[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 01.06.1989

Ostfriesisches Teemuseum in Norden 
"Teenabel" verweist auf fremde Kulturen

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Ostfriesisches Teemuseum in Norden 
"Teenabel" verweist auf fremde Kulturen

Es gibt in der ganzen Welt drei Teemuseen. Eines davon wurde in der letzten Woche in Norden eröffnet. Alles, was Rang und Namen hatte, fand sich in der ältesten Stadt Ostfrieslands ein. Der Verkehr brach zusammen und mußte umgeleitet werden.

In ganz Europa gibt es kein Teemuseum, auch in England nicht. Und wo sollte ein Teemuseum stehen, wenn nicht in Ostfriesland? Hier, in dieser herben Landschaft, die den Stürmen fast schutzlos ausgesetzt ist, hier gibt es diesen dunkelbraunen Tee mit Kluntje und Sahne.

Gewiß hätte jeder erwartet, daß das Teemuseum bei drei ordentlichen Tassen Ostfriesentee eröffnet würde, aber weit gefehlt. Der Heimatverein und die Stadt Norden hatten sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Zum ersten Mal wurde zumindest in Ostfriesland ein Museum mit einem Festakt in der Kirche eröffnet.

Der "Utroeper" geleitet die Festgesellschaft von der Ludgerikirche zur Westerstraße. Der Heimatverein von Ocholt steht Spalier.
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Der "Utroeper" geleitet die Festgesellschaft von der Ludgerikirche zur Westerstraße. Der Heimatverein von Ocholt steht Spalier.

Das war besonders stimmungsvoll: draußen der herrliche Sonnenschein, drinnen die andächtige Kühle eines sakralen Raumes. Pastorin Almut HoIler begann die Andacht aber gleich mit dem Hinweis, daß dieser Gottesdienst kein "geistlicher Zuckerguß" für die Eröffnungsveranstaltung sei. Die bis auf den letzten Platz besetzte Ludgerikirche in Norden sei ein durchaus angemessener Platz für diese Feier. In der Kirche wie in den Museen gelte das Motto: Erinnern und Gedenken.

Vor dem Museum angekommen, verliest der "Utroeper" die Gründungsurkunde. Hier steht die "Nörder Danzkoppel" Spalier.
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Vor dem Museum angekommen, verliest der "Utroeper" die Gründungsurkunde. Hier steht die "Nörder Danzkoppel" Spalier.

Fotos: Heinze

Erinnern wir uns an die Herkunft des Tees und gedenken wir der Menschen, die ihn pflücken, fermentieren, trocknen, verpacken und zu uns schicken. Diesen Menschen aus dem Fernen Osten, die uns den köstlichen Tee gebracht haben, verweigern wir heute die Hand. Sie werden oft als schlitzäugige "gelbe Gefahr" bezeichnet oder als asylsuchende Tamilen von Sri Lanka, dem ehemaligen Ceylon, gleich in ihre Sklavenheimat zurückgeschickt.

Dr. Virgina Oswald, Freifrau von Diepholz, erhält vom Bürgermeister der Stadt Norden, Fritz Fuchs, einen goldenen Thaler als bescheidenes "Dankeschön" für die wertvollen Ausstellungsstücke, die sie dem Museum gestiftet hat.
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Dr. Virgina Oswald, Freifrau von Diepholz, erhält vom Bürgermeister der Stadt Norden, Fritz Fuchs, einen goldenen Thaler als bescheidenes "Dankeschön" für die wertvollen Ausstellungsstücke, die sie dem Museum gestiftet hat.

Die Europäer haben mit ihren Teeplantagen oft genug die heimische Landwirtschaft zerstört. Ein Vergleich zu den untypischen Maisfeldern in unserem Ostfriesland bietet sich an. Gott gibt uns Menschen diese Schätze der Erde nur als Leihgabe. Gott läßt viele Völker leben. Wie gehen wir Menschen mit den Gaben Gottes um? Wie gehen wir miteinander um? Die Ruhe und Gelassenheit der Tibeter oder Mongolen beim Teetrinken, die Gastfreundschaft der Chinesen und Japaner bei ihrem Teezeremoniell, die altehrwürdigen asiatischen Philosophien liegen im grünen oder schwarzen Tee verborgen. Der Tee spricht eine religiöse Sprache, er ist eine kostbare Leihgabe fremder Länder und Kulturen.

Nach dieser Andacht leitete der Vorsitzende des Heimatvereins Norderland, Adolf Sanders, in gewohntem ostfriesischen Platt über zum neuen "Teenabel in Ostfreesland". Alle Nachkommen von ostfriesischen Auswanderern in Amerika oder sonstwo auf der Welt würden "ihren" Tee nie vergessen: "Dor suust dat Waater in't Keetel sien Wies, und dor verteIlt Grootvader ut sien Kinnertieden."

Der Minister verläßt mit seiner Gattin (ganz in weiß) die festliche Teetafel, da er noch einen weiteren Termin wahrnehmen muß.
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Der Minister verläßt mit seiner Gattin (ganz in weiß) die festliche Teetafel, da er noch einen weiteren Termin wahrnehmen muß.

Der niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst, Dr. Johann-Tönjes Cassens, verwies in seiner Ansprache darauf, daß der Tee in Ostfriesland nicht nur ein Getränk neben anderen sei. Der Tee sei Ausdruck eines Lebensgefühls, ein Zeichen ostfriesischer Gastlichkeit und familiären Zusammengehörigkeitsgefühls. Aus diesem Grunde seien die 350 000 DM, mit denen sich das Land Niedersachsen an den Bau- und Einrichtungskosten beteiligt habe, gut angelegt.

Die Spenderin eines Großteils der kostbaren Ausstellungsgegenstände, die Privatdozentin Dr. Virginia Oswald, eine Freifrau von Diepholz, ging in ihrer kurzen Ansprache auf die asiatischen Teetraditionen ein. Das Abendland und das Morgenland könnten über den ritualisierten Teegenuß zueinanderfinden. Diesem Museum sei der Auftrag zuteil geworden für die Kulturen fremder Länder Verständnis zu wecken. Das Ostfriesische Nationalgetränk sei nur eine Leihgabe von Völkern, die eine viel längere und ältere Kultur hätten als wir Europäer.

Minister Cassens enthüllt das Türschild des neuen Teemuseums.
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Minister Cassens enthüllt das Türschild des neuen Teemuseums.

Es blieb dem Landschaftspräsidenten vorbehalten, einen humorvollen geschichtlichen Rückblick über die Anfänge des Teetrinkens in Ostfriesland zu halten. Denn eigentlich hätte Ostfriesland ein "Biermuseum" erhalten müssen. Schon 1530 schreibt Henrikus Ubbius über die Emder Bürgerinnen: "Die Frauen sind schön, zum Teil aber dem Trunk ergeben und oft sogar schwer berauscht vom Bier, das durch seine Süße die Sinne umnebelt." Das Bier war Volksgetränk in Ostfriesland, und auf fast jedem Bauernhof wurde es hergestellt. Die Obrigkeit hatte Angst, den in der Reformationszeit angeprangerten "Saufteufel" zu verbieten, denn es bestand die Gefahr, daß die Menschen dann auf den härteren Genever umsteigen würden.

Einige der geladenen Gäste betrachten aufmerksam die Gegenstände in den Vitrinen.
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Einige der geladenen Gäste betrachten aufmerksam die Gegenstände in den Vitrinen.

Da kamen vor 300 Jahren Tee, Kaffee und Kakao als Modegetränke in vornehmen ostfriesischen Bürgerhäusern zu ersten Ehren, ja, 1691 gab es in Emden sogar schon vier öffentliche Kaffee- und Teehäuser. Noch einmal versuchte der preußische Staat ein Verbot durchzusetzen, da der Import von Tee zu viele Devisen abfließen ließ. Auch warnte der uns bestens bekannte Arzt Dr. Johann Christian Reil besonders die Frauen vor allzuviel Teegenuß, der angeblich Mißgeburten und sogar Unfruchtbarkeit hervorrufen könne. Aber das Teetrinken ließ sich nun nicht mehr aufhalten.

Auch Preußen konnte nicht an der regionalen Eigenart und der herrschenden Gewohnheit einer Bevölkerung vorbeikommen: "De Teekeetel suust all, bliev man evkens sitten, ik mok uns gau'n Koppke Tee." Allerdings; so fuhr Ewen schmunzelnd fort, habe es die Obrigkeit bis heute noch nicht geschafft, die Teepflanze als Alternative für die Landwirtschaft bei uns heimisch zu machen.

Dr. Hedwig Hangen vom Museumsverbund Ostfriesland erklärt dem Minister einige Ausstellungsstücke.
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Dr. Hedwig Hangen vom Museumsverbund Ostfriesland erklärt dem Minister einige Ausstellungsstücke.

Nach diesem Festakt gingen die geladenen Gäste in die Westerstraße, wo der Emder Kraftwerkschor verschiedene Lieder vor der Tür des neuen Museums sang. Anschließend trafen sich alle im Saal des Heimatmuseums, um die Eröffnung würdig zu "begießen" - mit drei Tassen "echt ostfriesischen" Tees.

Die Teekistenecke im Museum
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Die Teekistenecke im Museum

 

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