Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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Unsere Geschichte in der vorigen Ausgabe, die das Loblied auf die "letzte ostfriesische Handmelkerin" brachte, hätte noch länger und ausführlicher sein können, aber der Platz reichte nicht. Wir hoffen, daß deutlich geworden ist, wie sehr diejenigen, die eine Kuh melk, mit dem Tier verbunden war. Den durch ein Tuch geschützten Kopf in die Lende gedrückt, so hockte sie auf ihrem kleinen Schemel. Melkfett an den Fingern. Ab und zu ein Schlag vom Kuhschwanz, manchmal auch einen Tritt gegen den Eimer -alles das kann nur der Leser nachempfinden, der auch schon einmal versucht hat, Milch aus den Zitzen einer Kuh zu drücken. Wir haben auch die Kätzchen weggelassen, die erwartungsvoll beim Haus darauf warteten, "ihre" noch warme Milch schlecken zu dürfen. Und auch die vielen kleinen Milchkännchen der Nachbarn, die selbst keine Kuh mehr halten konnten, sind nicht erwähnt worden.
Das Kälbchen trippelt von einem Bein aufs andere. Das wedelnde Schwänzchen zeigt an, wie lecker die Magermilch schmeckt. - Schick war sie, die Hanni, in ihrem braunen, selbstgestrickten Kleid. Eine übergroße Schürze schützte sie vor den sabbernden Lefzen des Kälbchens, wenn es nach "mehr" suchte. Wieviel Mühe haben die Mädchen sich früher beim Flechten ihrer Haare gegeben! Auch wenn es nur eben auf die Kälberweide ging, so merkt jeder doch, wie wichtig diese Tätigkeit auf einem Bauernhof war. |
Eine einzige Kuh, manchmal sogar zwei, bestimmten den Tagesrhythmus einer Kolonistenfamilie im Oberledingerland. Morgens ging es als erstes hinaus auf die Weide, ob es stürmte oder regnete, ob die Sonne schon schien oder der Nebel noch über das feuchte Gras strich. Es war jeden Tag dasselbe. Am späten Nachmittag dann ging es erneut hinaus, unter Umständen zu zweit, denn feuchtwarme Gewitterluft ließ die Stechfliegen beißen und die Kuh irre werden. Da mußte jemand mitgehn, um die Kuh zu beruhigen, sonst wäre die Arbeit von etwa 8 Minuten umsonst gewesen: Zu oft schon wurde ein Eimer halb voll Milch von dem arg geplagten Milchvieh umgestoßen. Diese Arbeit gab es winters wie sommers, werktags und sonntags, sie bestimmte das Leben einer Fehntjer Familie.
Ein Bild wie aus einer anderen Welt: Schmiedemeister Johann Brunsema füttert seine schon recht großen Küken aus der Hand. So zahm sind die zukünftigen Legehühner nur selten. |
Einmal im Jahr kam die Milchkuh zum Bullen. Ältere Tiere kannten den Weg, sie liefen allein. Da gibt es lustige Geschichten, die Oma erzählen kann, und die Enkel können sich das alles kaum noch vorstellen. Wenn dann nach neun Monaten der Geburtstermin herannahte, wurde der Nachbar gerufen. Ein Kalb war bares Geld wert! "Rieke Lü hör Dochters un arme Lü hör Kalver komen gau an de Mann." Es war ganz egal, welche Uhrzeit der Wecker zeigte: "De Koh ürt all" war das Signal und dann wurde gemeinsam beraten. "Da KaIv mutt d'r oft", hieß es, und manchmal wurde es dann mit vereinten Kräften "heruntergerissen". Auch davon kann jeder Landwirt stundenlang erzählen. "Uns Koh is melk worden. ..."
Das ist die Werkstatt vom alten Hermann Poelmann in lhrenerfeld. Im Vordergrund seine Tochter Angela, wie sie die Junghennen füttert. |
War es ein Bullkalb, so bekam es nur die "Beestmelk" und wurde dann verkauft; über das Weiterleben dieser Bullkälber in den Mastanstalten machte sich der Fehntjer keine Gedanken. Es ging ihn nichts an. Das Leben war doch hart genug, da kann man nicht auch noch Mitleid haben. Ich möchte es mir an dieser Stelle versagen, über solche Kälbermästereien zu berichten. Es macht keinen Spaß, und der einfache Mann konnte sich sowieso kein Kalbfleisch leisten; das war nur etwas für die Herrschaften in der Stadt. Dem Ostfriesen war Kalbfleisch zu "jidderachtig", es war , "Halvfleesk" oder "sötes Fleesk", und davon hielt er nichts.
Kommen wir zum "Kohkalv". Es wurde für die Nachzucht gebraucht. Wenn genug Weide vorhanden war, konnten auch zwei Kuhkälber großgemacht werden. Solche Stöckels, Enters und auch Twenters ließen sich später gut verkaufen. Die Kolestoralmilch hatte in Ostfriesland eine besondere Bedeutung; "De Beestmelk düürt neet na de Molkeree, man de is good för `t KaIv, to `n mojen Stuut, to Beestmelkpannkook un to Pirrel in de Püt." Na ja, jedermanns Geschmack dürfte das nicht gewesen sein. Tatsache ist, daß in dieser "ersten" Milch viele wertvolle Stoffe waren, die das Kälbchen und vielleicht auch die Menschen schützten.
Gefürchtet war der Kälberdurchfall: "De Kalver hebben de Billen so schitterg, se mutten wat eeken Bast hebben." Hier hilft also die Gerbsäure in der Eichenrinde - gewußt wie! Schon bald erhielt das Kälbchen keine Vollmilch mehr, sondern entrahmte Milch, die der Milchwagen von der Molkerei zurückbrachte. Damals gab es noch keine Milchquoten, und das Überschreiten der Referenzmenge wäre überhaupt kein Problem gewesen. Heute wird Vollmilch in der Schweine- und Bullenmast eingesetzt, um das teure Kraftfutter zu sparen. Unser Kälbchen bekam Magermilch: "Wat mutt man sük ofknojen mit de swore Drinklaatsemmers", klagten die Bauersfrauen, denn diese Arbeit durften andere nur in Ausnahmefällen tun. Das "uptrecken, grootmaken oder upkluckern" ließ sich die Hausherrin nur ungern aus der Hand nehmen.
Wenn das Wetter gut war, wurde das Kälbchen schon bald nach draußen in den "Appelhoff" gebracht. Hier im Obstgarten konnte das Tier ständig überwacht werden. Die Bauern in den Dörfern hatten extra Kälberwiesen, die gut eingefriedet sein mußten: "De Stockels biersen in `t Land herum as mall." Es war gar nicht so einfach, ein ausgebrochenes Kalb wieder einzufangen! Deshalb kam das Kälbchen auf dem Fehn auch an den Sticker. Ein Kälberhalfter war vom vorigen Jahr noch vorhanden, den Warfel konnte man wieder gängig kriegen, und ein Tau hing auch noch auf der Diele. Das angepflockte Kälbchen entwickelte sich prächtig, so daß im Herbst der "Tanz ums goldene Kalb" begann: "Klapp in de Hand, verkoop dien Land, verkoop dien Koh, `t Kalv d `r to, de Koh `n Daler, dat KaIv `n Oort (alte Münze), de Koop geiht foort."
Der Holzschuppen steht heute noch genauso in Osterhörn bei Rhaude, nur den Misthaufen gibt es nicht mehr. Und eine Glucke mit Küken, das ist und bleibt ein Hobby für Heinrich Schmidt, auch wenn hier Tante Reenstine die "Tütties" füttert. |
Der Sommer war und ist die arbeitsreichste Jahreszeit. Neben der Aufzucht von Lämmern und Kälbern kam das Federvieh dazu. "All mien Duvkes sitten up `t Dack, flegen mi up de Hand, so sünt se mack. All mien Höhner picken mien Korn, dann kreiht de Hahn un krabbt mit sien Spoorn. All mine Aantjes swemmen in de See, Kopp in't Water, Foeten in de Höh!" Der Fehntjer Kurier hat am 30. Juni vorigen Jahres ausführlich darüber berichtet: "Uns Tüttje sitt to bröden."
Das Füttern der Kälber war Frauensache, ganz gleich, ob auf dem Fehn oder auf dem Dorf. Oma Antje Schmidt vom Osterhörn bei Rhaude hat Jahr für Jahr die Kälber getränkt und oft genug ein Stück Brot in die Magermilch gebröselt. |
Wenn die erste Henne anfängt zu glucken, werden alle Familienmitglieder angewiesen, den Verlauf genau zu beobachten, denn oft genug verlegen die Hennen ihre Bruteier an unzugängliche Stellen. Zudem ist nicht jedes Huhn eine gute Gluckhenne: "Wenn de Henn neet dörbröddt, komen de Eier neet ut." So warten denn alle gespannt, bis der Tag herannaht, wo die Glucke mit ihren möglichst vielen Küken vom Nest kommt. Dann ist die heile Welt auf dem Lande perfekt, und die Städter sind neidisch auf die Landbevölkerung, die noch so eng mit der Natur verbunden lebt.
Wild schlägt das Schwänzchen des Kälbchens hin und her. Die Milch im Eimer wird gierig getrunken. Hinter Hanni steht Hans Nitzwitz, der bei Meiers half, sowie das Ferienkind Herbert Boodenberg aus Hilten. |
Zur Verfügung gestellt von Hilda und Heinrich Schmidt, Hanni Scheer (2), Agate Helling und Hans Rieke.
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