[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 15.06.1989

Das 1910er Unwetter über dem Fehn 
Eine Windhose ließ den Sonntagstanz vergessen 

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Das 1910er Unwetter über dem Fehn 
Eine Windhose ließ den Sonntagstanz vergessen 

Heute ist der 7. Juli. Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, hat sich alles wieder ein wenig beruhigt. Heute morgen noch rasten die Kampfflugzeuge über unser Oberledingerland. Die Scheiben klirrten, die Kühe hoben erstaunt ob der Kriegsverteidigungssituation die kauenden Köpfe, und die Nachbarn verstanden ihr eigenes Wort nicht mehr.

Diese Postkarte führt etwas in die Irre. Oben steht "das Unwetter in Ostrhauderfehn", aber es handelt sich um die Gaststätte de Buhr am Deich. Wie seltsam solch ein Wirbel Schäden anrichtet, kann jeder gut an dem völlig intakten Dwarshuus erkennen. Rechts die Eichen sind abgedreht worden. Um den Schuppen links wird es sicherlich nicht schade gewesen sein, er hätte doch bald erneuert werden müssen.
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Diese Postkarte führt etwas in die Irre. Oben steht "das Unwetter in Ostrhauderfehn", aber es handelt sich um die Gaststätte de Buhr am Deich. Wie seltsam solch ein Wirbel Schäden anrichtet, kann jeder gut an dem völlig intakten Dwarshuus erkennen. Rechts die Eichen sind abgedreht worden. Um den Schuppen links wird es sicherlich nicht schade gewesen sein, er hätte doch bald erneuert werden müssen.

Dann wieder Ruhe. Doch der Himmel verdüsterte sich. Schwarze Wolken zogen auf. Erneut knallte es, aber diesmal war es ein Blitz, dem schnell ein lauter Donner folgte. Das Gewitter zog auf, weitere Blitze folgten, und die entsprechenden Donner zeigten an, wie weit die Regenwolken entfernt waren. Es ist Juni, der Heumonat. Dieses Jahr ist der erste Schnitt schon längst im Silo unter der Plane verschwunden. Aber vor 79 Jahren, genaugenommen am 4. Juni 1910, da waren etliche Fehntjer dabei, das trockene Heu mit einer überdimensionalen Karre ins Hinterhaus zu bringen.

Heye Busboom, dessen imposanter Hof nur 500 Meter weit von der Gaststätte entfernt lag, hatte wesentlich größere Schäden zu beklagen. Interessant bei diesem Bild der Postbote, der wohl vom Untenende aus über das Osterhörn nach Rhaude wollte, und sich beim Anblick eines Fotografen gleich mitverewigen ließ.
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Heye Busboom, dessen imposanter Hof nur 500 Meter weit von der Gaststätte entfernt lag, hatte wesentlich größere Schäden zu beklagen. Interessant bei diesem Bild der Postbote, der wohl vom Untenende aus über das Osterhörn nach Rhaude wollte, und sich beim Anblick eines Fotografen gleich mitverewigen ließ.

Es war ein Sonnabend. Wer nicht im Heu war, harkte Hecken und Wege. Die Küche wurde mit Sand und Wasser geschrubbt. Im Bungerschen Gasthof (heute Billker) bereitete man sich auf den Sonntag vor. Da es schwül und stickig war, gab es mittags in den meisten Häusern nur Karmelksbree. Der eine oder andere hatte sich vorgenommen, am Nachmittag das Schaf zu scheren. Der Pastor bereitete sich auf seine Sonntagspredigt vor. Bauern und Gesinde guckten ängstlich gen Nordwesten, wo sich langsam eine Gewitterfront aufbaute. Die Zimmerleute kümmerte es wenig, sie wollten fertig werden. Das war keine nachbarliche "Schwarzarbeit", sondern damals wurde am Samstag noch voll durchgearbeitet.

Die Fehntjer Häuser von Beckmann und Joly Weers im Untenende von Ostrhauderfehn. Sehr deutlich zu erkennen am linken Gebäude das "Gemack", wo man über einer Grube etwas "machen" konnte ... Die Personen konnte mir niemand nennen.
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Die Fehntjer Häuser von Beckmann und Joly Weers im Untenende von Ostrhauderfehn. Sehr deutlich zu erkennen am linken Gebäude das "Gemack", wo man über einer Grube etwas "machen" konnte ... Die Personen konnte mir niemand nennen.

Niemand um das Fehntjer Meer herum dachte an irgend etwas Besonderes. Zwar wurde es immer dunkler. Mutter und Oma begannen, die weit geöffneten Fenster zu schließen. Besorgt wurden die Kinder gerufen, doch an Tee dachte niemand. Ein seltsames Sausen entstand, ein Pfeifen und Heulen. "Nu kiek di dat eben an!" rief die Mutter und zeigte mit der Hand schräg in den dunklen Himmel. Spiralförmig drehte sich eine Windhose über dem Fehntjer Meer. Noch nie hatten die Kinder ein so seltsames Schauspiel gesehen.

Eine Erd-, Sand-, Land- oder Windhose, auch Landtornado genannt, ist ähnlich aufgebaut wie eine Wassertrompete, Wettersäule, Wasserhose oder Trombe. Wie bei den Wirbelstürmen oder Zyklonen reicht aus der Unterfläche einer Gewitterwolke ein rüsselartiger Schlauch bis in Boden- oder Wassernähe herab. Starke Kaltfronten, die von oben her in sehr warme feuchte Luft einbrechen, erzeugen solche Tromben.

Die Wirbelgeschwindigkeit in dem ringförmigen Mantel beträgt 60 bis 80 Meter pro Sekunde. Der Drehsinn ist gewöhnlich gegen den Uhrzeigersinn gerichtet. Im Innern des Wirbels herrscht ein so plötzlicher Druckabfall, daß selbst schwerste Gegenstände in die Luft gerissen werden und manchmal kilometerweit fortgetragen werden. Sekundenschnell entsteht eine solche Windhose, die in Minuten eine Schneise der Zerstörung hinterläßt.

Am 4. Juni 1910 hatte sich solch ein lokaler Wirbel über dem Langholter Meer gebildet. Im Westen zerstörte er die Gaststätte de Buhr am Deich (heute Mundorgel) und entwurzelte die Eichen neben dem Busboomschen Hof (Maecker gegenüber), dessen Hinterhaus völlig zerstört wurde. Dann raste der Wirbel wieder über den Nordteil des Fehntjer Meeres nach Ostrhauderfehn, wo der Bargbuur Weers (heute Willms) voll getroffen wurde. Hier blieb wirklich kaum noch ein Stein auf dem anderen.

Vom Bargbuur Weers (heute Willms) gibt es zwei Aufnahmen. Dieses Platzgebäude wurde wirklich so zerstört, daß nur ein Neubau in Frage kam.
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Vom Bargbuur Weers (heute Willms) gibt es zwei Aufnahmen. Dieses Platzgebäude wurde wirklich so zerstört, daß nur ein Neubau in Frage kam.

Sekunden später war das Ostrhauderfehner Untenende erreicht. Helgenbaas Kretzmer konnte sich gerade noch im Pikhuus verstecken, da krachte schon sein Hinterhaus zusammen. Joly Weers und Beekmanns Haus wurden genauso abgedeckt wie das von Schlachter Klock. Der Bungersche Gasthof konnte das "Sonntagskonzert" vergessen: Den Fußboden im Tanzsaal bedeckten zerbrochene Dachpfannen.

Selbst in der 1. Südwieke traten noch Schäden auf. Von Sinnings Dach flog eine Pfanne "dwars över't Deep" in das Küchenfenster und zerstörte die auf dem Tisch stehende Petroleumlampe. Der Brand konnte Gott sei Dank schnell gelöscht werden. So schnell wie der Wirbel gekommen war, so schnell verzog er sich auch. Über HoIterfehn - Tautes Haus in der (jetzigen) Nordstraße wurde auch noch abgedeckt - verzog sich die Windhose nach Bokelesch, wo dann alles zu Ende war.

Größeren Personenschaden hat es nicht gegeben. Der "Ladendeener" von Gebr. Harms (heute Volksbank) soll durch die Luft geflogen und "sanft" auf einer Hecke gelandet sein. Angeblich ist eine Ziege vom Untenende erst in Holterfehn wiedergefunden worden. Ansonsten begann das Rennen nach Dachpfannen. In kürzester Zeit war die Scharreler Ziegelei ausverkauft. Aber auch die entwurzelten Bäume mußten in mühsamer Handarbeit zersägt werden. Wer je mit einer "Trecksaag" einen Eichenstamm zerteilte, der weiß, wieviel Schweiß dabei vergossen wurde.

Hier stellt sich Bauer Weers inmitten der Trümmer in Positur, um auf die Platte gebannt zu werden. Dieses Haus gehörte ehemals zur Gemeinde Langholt, damit das nicht in Vergessenheit gerät.
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Hier stellt sich Bauer Weers inmitten der Trümmer in Positur, um auf die Platte gebannt zu werden. Dieses Haus gehörte ehemals zur Gemeinde Langholt, damit das nicht in Vergessenheit gerät.

Die Frauen bangten um ihren Garten. Taubengroße Hagelkörner hatten fast alle Kulturen zerstört. Außerdem hatte es so stark geregnet, daß die "Battenposten anfungen to driefen". Der sächliche Schaden ging in die Tausende, aber es hatte keine Personenschäden gegeben. Und mit dem Eigensinn der Ostfriesen ging es an die Aufräumarbeiten. Neben der Nachbarschaftshilfe sprangen auch die Gemeinden Rhaudermoor, Langholt und Ostrhauderfehn ein. Nur der Kreistag in Leer lehnte eine finanzielle Hilfe strikt ab.

So blieb die Windhose vom Fehntjer Meer eine der merkwürdigsten Erscheinungen während der Kaiserzeit. In den Berliner Zeitungen ist sie noch nicht einmal erwähnt worden, so unbedeutend war dieses lokale Ereignis. Aber einen Fotografen hat die "Naturkatastrophe" angelockt. Er ließ fünf Postkarten herstellen, die alsbald hauptsächlich in Ostrhauderfehn verkauft wurden. Die Rückseite trägt nur eine Nummer, so daß wir weder den Fotografen noch den Drucker dieser Aufnahmen kennen.

Zwei Jahre später soll es noch einmal eine etwas schwächere Windhose am Langholter Meer gegeben haben. Aber davon wissen die wenigsten noch etwas zu erzählen.

Zur Verfügung gestellt von Hanni Prahm, Grete Pranger, Netti de Freese und Hinrich Reents (2)

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