Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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Die Bundesrepublik Deutschland feiert ihren 40. Geburtstag. Bei diesem Datum wird oft allzu leicht vergessen, wie die Bedingungen waren im Mai 1949, als der neue Staat auf deutschem Boden gegründet wurde. Es war nicht mehr der einzige deutsche Staat, auch wenn das erst weit später tatsächlich Anerkennung fand. Die Staatsgründung war auch nicht das Ergebnis einer freiwilligen Entscheidung, sondern die Folge eines verheerenden Krieges, der von deutschem Boden ausgegangen war. Ihre Souveränität - im doppelten Sinne des Wortes - hatten die Deutschen verloren.
Pullenhütte von Oll Willm. "Pullen" sind großflächige Grassoden, mit denen ein Holzgerüst beschichtet wurde. |
Wiedergutmachung, Rückkehr in die Gemeinschaft der Staaten als würdiges Mitglied sowie das Lernen aus den schrecklichen Fehlern der Geschichte waren die Zielsetzungen des von den Besatzungsmächten eingesetzten Parlamentarischen Rates, der in monatelangen Beratungen ein Grundgesetz entwarf, das am 23. Mai 1949 offiziell unterschrieben und verkündet wurde. Nun konnte gewählt werden, und am 7. September 1949 trat der erste Bundestag zusammen. Die Post verausgabte zu diesem bedeutenden Ereignis ihre ersten beiden Sondermarken, die den Wiederaufbau Deutschlands symbolisch mit einem Richtkranz darstellen.
Dieser Wiederaufbau nicht nur von einem Staat, sondern von vielen, vielen Häusern war notwendig, denn überall gab es ausgebombte Familien und viele, viele Flüchtlinge.
Die erste Sondermarke der Deutschen Bundespost zu 10 und 20 Pfennig. Der Anlaß war die konstituierende Sitzung des 1. Bundestags. |
Damit diese Menschen wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten, wurden sie vorerst einmal in Baracken und Behelfsheimen untergebracht. Diese Baracken sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Das Wort kommt aus dem Spanischen, wo ,;barraca" eine Fischerhütte bedeutet. So um 1680 wurde dieses Wort dann durch Soldaten nach Frankreich gebracht. Hier wurden die "baraques" auf die Unterkünfte der französischen Kavallerie bezogen, während die Infanterie in "huttes" wohnte. Erst die englischen Soldaten machten die "baracks" bis zum heutigen Tage zu "Kasernen".
Diese Wohnbaracken der Armeen in Frankreich, England, Preußen und Österreich waren schnell zu bauen. Sie bestanden gewöhnlich aus einem steinernen Fundament, das 60 Zentimeter über den Erdboden hervorragte. Auf einem etwa drei Meter hohen Ständerwerk, welches mit Brettern verkleidet wird, ruht ein leicht schräges n Bretterdach. Es gab Holzdielen (sehr wichtig!) und verschließbare Luken mit Leinentüchern oder sogar Fensterglas. Die innere Einrichtung bestand aus Pritschen. Nach 1870/71 gab es für die 82 500 französischen Kriegsgefangenen in Köln, Koblenz und Mainz solche standardisierten Barackenlager.
Das einzige bekannte Behelfsheim in Ostrhauderfehn, 2. Südwieke, wurde später verklinkert (rechts). |
Auch als Krankenbaracken haben diese leicht zu bauenden Behelfsheime wegen ihrer günstigen hygienischen Möglichkeiten schon seit dem Krimkrieg in den Jahren 1853 bis 1856 Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Jedes einigermaßen gründliche Buch über die Entwicklung des Hospital- und Krankenhausbaus erwähnt die Barackenlazarette. Sie konnten durch Dachreiter und Klappen im Dielenboden optimal belüftet werden. Bei Seuchen und Epidemien konnten Hospitalbaracken isoliert aufgebaut und nach Beendigung der Ansteckungsgefahren einfach verbrannt werden.
Keine guten Erinnerungen haben Flüchtlinge an die Baracken in Steingrab bei Stapelstein südlich von Wilhelmshaven. Heute stehen die schon recht massiven Behelfswohnungen verlassen neben der Bundesstraße. |
In Ostfriesland sind Barackenlager weitgehend unbekannt. Wir sind verschont geblieben vom großen Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges. Die Zerstörung Emdens und das unglückliche Bombardement Esens' sind die Ausnahmen. Bei uns gab es die Pullenhütten zum Beispiel vom Oll Willm in Großwolderfeld. Wir haben die Eenkökenhuusen zum Beispiel in ldafehn. Raum ist in der kleinsten Hütte, heißt es. "Egen Heerd is Gold wert, un wenn he ok man so groot is, dat de Pannsteel to de Dör utkickt." Auf dem Moor "d'r stunn kien Huus of Heem", und bevor die Leute "hör Hüttje un Müttje binannersmieten kunnen", mußte jeder klein anfangen.
Ein Behelfsheim an der Burlager Landstraße. Seine Tage dürften gezählt sein. |
So kam es, daß die Bewohner von durch Granaten zerstörten Häusern erst einmal im Backhaus eine dürftige Bleibe fanden. Ein richtiges Behelfsheim auf vorgefertigten Normteilen gab es meines Wissens nur in Ostrhauderfehn in der 2. Südwieke. Ausrangierte Eisenbahnwagen als Notwohnungen standen bei Reiner Schulte in Ostrhauderfehn an der Landstraße sowie hinten auf der Landstelle bei Kaufmann Aits in der 2. Südwieke (heute Kirchstraße). Auch auf der sogenannten "Armenstelle" in Ostrhauderfehn an der 1. Südwieke stand solch ein Eisenbahnabteil, und eine Art Notwohnung wurde aus den Steinen der alten Schule im Untenende (dem ehemaligen Hitlerheim) ebenfalls auf der Armenstelle gebaut. Nissenhütten, wie sie zum Beispiel in Hinrichsfehn bei Wiesmoor vorkamen, gab es bei uns nicht. Lediglich die grüne Baracke in Cornelsens Ruine (Ostrhauderfehn, heute Volksbank) oder der einfache Bau von Kaufmann Meiners in ldafehn und Kaufmann Gräfe in Ostrhauderfehn waren Hinweise auf den Gesundungsprozeß der deutschen Wirtschaft, der nach der Währungsreform im September 1948 einsetzte.
"Aber im kleinsten Zimmerlein kann jeder glücklich sein", haben Paul Sikora und seine Frau Dore aus Wipperfürth hinter dieses Foto aus dem Jahr 1949 geschrieben. Sie sind regelmäßig Feriengäste in Ostrhauderfehn. |
Wer von unseren Lesern mit offenen Augen durch unsere Orte fährt, findet hier und dann ein kleines Wohnhaus, das jetzt zu einer Garage umgebaut wird. Ansonsten herrschen die Bungalows in den Siedlungen vor. Gepflasterte Auffahrten neben prachtvollen Ziergärten weisen auf 40 Jahre erfolgreiche Regierungsarbeit hin. Unsere Wohlstandsgesellschaft tut sich schwer im 40. Jahr ihres Bestehens, sich an die neuen Lager für die Aussiedler aus dem Osten zu gewöhnen. Jetzt sind es keine Baracken mehr, sondern "Wohncontainer". Auch diese Aussiedler werden eines Tages stolze Besitzer eines Eigenheims werden. Sie werden die Zeit in den Notunterkünften vielleicht ebenso schnell vergessen wie die heutige Generation.
"My home is my castle" sagt der Engländer, und viele Menschen tun so, als ob ihr Haus tatsächlich die eigene Burg ist. Da werden Holz-, Draht- und Betonzäune um das Grundstück gebaut, so als ob das Wort "Nachbarschaft" zu einem Fremdwort geworden ist. Solche Drahtverhaue standen einst um die Kriegsgefangenen- und Konzentrationslager. Hier gab es die Baracken, wie sie in ähnlicher Ausführung der Reichsarbeitsdienst schon hatte bauen lassen. Niemand will an diese Zeit gern erinnert werden. Vierzig Jahre Bundesrepublik heißt auch: vierzig Jahre Frieden! Tun wir alles, damit uns dieser Frieden erhalten bleibt! Dann benötigen wir keine Baracken und Behelfsheime mehr.
Die früheren kleinen Häuser der Fehntjer sind heute gerade gut genug für unsere Autos, so an der Langholter Straße in Ostrhauderfehn oder am Jägerweg in Overledingermoor. |
Die Bilder wurden zur Verfügung gestellt von Hinrich Reents, Hans Rieke und Gisela Schmidt.
Fotos: Heinze
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