[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 31.08.1989

Der erste Bahnhofsfotograf Ostfrieslands
Die kostbare Platte in der hölzernen Kamera 

[ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1989 ]


[ Zum Seitenanfang ]

Der erste Bahnhofsfotograf Ostfrieslands
Die kostbare Platte in der hölzernen Kamera 

Schon wieder ein Fotograf, mag der eine oder andere Leser denken. In der Tat. Im Jubiläumsjahr der Fotografie habe ich schon viele bislang unbekannte Fotografinnen und Fotografen vorgestellt. Manchmal denke ich selbst - jetzt findest du keinen mehr Aber es ist erstaunlich: Kaum jemand würde in unserem stillen Overledingerland so viele Menschen vermuten, die sich solch einem modernen technischen Medium verschrieben haben.

Hübsch herausgeputzt sitzt Ulpt-Heinz dort auf der Gartenbank.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Hübsch herausgeputzt sitzt Ulpt-Heinz dort auf der Gartenbank.

Die Industrie war daran interessiert, von der alten Plattenkamera wegzukommen. Dem Rollfilm galt die Zukunft. Die Werbung wurde angekurbelt. Wer die Buchstaben A. G. F und A beim Einkauf endlich zusammengesammelt hatte. bekam eine Box für vier Reichsmark. Erstaunlich, was solch ein kleines Kästchen mit der Glaslinse alles konnte. Die Blende stand auf "Sonne" oder "Wolken". Der Druck auf den Auslöser genügte. Wer nicht allzu toll gewackelt hatte, bekam ein astrein scharfes Bild.

Der Bahnhofsfriseur und Fotograf Wilhelm Kramer mit seinem Sohn Ulpt-Heinz im Jahre 1931.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Der Bahnhofsfriseur und Fotograf Wilhelm Kramer mit seinem Sohn Ulpt-Heinz im Jahre 1931.

Die Berufs- und Wanderfotografen blieben vorerst bei ihren dreibeinigen Plattenkameras. Zu ihnen gehörte Wilhelm Kramer. Er wurde 1904 in Hemelingen bei Bremen geboren. Nach dem 1. Weltkrieg und seiner Lehre zum Herrenfriseur verschlug es ihn nach Leer, wo er seine erste Stelle antrat. Dort lernte er Anna van Wahden kennen, die im "Gasthof zur Leda" gegenüber der Waage arbeitete. Anna wurde ebenfalls 1904 geboren, aber in "Klosterfehn II", wie es im Ahnenpaß heißt. Für diejenigen, die es nicht wissen: Das ist die Westseite der 3. Südwieke ganz oben in Westrhauderfehn. Wir werden uns im nächsten Jahr einmal ausführlich mit der Entstehung von Klostermoor beschäftigen.

Im schicken Matrosenanzug wird Sohn Ulpt-Heinz von seinem Vater 1934 fotografiert.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Im schicken Matrosenanzug wird Sohn Ulpt-Heinz von seinem Vater 1934 fotografiert.

Der Protestant Wilhelm Kramer heiratete 1928 die Katholikin Anna van Wahden, und beide lebten glücklich im reformierten Ihrhove. Ein ganz kurzer historischer Rückblick sei an dieser Stelle erlaubt: Der Ortsname soll "Hof von Ihren" bedeuten, und dieses "Ihren" soll sich vom altfriesischen Kriegsgott "Ir" ableiten. Schon der bedeutende Friesenmissionar Luidger (gestorben 809) soll hier eine Nebenkirche errichtet haben, die zur Propstei Leer im Bistum Münster gehörte. Fast jeder kennt den markanten, freistehenden Glockenturm mit der Jahreszahl "1400". Die Stürme der Reformationszeit hinterließen keine allzu großen Schäden. Von der "neuen Lehre" wurde nun auch hier gepredigt. Im Verlauf der einsetzenden konfessionellen Trennung bekannte sich Ihrhove immer zum reformierten Glauben.

Die Mutter Anna, geb. von Wahden, mit ihrem Sohn Ulpt-Heinz.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Die Mutter Anna, geb. von Wahden, mit ihrem Sohn Ulpt-Heinz.

Ihrhove erwachte aus seinem Dornröschenschlaf beim Bau der Eisenbahnlinie Rheine-Emden. Am 21. Juni 1856 war die feierliche Eröffnung, über die die damaligen Zeitungen ausführlich berichteten. Der Bau des Bahnhofs in Ihrhove wird wohl schon 1855 begonnen worden sein. Das Obergeschoß bestand aus Holz. Es gab eine "oldenburgische" und eine "münstersche" Seite. Im Jahr 1912 kam die Kleinbahn von Westrhauderfehn hinzu. Ihrhove war ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt geworden.

Eine Selbstaufnahme mit Familie: Links Ulpt-Heinz, dann Cousine Waltraud, Mutter Anna, geb. van Wahden, Vaters Schwester mit Cousine Frieda sowie der Friseur und Fotograf Wilhelm Kramer höchstpersönlich. Die Verwandten aus Duisburg waren sozusagen auf der Durchreise: Sie wollten mit dem Dampfer Rheinland zur Insel Borkum.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Eine Selbstaufnahme mit Familie: Links Ulpt-Heinz, dann Cousine Waltraud, Mutter Anna, geb. van Wahden, Vaters Schwester mit Cousine Frieda sowie der Friseur und Fotograf Wilhelm Kramer höchstpersönlich. Die Verwandten aus Duisburg waren sozusagen auf der Durchreise: Sie wollten mit dem Dampfer Rheinland zur Insel Borkum.

Der riesige Bahnhof hatte mehrere Wartesäle und zwei Restaurationsbetriebe. Oben waren die der Reichsbahnbediensteten.

Rechts neben dem Bahnhof gab es einen kleinen Pavillon. Dort hatte sich der Friseur Wilhelm Kramer eingemietet. Nebenbei betrieb er eine "Photoabteilung", wie auf seinen Bildern rückseitig aufgedruckt stand. Möglicherweise hatte er auch ein großes Schild am Pavillon. Ein Bild von seinem Friseurladen konnte ich nicht finden. Erhalten geblieben sind die hier gezeigten Familienfotos von Ulpt-Heinz Kramer.

Eine zusammenlegbare Plattenkamera um die Jahrhundertwende.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Eine zusammenlegbare Plattenkamera um die Jahrhundertwende.

 

Sein Vater verstarb schon früh im Jahr 1937, und auch die Mutter blieb nur drei Jahre länger am Leben. Das Waisenkind kam zur Oma nach Rhaudermoor. Angela van Wahden heißt sie richtig und nicht Kramer, wie fälschlich unter dem ersten Bild stand, das wir neulich veröffentlichten ("Die letzte Handmelkerin" vom 22. Juni). Der Opa Ulpt van Wahden führte die Gaststätte "Unter den Linden" in Rhaudermoor. Gleichzeitig überwachte er das Verladen von Torf beim Kleinbahnhof. Was er von seinem Schwiegersohn hielt, das wissen wir nicht. Aber dieser Wilhelm Kramer aus Bremen hatte in Ihrhove am Bahnhof ein Fotoatelier gegründet. So etwas gab es weder im Papenburger noch im Leeraner Bahnhof.

Selbst als der Vater 1936 im Krankenhaus lag, dachte er an seine Plattenkamera. Es war für seine Frau sicherlich nicht einfach gewesen, das sperrige Ungetüm mit der Bahn nach leer und dann zu Fuß ins Krankenhaus zu bringen. Vom Krankenbett aus wurde dann der Sohn abgelichtet.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Selbst als der Vater 1936 im Krankenhaus lag, dachte er an seine Plattenkamera. Es war für seine Frau sicherlich nicht einfach gewesen, das sperrige Ungetüm mit der Bahn nach leer und dann zu Fuß ins Krankenhaus zu bringen. Vom Krankenbett aus wurde dann der Sohn abgelichtet.

Und in Emden steht heute vielleicht ein Automat, wo man sich hineinsetzt, fünf Mark in den Geldschlitz steckt und freundliche Grimassen schneidet. Plötzlich ein greller Blitz. Ein paar Minuten später bekommt man sein Paßfoto automatisch geliefert. Unpersönlich, kalt und ohne Lächeln. Wie anders war es damals, als edle Dampfrösser ihr rattatam, rattatam erklingen ließen und ein Fotograf die kostbare Platte in die hölzerne Kamera steckte.

Auf der Rückseite seiner Fotoarbeiten stand dieser Text.
[Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Darstellung]

Auf der Rückseite seiner Fotoarbeiten stand dieser Text.

 

[ Zum Seitenanfang ] [ Zurück zur Übersicht aller Artikel des Fehntjer Kuriers 1989 ]


[ Home ]
Hilfen ] [ Publikationen ] [ Aktuelles ] [ Overledingerland ] [ Zeitungsartikel ] [ Links ][ Startseite ]