Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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Wer die Fotos auf dieser Seite betrachtet, kommt unwillkürlich ins Grübeln. "Was, diese Dinger haben unsere Eltern und Großeltern tatsächlich mal gefahren?" werden die jungen Leser fragen. Immerhin haben "diese Dinger" drei bis vier Räder gehabt, und ein Motor war auch drin. Unsere Straßen waren damals noch nicht so überfüllt. Die Fußgänger konnten ohne Angstschweiß die andere Straßenseite erreichen. Wenn ein Automobil kam, konnte es oft schon am Geräusch, bestimmt aber an der äußeren Form erkannt werden. "Der Opel Laubfrosch im Overledingerland" hieß eine Geschichte im Fehntjer Kurier vom 23. 12. 1987. Heute weiß der Beobachter oft nicht, ob es ein Opel, Audi, Ford oder Mercedes ist - selbst die Japaner imitieren die deutsche Karosserieform.
Fast alle Autos hatten einen Spitznamen. "Schneewittchensarg" wurde dieser tolle Messerschmitt-Kabinenroller genannt, der Hermann Kramer in Holterfehn gehörte. Hinten sitzt Beate Pohlenga und vorn Tochter Annegret. |
Es gibt eine ganze Menge junger Leute, die sich für die Anfänge der Technik interessieren. Da finden die "Schnauferl-Treffen" statt, oft mit einer kleinen Rallye verbunden. Und natürlich mit einem großen Gebrauchtwagenmarkt. Denn jeder möchte seinen Veteran so echt wie möglich wieder gangbar machen. Diese Oldtimertreffen sind heute große Anziehungspunkte für jung und alt. Automatisch wird in einer Sprache verhandelt und diskutiert, die ein bestimmtes Wissen voraussetzt.
Auch das ist Geschichte. Und wer je an solch einem Treffen als Laie teilgenommen hat, der wird angesteckt von einem Bazillus, gegen den es noch kein Medikament gibt. Da hockt der "Angesteckte" dann zu Haus, wälzt in Büchern, sucht im Schrott, wird zum Kriminalisten, wenn es an das Aufspüren eines Oldtimers geht. Wir wollen uns einmal unter diese Fans der Veteranen mischen.
Diesen gebrauchten Hanomag mit Kettenantrieb kaufte sich Adolf Diersmann 1932 in Norden, als er schon auf dem Fehn lebte. Mit einem Kollegen war er zu einer Sparkassentagung nach Wilhelmshaven unterwegs und ließ sich hier in Wiesmoor neben seinem "Kommißbrot" fotografieren. Solch ein Auto fuhr auf dem Fehn auch der damalige Provisor der Apotheke, H.D. Schapp, jetzt Ihrhove. |
Am 16. Januar 1986 gab die Deutsche Bundespost eine Sondermarke heraus "100 Jahre Automobil". Mit solchen Gedenkdaten tun sich die Historiker immer ein bißchen schwer. Es gibt fast immer jemanden, der noch ein früheres Datum kennt. So könnte der Dampfwagen von Cugnot, den der Franzose im Jahr 1769 baute, als Vorläufer unseres heutigen Autos gelten. Das war vor 220 Jahren. Oder wir könnten den österreichischen Mechaniker Marcus nehmen, der 1875 ein einfaches hölzernes Fahrgestell mit einem kleinen Benzinmotor antrieb. Ein Nachbau ist im Wiener Hofmuseum zu besichtigen. Die Motorleistung wurde auf die Hinterräder durch eine Seilscheibe und mit einer Reibungskupplung übertragen.
Als Schöpfer des eigentlichen Kraftwagens aber gelten Karl Benz und Gottlieb Daimler. Letzterer baute 1885 einen stehenden Einzylindermotor in ein hölzernes Niederrad ein und führte mit diesem ersten Motorrad der Welt erfolgreiche Versuchsfahrten durch. Im selben Jahr baute Karl Benz, unabhängig von Daimler, den ersten dreirädrigen Kraftwagen, während Gottlieb Daimler ein Jahr später den ersten vierrädrigen Kraftwagen konstruierte. Irgendwie waren das die Jahre der großen Erfinder. Dunlop erfand 1890 den Gummiluftreifen, Maybach erfand den Spritzdüsenvergaser, und Bosch entwickelte die Kerzenzündung - ein neues Zeitalter war geboren.
Sanitätsrat Dr. Walter Trepte, 1863 - 1930, mit seiner Frau Berta auf dem neuen Motorwagen. Der Einzylinder-Viertakt-Benzin-Motor wurde mit einer Handkurbel angeworfen und machte 600 Umdrehungen in der Minute. Die 5 Pferdestärken brachten über Riemenantrieb satte 8 - 12 Stundenkilometer zustande, im Schnellgang sogar 24 - 30 km/h. In seinen letzten Lebensjahren fuhr Dr. Trepte ein "Flott weg", ein Fahrrad mit Hilfsmotor, welcher über dem Vorderrad angebracht war. Zur Verfügung gestellt vom Museum |
Jedermann im Overledingerland weiß (oder sollte wissen), daß der Sanitätsrat Dr. Trepte aus Rhaudermoor das erste Auto in unserer Gegend besaß. Mit Aktenzeichen I 5304 schrieb der damalige Landrath Graf von Wedel am 2. Juni 1902 an den Fehntjer Arzt: "Wie ich in Erfahrung gebracht habe, haben Sie Ihren Motorwagen in Betrieb genommen. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit ersuche ich Sie, in der ersten Zeit bei dem Vorbeifahren an anderen Fuhrwerken die größte Vorsicht zu beobachten und nöthigenfalls still zu halten, falls Sie bemerken, daß Zugthiere vor Ihrem Gefährt scheu werden. Ich mache Sie besonders darauf aufmerksam, daß Sie für jeden Schaden, der durch den Betrieb Ihres Motorwagens veranlaßt wird, haftbar gemacht werden können. gez. v. Wedel."
Dieser Motorwagen hatte bereits am 25. September 1901 folgende Bescheinigung erhalten: "Dem Dr. med. Trepte zu Rhaudermoor gehörenden, in der Fabrik Benz zu Mannheim fabrizierten Kraftfahrzeuge (Motorwagen) ist gemäß Paragraph 10 der Polizeiverordnung vom 16. Juli 1870 die Erkennungsnummer 1 zugetheilt." Wir können nun fragen: Ist dies der erste Kraftfahrzeugschein im Kreis Leer gewesen? Das ist richtig, denn nach der angeführten Polizeiverordnung bekamen sonst nur die Velocipedes (Fahrräder) einen Erlaubnisschein, wie wir in unserem Artikel "Pedd man sülvst" im März vergangenen Jahres zur Eröffnung der Museumssaison nachgewiesen haben.
Auch der gebrauchte Hanomag-Sportwagen, den er sich 1934
kaufte, stammte aus Norden. Der kopfgesteuerte Einzylinder mit starrer
Hinterachse war 60 km/h schnell.
Zur Verfügung gestellt (3) von Adolf Diersmann |
Dr. Trepte besaß nicht nur den ersten Kfz-Schein (der Führerschein wurde viel später "erfunden"), sondern er erhielt auch das erste Strafmandat, weil die Pferde scheuten, wenn sein Töfftöff mit 20 bis 30 Stundenkilometer durch die Rhauderwieke "raste".
Neben mancher komischen Anekdote über diesen Motorwagen von Karl Benz dürfte eine Geschichte etwas zweifelhaft sein. Es wird erzählt, daß ein Student aus Bonn, sehr weitläufig verwandt mit Dr. Trepte, ein Mädchen auf dem Fehn kennengelernt hatte, welches beim Sanitätsrat in Stellung war. Ihr schrieb er einen Brief, und auf dem Umschlag notierte er: "An Fräulein Sowieso, im Hause eines Arztes in Ostfriesland, der ein Automobil hat." Der Brief kam an, aber sicherlich nur, weil die findigen Postbeamten aus Leer den Namen des "Fräulein Sowieso" (der Name ist nicht überliefert) dem Ort Westrhauderfehn zuordnen konnten.
Denn ein Auto hatten auch schon andere Ärzte in Ostfriesland. Die Landärzte waren besonders den Unbilden des Wetters ausgesetzt, wenn sie Hausbesuche, z. B. bei Entbindungen, machen mußten. Im Schloßmuseum zu Jever, das an der oldenburgisch-ostfriesischen Grenze liegt, ist solch ein Benz-Motorwagen von 1895 ausgestellt, den sich 1895 der Arzt Dr. Scherenberg gekauft hatte. Dieser Wagen, der dem von Dr. Trepte im Aussehen gleicht, wurde 1986 wieder gängig gemacht. Bei der 450-Jahr-Feier der Stadt Jever wurde er vorgeführt.
Mit dem neuen Hanomag 3/16 machte Adolf Diersmann (rechts) 1935 einen Ausflug nach Wersen bei Tecklenburg. Aus diesem Ort stammte die Familie seines Schwiegervaters Friedrich Hoffmeister (links), der Mittelschullehrer in Osnabrück war. |
Das erste Auto in Ostfriesland aber kaufte der Papierfabrikant Friedrich Halbach aus Leer im Jahr 1894. Es war ein Benz Victoria, "vis-à-vis" von der Rheinischen Gasmotoren-Fabrik aus Mannheim, "Ersatz für Pferde, patentiert in Deutschland sowie allen anderen Industriestaaten der Welt". Es ging 1897 in den Besitz von Diedrich Dirks, dessen Sohn Leo nach dem Ersten Weltkrieg in Aurich eine Adler-Vertretung aufbaute.
Was Dr. Trepte nach dem Benz für ein Auto kaufte, hat mir niemand erzählen können. Wo er seine Kraftwagen reparieren ließ und pflegen ließ, wußte auch niemand mehr zu berichten. Wer der zweite und dritte Autobesitzer im Overledingerland gewesen ist - die Heimatgeschichte schweigt sich aus. Da gab es den Lohndroschkenfahrer Kraft in Ihrhove, der die Schiffer vom Bahnhof Ihrhove aus zum heimatlichen Fehn fuhr. Schon 1914 soll ein Heibült in Ihrhove Fahrschulunterricht erteilt haben. Es gibt tolle Döntjes aus den zwanziger Jahren. Die letzte Schulfahrt ging rückwärts über das Untenende! Hermann Südbeck und Rudolf Stratmann waren wohl die ersten Autobesitzer in Ostrhauderfehn. Hans Kalkhoff besaß nach dem Zweiten Weltkrieg einen DKW. Fritz Voßberger fuhr mit einer handgeschalteten lsetta zum damaligen Gemeindebüro in Ostrhauderfehn, und wenn Lehrer Schulze mit seinem "Adventswagen" die Kinder zum Freischwimmen nach dem Barger Kolk fuhr, so hatten diese auf den hinteren Rücksitzen eine prächtige Aussicht. "Macht hoch die Tür", hieß es damals.
"Macht hoch die Tür" galt auch für dieses
Fahrzeug, in dem Hermann Kramer und seine Frau Käthe Platz genommen
haben. Im Hintergrund grüßt Alwin Kampen die mutigen Rollerfahrer.
Zur Verfügung gestellt (2) von Hanni Kramer |
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie, wenn Sie
diesem Link folgen:
http://www.archiv-heinze.de/colonien/westrhfehn/berufeWF/berufewf.html
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