermietet wurde und erst Anfang 1970 abgebrochen wurde. Es stand hinter der Heibültschen Werkstatt (die Aufnahmen des ehemaligen Bahnhofsfotografen Wilhelm Kramer (S. FK v. 31.8.89) sollen vor diesem ersten Bahnhofsgebäude gemacht worden sein).

Beginnen wir mit der Erfindung der Dampfmaschine und der ersten Eisenbahnfahrt zwischen Nürnberg und Fürth im Jahre 1835. Die rasante Entwicklung des neuen Verkehrsmittels war nicht mehr aufzuhalten. Überall sollten Eisenbahnlinien gebaut werden, nur nicht in Ostfriesland, das zu damaliger Zeit zum Königreich Hannover gehörte. Die alte West-Ost-Verbindung der Hanse von der Ostsee über Hamburg und Bremen zu den holländischen Handelsplätzen sollte nicht erneuert werden. Die Stadt Hannover war als Handelszentrale vorgesehen. Doch die "sturen" Ostfriesen und hier vor allem die Emder Kaufmannschaft, ließ sich nicht abweisen. So ab 1845 zogen Vermessungsbeamte durch das westliche Overledingerland.

Bahnhofsvorsteher Soefker ist sich seiner Bedeutung und Wichtigkeit sichtbar bewußt. Neben ihm steht links Wilhelm Cramer und rechts die beiden Reichsbahnbediensteten Brahms aus Westrhauderfehn und Friedrich Cassens aus Ihrhove, beide im 2. Weltkrieg gefallen. Wilhelm Cramer war Aufsichtsbeamter, ,,Kortenknipper", wie die Reisenden sagten.
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Bahnhofsvorsteher Soefker ist sich seiner Bedeutung und Wichtigkeit sichtbar bewußt. Neben ihm steht links Wilhelm Cramer und rechts die beiden Reichsbahnbediensteten Brahms aus Westrhauderfehn und Friedrich Cassens aus Ihrhove, beide im 2. Weltkrieg gefallen. Wilhelm Cramer war Aufsichtsbeamter, ,,Kortenknipper", wie die Reisenden sagten.

Zur Verfügung gestellt von Christoph Cramer, Steenfelde

Nach 1850 war die ,,Westbahn" beschlossene Sache. Viele Männer aus den umliegenden Ortschaften fanden Arbeit bei den Erdarbeiten zur Trasse der neuen Eisenbahnlinie. So mancher konnte seine Pullenhütte nun abreißen und ein steinernes Häuschen bauen. Für den Bahndamm waren umfangreiche Erdarbeiten notwendig. Die vielen ,,Kiesgatts" entlang der heutigen Bahnstrecke stammen aus der Zeit des Bahnbaus. Zu dem bei der Förster-Schmidt-Geschichte angesprochenen Kanalbau kam es nicht, obgleich die hannoversche Eisenbahnverwaltung einen Zuschuß in Höhe von 20 000 Reichsthaler bewilligt hatte. So mußten eine Anzahl sehr teurer Durchlässe für die Entwässerungsgräben gebaut werden, was man bei einem Kanal hätte vermeiden können (siehe Fehntjer Kurier v. 14.Sept.1989).

Für die heutige Jugend mit ihrem geschärften Umweltbewußtsein ist vielleicht interessant, daß für die neue Eisenbahnlinie eine Unmenge Busch und Bäume entfernt werden mußten. Im April 1852 veröffentlichte der damalige Auktionator Buttjer aus Leer im Leerer Anzeigenblatt eine Anzeige. Am 13.1 1852 sollte morgens um 9 Uhr eine große Holzauktion stattfinden. Zum Verkauf standen allein in Jhrhove 85 Eichen und 400 Erlen, eine Partie Pappeln und Eschen sowie 72 Buschhaufen. Zwei Tage später fand eine ähnliche Auktion entlang der neuen Bahnlinie In Groß- und Lüttjewolde statt.

Am 21. 11. 1854 veröffentlichte das Leerer Anzeigenblatt den ersten Fahrplan für die neue Bahnstrecke Papenburg-Emden. Heimatforscher Wilhelm Korte hat diesen Fahrplan noch gesehen. Leider ist der Jahrgang 1853 und 54 nicht mehr vorhanden, weder im Stadtarchiv noch bei der OZ, so daß ich diesen ersten Fahrplan an dieser Stelle nicht abdrucken kann. Überliefert ist, daß ab 24. November 1854 morgens und abends je ein Zugpaar zwischen Papenburg und Emden verkehrte. Von Jhrhove nach Leer benötigte der Reisende 12 bis 15 Minuten, was damals zwei Gutegroschen kostete. Das erscheint uns heute billig, aber der Leser möge bitte bedenken, daß für diese zwei Gutegroschen früher ein drei Pfund schweres Roggenbrot gekauft werden konnte! Ein Steenfelder Arbeiter verdiente beim Bahndammbau täglich 1,44, das war damals viel, sehr viel bares Geld!

Nachdem die neue Eisenbahnlinie von Emden nach Rheine durchgehend fertiggestellt worden war, fand am 20. Juni 1856 die feierliche Einweihung statt. Zwei Lokomotiven zogen einen Sonderzug von Rheine aus nach Leer und Emden. Für die Ehrengäste spielten zwei Militärkapellen lustige Märsche. Die fauchenden Ungetüme flößten vielen Menschen noch immer Angst ein. Wenn Klein-Fritzchen durch den Wald geht, pfeift er ängstlich vor sich hin, um etwaige Geister zu vertreiben.

Auch auf der Jhrhover Station hielt der Festzug für ein paar Minuten. Auf dem ,,Perron" fand ein kurzer festlicher Empfang statt. Da zwei hohe Minister anwesend waren, vergaß der Reporter leider, die nur örtlich bekannten Honoratioren zu erwähnen. So wissen wir heute nicht mehr, was sich damals in den etwa 10 Minuten auf dem ,,Perron" abgespielt hat.

Am Stationsgebäude Jhrhove war der neue Fahrplan angeschlagen: In Richtung Lingen ab 8.35 Uhr in Richtung Leer ab 9.05 Uhr, und abends in Richtung Lingen ab 17.20 Uhr sowie in Richtung Leer ab 19.40 Uhr. Endlich hatte die Fehntjer Bevölkerung die Möglichkeit, mit der Eisenbahn fast bis vor die Haustür zu kommen. Es ist für die heutige autobegeisterte Jugend nicht einfach, die damaligen Zusammenhänge zu verstehen.

Die Münstersche Seite des Ihrhover Bahnhofs von Süden aus gesehen. Die Postkarte ist am 25.9.1899 um 6 Uhr in Ihrhove abgestempelt worden und noch am gleichen Tag (!) in Aschendorf einem Fräulein Josephine Rhein zugestellt worden. Vielleicht kann der eine oder andere das Schild links neben der Gaslaterne lesen. Der auf dem älteren Foto erkennbare Übergang fehlt auf diesem Bild.
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Die Münstersche Seite des Ihrhover Bahnhofs von Süden aus gesehen. Die Postkarte ist am 25.9.1899 um 6 Uhr in Ihrhove abgestempelt worden und noch am gleichen Tag (!) in Aschendorf einem Fräulein Josephine Rhein zugestellt worden. Vielleicht kann der eine oder andere das Schild links neben der Gaslaterne lesen. Der auf dem älteren Foto erkennbare Übergang fehlt auf diesem Bild.

Wenn Kapitän Renke Schoon mit seinem Dreimastschooner in Bremen lag, mußte er die Postkutsche nehmen, wenn er seine Lieben in Westrhauderfehn wiedersehen wollte. Das war besonders im Winter eine schwierige Fahrt bei den aufgeweichten Wegen. So ist es verständlich, daß selbst die konservativen Segelkapitäne, die besonders der neuen Dampfmaschine skeptisch gegenüber standen, froh waren, endlich solch eine ,,schnelle" und bequeme Eisenbahnverbindung nach Jhrhove bekommen zu haben.

Natürlich gab es auch Unfälle bei der Hannoverschen Westbahn. Gleich zu Anfang trat Ende 1854 bei der Eisenbahnbrücke bei Heerenborg ein Schaden auf, so daß der Zugverkehr nur durch Umsteigen aufrecht erhalten werden konnte. Für alle diejenigen, die sich nur ein bißchen auskennen: Es ist nicht der Zugunfall auf der Hilkenborger Brücke gemeint, auf den wir später noch eingehen werden. Die Heerenborger Brücke liegt über der Leda. Wer auf der B 70-Straßenbrücke vor Leer in Richtung Leda-Sperrwerk guckt, kann sie dahinter vermuten. Auf diesen historisch interessanten Brückenbau - der erste in unserer Gegend! - will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.

Ab Juli 1870 gab es vier Züge, die in Jhrhove hielten. Nach Leer konnten die Reisenden ab 8.12 oder ab 9.21 Uhr fahren und nach Papenburg ab 6.08 oder 10.06 Uhr. Nachmittags und abends gab es ebenfalls zwei Abfahrten: Nach Leer ab 16.44 oder 20.24 Uhr, und nach Papenburg ab 15.07 oder 17.22 Uhr. Wie immer bei der Bahn war der Fahrplan auf die Minute genau abgestimmt. Lange Aufenthaltszeiten auf den Bahnhöfen kosteten nur unnötiges Geld: time is money, Zeit ist Geld, hieß es auch früher schon.

Die Münstersche Seite etwa um 1912. Karbidgaslaternen erleuchten das Bahnhofsgebäude von "Ihrhove". Rechts das unübersehbare Eingangsschild, damit sich keiner vor dem Kontrolleur drücken konnte. Auch eine große Uhr zeigte genau an, wieviel Minuten Verspätung der Zug vielleicht haben könnte.
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Die Münstersche Seite etwa um 1912. Karbidgaslaternen erleuchten das Bahnhofsgebäude von "Ihrhove". Rechts das unübersehbare Eingangsschild, damit sich keiner vor dem Kontrolleur drücken konnte. Auch eine große Uhr zeigte genau an, wieviel Minuten Verspätung der Zug vielleicht haben könnte.

Die Landbevölkerung, kannte sich mit der neuen Technik nicht so genau aus. So passierte es der Botenfrau Meta Johanni aus Großwolde, daß sie mit ihren vielen Taschen beim Einsteigen hängenblieb. Da der Zug nur eine Minute Haltezeit hatte, fuhr er nach den 60 Sekunden wieder an. Die Botenfrau Meta Johanni fiel unter den Zug, wobei ihr beide Beine abgefahren wurden. Die bedauernswerte Frau verblutete noch auf dem Bahndamm.

Fortsetzung folgt

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