[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 13.07.1989

Für das Unkraut sind die Frauen zuständig
Franzosenkraut kommt aus Peru

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Für das Unkraut sind die Frauen zuständig
Franzosenkraut kommt aus Peru

Es gibt im ostfriesischen Platt eine Menge Wörter, die in Vergessenheit geraten sind. Eines dieser Wörter ist "Tuunägel". Geläufiger ist das Wort "Swienägel", was wiederum nichts zu tun hat mit "du Schweinigel!"

Ein "Tuunägel" ist der unter Naturschutz stehende stachelbewehrte Igel, der sich im Garten an den Schnecken gütlich tut. An diesem Wort "tuun" erkennen wir, daß es ursprünglich die dornengespickte Hecke meint. Es gibt ein sehr altes ostfriesisches Sprichwort, welches heute schwer verständlich ist; "De bi de Haare över de Tuun kummt, de kummt d'r ok över." Frei übersetzt heißt das etwa soviel wie: Wer in der Mauser (ohne Haare oder Federn) über die Hecke springen kann, kommt da auch sonst drüber. Hier bedeutet das Wort "tuun" also noch Hecke oder Zaun. Erst im übertragenen Sinne ist "tuun" das Umzäunte, also der Garten.

Hier gräbt Auguste Meyer Brachland um, damit die Kohlpflanzen früh genug gepflanzt werden können. Im Hintergrund ein Baumrest; hier war einst ein Blitz eingeschlagen.
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Hier gräbt Auguste Meyer Brachland um, damit die Kohlpflanzen früh genug gepflanzt werden können. Im Hintergrund ein Baumrest; hier war einst ein Blitz eingeschlagen.

Es gibt nicht viel, was einem Ostfriesen heilig ist. Die Finger sträuben sich ein wenig, dies so aufs Papier zu schreiben, denn es könnte einem als blasphemisch ausgelegt werden. Trotzdem muß es wohl so hervorgehoben werden: Es gibt kaum etwas, was dem Ostfriesen wichtiger ist als sein Garten. Hier ist jeder sein eigener Herr, hier kann sie, die Hausfrau und Mutter, schon morgens um sechs mit der Hacke durch die Beete gehen, und spätabends findet sie immer noch wieder ein Unkraut, das entfernt werden muß. Wer jemanden fragt: "Was tust du, wenn du auf Rente kommst?", bekommt mit Sicherheit zur Antwort, daß er nun endlich Zeit habe, sich seinem Garten zu widmen.

Der blühende Rhododendron, der schattige Baum vor dem Hauseingang und die Betten oben am Fenster weisen auf einen wunderschönen Sommertag hin. Hier hat Margarete Poelmann ein schwarzes Kopftuch umgebunden
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Der blühende Rhododendron, der schattige Baum vor dem Hauseingang und die Betten oben am Fenster weisen auf einen wunderschönen Sommertag hin. Hier hat Margarete Poelmann ein schwarzes Kopftuch umgebunden.

Das ist die Vorstellung vom Garten Eden, dem Paradies auf Erden: ein kleines Stück Land, das im Spätherbst mit dem Spaten umgegraben wird. Im Frühjahr kommt dann noch einmal Mist unter die Erde. Akkurat werden die Beete angelegt, der Pflanzplan ist genau ausgetüftelt, die Kartoffeln stehen zum Vorkeimen im Hinterhaus. Jeder wartet auf die ersten warmen Apriltage. Dann ist kein Halten mehr: Überall kommt die Saat in den Boden, werden zarte Pflänzchen gesteckt und Schalotten gelegt. Und wehe, wenn ein Kohlrabi es wagt, etwas schief in der Reihe zu stehen: Gleich wird er umgepflanzt! Schließlich herrscht Ordnung in meinem Garten!

Die Arbeitsmaid Lydia aus Nordhorn "kraabbt" das junge Erbsenbeet. Das ehemalige Haus von Lisa Graf an der 1. Südwieke in Westrhauderfehn neben "lüttje Müller" diente dem weiblichen Arbeitsdienst zuerst als Arbeitshaus. Später haben sie noch das Armenhaus (neben der Mühle) dazubekommen und dieses Haus aufgegeben.
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Die Arbeitsmaid Lydia aus Nordhorn "kraabbt" das junge Erbsenbeet. Das ehemalige Haus von Lisa Graf an der 1. Südwieke in Westrhauderfehn neben "lüttje Müller" diente dem weiblichen Arbeitsdienst zuerst als Arbeitshaus. Später haben sie noch das Armenhaus (neben der Mühle) dazubekommen und dieses Haus aufgegeben.

So ab Juni kommt dann das Unkraut. Dafür sind die Frauen zuständig, denn schließlich obliegt den Männern das schwere Umgraben, da können sie nun wirklich nicht auch noch diese klitzekleinen Unkräutlein alle herauszupfen. Das müssen die Frauen machen, wir sehen es auf unseren Bildern. ,Dat Sömmerschiet ist Iicht wegtokriegen, man dat Unkruud mutt mit de Wuddel ütreten worn." Wer das nicht tut, ist schlecht dran: "De sien Unkruud een Jaar lett stahn, mutt söven Jaar an't weden gahn." Womit wir bei dem Wort "jäten" wären.

Ob vor dem Haus oder neben dem Haus, ein Hackje sorgte immer für Ordnung. Margarete Poelmann aus lhrenerfeld hatte alles unter Kontrolle.
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Ob vor dem Haus oder neben dem Haus, ein Hackje sorgte immer für Ordnung. Margarete Poelmann aus lhrenerfeld hatte alles unter Kontrolle.

"Weed" bedeutet eigentlich auch Unkraut: "Dat Weed schütt na de warme Regen man so ut de Grund", was soviel heißt, daß man zugucken kann, wie das olle Franzosenkraut überall emporschießt. Hiervon abgeleitet ist das Jäten: "Se rieten dor dat Weed ut, se sünd an't weden, an't utweden." Aber es ist, als ob man gegen Windmühlenflügel kämpft: Vorn im Garten ist alles sauber, da fängt es hinten schon wieder an zu wachsen. "Dat Unkruud is doch neet dood to kriegen." Aber "van Unkruud kannst du nich leven", also geht es wieder von vorne los, so lange, bis das Land sauber ist: "Dat is moi schoon Land", heißt es dann, oder: , ,Dor is kien Rapp of Rütt in, dor is kien Queek of Diessel in."

Neben dem Bücken und der lästigen Handarbeit gibt es Hilfsmittel, die hier kurz dargestellt werden sollen: Da ist zum einen der große "Hackhau" mit ganzem, spitz zulaufendem Blatt:

Tante Grete mit der Nachbarstochter Bini Erdwiens beim Hacken im Kartoffelfeld. Acht Äcker hatten die Brunsemas hinterm Haus, und alle mußten piekfein und sauber sein.
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Tante Grete mit der Nachbarstochter Bini Erdwiens beim Hacken im Kartoffelfeld. Acht Äcker hatten die Brunsemas hinterm Haus, und alle mußten piekfein und sauber sein.

"Dat Tuffelland mutt noch mit de Hackhau dörarbeit worn." Dann gibt es den doppelseitigen "Hauweel": "In disse harde Grund könen wi blot mit de Hauweel klaar worden." Etwas kleiner ist der "Hacker" mit ganzem Blatt und grader Schneide: "Kluten kriggst du am besten mit'n Hacker kört." Der "Kohlweder" wird zum Putzen der Gemüsebeete verwendet: "Güstern eerst sünt wi mit de Kohlweder togang west, nu ist d'r all weer Untüg up." Daneben gibt es nun den dreizinkigen "Krabber": Ik bliev bi mien oll Krabber un will van dat neeimoodske Kram nix weten." Manchmal wird auch die große mehrzinkige "Fillhaak" gebraucht: "De Acker mutt eerst good mit de Fillhaak dörarbeidt worden."

Wir sehen, die Ostfriesinnen waren fleißige Anhänger des Bioverfahrens. Wenn es allerdings hieß: "De Bohnen mutten noch wat hacktjet worden", dann suchte sich auch die allertreueste Gärtnerin gelegentlich eine Hilfe, um des Unkrauts Herr zu werden. "Baas wesen över mien Tuun" bedeutete soviel wie "nie zuviel umbrechen". Lieber etwas weniger Beete als zuviel Unkraut.

Wie schon oben angedeutet: Der Vergleich mit dem Garten Eden ist gar nicht so absurd. Wehe, wenn da Kaninchen sich erdreisten, die zarten Kohlblätter zu probieren! Auch die Stare und die Eichelhäher, die so gerne die Erbsen und Bohnen aus dem Boden holen, werden strikt verfolgt. Ganz schlimm ist es natürlich, wenn überall die Raupen ihre gefräßigen Spuren hinterlassen. Ob Maulwurf oder Schermaus an den Wurzeln, ob Läuse an den "Groot Bohnen" oder die Dohlen an den "Eibeern", alles und jedes ist ein persönlicher Angriff. Eine Art Weltuntergang bedeuten fünf Rinder, die den Stacheldraht überwunden haben. Dann fließen die Tränen stundenlang und es wird blutige Rache geschworen.

Wenn am Sonntagnachmittag Besuch kam, so wurde er in den Garten geführt. Hier gab es Gesprächsstoff für Stunden! Der Plümersche Garten, im Hintergrund das abgerissene Kaufhaus Hagius und Sohn.
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Wenn am Sonntagnachmittag Besuch kam, so wurde er in den Garten geführt. Hier gab es Gesprächsstoff für Stunden! Der Plümersche Garten, im Hintergrund das abgerissene Kaufhaus Hagius und Sohn.

Vielleicht ist der eine oder andere nicht zufrieden mit meiner Darstellung des "Tuuntjen". Ihr oder ihm fallen sicherlich noch hundert andere Hinweise ein. Nur ein paar Gedanken sind hier aufgeschrieben worden. Wer nun aber "tuuntjen "mit gärntnern" übersetzt, der hat den ganzen Artikel nicht verstanden.

"De Quäken, de Pisspottjes und dat Franzosenkruut" sind gefürchtete Unkräuter. Die Quecke mit ihren elendigen Ausläufern ist jedem bekannt, ebenso die hübsche Ackerwinde mit ihren trichterförmigen Blüten (deshalb der Name), aber das Franzosenkraut? Es taucht recht spät im Jahr auf und ist sehr frostempfindlich, denn das kleinblütige Knopfkraut, so sein richtiger Name, stammt aus Peru. Aus dem südamerikanischen Anden wurde es als "Seltenheit" in wenigen Exemplaren schon 1794 in die Botanischen Gärten von Madrid und Paris gebracht. Aus dem seltenen peruanischen Kraut wurde das Franzosenkraut, das sich ab 1805 aus dem Botanischen Garten von Karlsruhe langsam aber sicher absetzte. Schließlich verwilderte die Pflanze in ganz Europa. 300 000 Früchte kann ein einziges Franzosenkraut erzeugen, und aus jedem Samenkorn entsteht innerhalb von vier Wochen wieder eine blühende Pflanze!

Zur Verfügung gestellt von Agate Helling, Heinz-Ulpt Kramer, Kea Meyer, Karl Heinz Nußwaldt, Hans Rieke und Hanni Scheer.

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