[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 02.03.1989

"Elk mutt sien Pand spinnen"
Insulaner verheizten gar die königlichen Spinnräder

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"Elk mutt sien Pand spinnen"
Insulaner verheizten gar die königlichen Spinnräder

Wer heute im Zeitalter der Computerspiele und der Geistervideos ein altes Märchen erzählen möchte, hat es schwer, und es geht ihm vielleicht wie der Königstochter:

"Guten Tag, du altes Mütterlein, was machst du da?" Die Alte antwortete: "Ich spinne", und sie nickte mit dem Kopf. "Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?" fragte die Königstochter, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Den Rest kennen wir: Sie stach sich in den Finger, und der böse Wunsch der dreizehnten weisen Frau ging in Erfüllung: Dornröschen und das ganze Schloß fielen hundert Jahre lang in einen tiefen Schlaf.

Taalkemöh (Taalke Uden aus Walle) sitzt über neunzigjährig in ihrem Hörn und spinnt die Schafwolle. Sie sitzt etwas schief, weil sie ein Bein gebrochen hatte. Auf dem Tisch eine Haspel.
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Taalkemöh (Taalke Uden aus Walle) sitzt über neunzigjährig in ihrem Hörn und spinnt die Schafwolle. Sie sitzt etwas schief, weil sie ein Bein gebrochen hatte. Auf dem Tisch eine Haspel.

So unwissend wie die schöne Königstochter sind heute fast alle Mädchen (und auch die Jungen), wenn wir sie fragen, wie und womit ein Spinnrad läuft. Das war früher ganz anders, denn da stand in jedem Haus ein solches Arbeitsgerät. "Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die Straße setzen und so viel spin-nen, daß ihr das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz blutig war. Da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen. Die blutige Spule sprang dem armen Mädchen aber aus der Hand und fiel in den Brunnen." Nun, dieses Märchen von Frau Holle geht glücklich aus, wir kennen es wohl alle.

Wie schwer die Arbeit des Spinnens war, erzählt uns die Geschichte von den drei Spinnerinnen: Ein faules Mädchen versprach sich drei seltsamen Weibern. Als die Hochzeit war, wurden diese als ihre Basen eingeladen. Der Königssohn aber fragte die mit dem breiten Plattfuß und sie antwortete: "Vom Treten, vom Treten." Die zweite fragte er: "Wovon habt ihr nur die herunterhängende Lippe? Und sie antwortete: "Vom Lecken, vom Lecken." Und die dritte fragte er: "Wovon habt ihr den breiten Daumen?" Und sie antwortete: "Vom Fadendrehen, vom Fadendrehen." Da erschrak der Königssohn und sprach: "So soll mir nun und nimmermehr meine schöne Braut ein Spinnrad anrühren!"

Auguste Meyer, 1. Südwieke, zeigte am 28. Februar 1937 dem Fräulein Anna von der Huir aus Leer, wie gesponnen wird. Zur Verfügung gestellt von Hanni Scheer
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Auguste Meyer, 1. Südwieke, zeigte am 28. Februar 1937 dem Fräulein Anna von der Huir aus Leer, wie gesponnen wird. 
Zur Verfügung gestellt von Hanni Scheer

So leicht hatten es die armen Mädchen nie. Spinnen war gleichzusetzen mit viel Arbeit. Von morgens bis abends lief das Spinnrad in oft kalten oder auch überhitzten Stuben. Nur gut, daß die Mädchen dabei ihren Gedanken nachhängen konnten. Und oft genug träumten sie vom Reichtum, wie das der Müller tat, als er dem König erzählte, daß seine Tochter aus Stroh Gold spinnen könne. Das Ende vom Lied war, daß Rumpelstilzchen sich das Kind der Königstochter holen wollte.
In Ostfriesland ist das Flachsspinnen nicht sehr verbreitet gewesen. Hier ging es fast immer um Schafwolle. "Spinn groff und groot, dat ist beter as nakend un blood." Nackt und bloß wollte niemand herumlaufen. "Spinnen deit neet völ winnen, man de't neet deit, de mit `t Liev nakend geiht." Und noch drastischer heißt es: "De dat Spinnweel lett stahn, mutt mit nakend Mors rumgahn." Hier ist jedem das eigene Hemd näher als der Rock.

Aber auch im Ostfriesischen hat das Spinnen etwas mit dem Glück der Braut zu tun: "Dreih um, dreih um, mien lüttjet Rad, ik spinn dat Gaaren nett un glatt. Dat Weel mutt alltied snurren, dann kann de Möm nicht gnurren. Dreih um, dreih um, mien lütt-jet Rad, ik spinn dat Gaaren nett un glatt. De Deerens, de völ spinnen, de könen Güldens winnen; lukt flietig to de Wocken ut, dann sünt ji övert Jaohr de Bruut." Oder dieser Vers: "Rosje van de Ride spunn so fiene Siede. Fiene Side, geel kruus Haor, mörgen word dat söven Jaohr. Söven Jaohr in d' Runde, Roosje dreih di umme! Roosje har sück woll bedocht, harr hör binnerst buten brocht." Auch sie hat sich also "erklärt" und "ja" gesagt.

Da sitzt sie dann in ihrer Küche: "Dat Spinnweel snurrt, de Moeder spinnt, bi't Füür spölt still hör lüttje Kind. Dat Füür brannt lecht, lecht schient dat Lücht, de Rook stiggt up de Funke flüggt. Dat Kind slöppt in, de Sandmann kummt, acht Ühr de olle Toornklock brummt. "Buuskerl geit um, mien söte Kind. Man gau to Bedd, ehr he di findt! Kumm gau, hier is din Awendbrod. lck treck di ut, dann hest gin Not. Dat Spinnwel snurrt, de Moder spinnt un is vergnögt: Warm slöpt dat Kind."

Es hat den Anschein, als ob Spinnen in Ostfriesland nicht die Bedeutung hatte wie in anderen Gegenden Deutschlands. In einem alten Bericht aus dem Jahre 1800 über die Leute vom Hümmling heißt es: "Alle Hände, fast ohne Ausnahme, sind mit Spinnen und Stricken beschäftigt. Bauer und Bäuerin, Knecht und Magd, die Kinder vom fünften Lebensjahr an - alles spinnt und strickt bis zum Grabe."

Ganz anders auf der Insel Borkum. Dort war 1786 kein einziges Spinnrad zu finden. Etliche Bewohner beklagten sich beim König, daß "Ebbe" sei in der Armenkasse. Dieser ließ nun 80 Spinnräder und 40 Haspeln anschaffen, in die der Drechsler aus Marienhafe die Buchstaben "F. W. R." einbrennen mußte (Friedrich Wilhelm Rex = König). Er setzte sogar eine Prämie von 50 Reichsthalern für die fleißigste Spinnerin aus. "Allein es hat sich bis jetzt", so heißt es in diesem Bericht von 1796, "noch keine Insulanerin darum verdient gemacht, sondern was noch ärger ist, verbrennen sie mutwilligerweise die Instrumente, die ihnen zum bequemen Erwerb einiger Nahrungsmittel landesherrlich geschenkt worden sind."

Wir haben mit einigen Märchen begonnen. Nun wollen wir noch einen kleinen Ausflug in die Klassik machen. Da gibt es die römischen Parzen, die den griechischen Schicksalsgöttinnen ähnlich sind. In der germanischen Mythologie sind es die drei Nornen Urd, Verdandi und Skuld, die an der Quelle Urdarborn neben der Weltesche Yggdrasil lebten. Die erste Norne spinnt den Lebensfaden (Geburt), die zweite Norne zieht den Faden aus (Schicksal), und die dritte Norne schneidet den Lebensfaden durch (Tod). "Elk mutt sien Pand spinnen", sagt der Ostfriese.
Spinnweel surrte in der Winterzeit

Im Winter, zwischen November und Februar, war auf den Bauernhöfen die Zeit, in der die Frauen das Spinnrad herrichteten. Das ergab sich so aus dem Jahresablauf: Die langwierige Flachsbearbeitung war zu Ende. Die Fasern lagen bereit. Ab Februar mußte das gesponnene Garn verwebt werden, damit man damit fertig war, wenn im Frühjahr die Arbeiten im Feld und im Garten wieder alle Kräfte beanspruchten.

Zudem konnte das Spinnen gut an den langen Winterabenden erledigt werden. Die Frauen kamen dabei mit dem schwachen Licht der Petroleumlampe aus. Wenn das Spinnrad erst einmal lief, kam es mehr auf das Fühlen als auf das Sehen an.

Das Rad wurde mit der Hand in Bewegung gesetzt und dann durch das gleichmäßige Treten des Pedals in Schwung gehalten. In der breiten Felge des Rades lief eine kräftige Endlosschnur als Treibriemen, der auf der andern Seite die "Flucht" und die Spindel drehte. Die Flucht war ein hufeisenförmiger Rahmen mit neun bis elf Draht-häkchen. Die Achse der Flucht bildete die Spindel, auf die eine Spule geschoben wurde.

Wenn die Spinnerin anfing zu arbeiten, zog sie zunächst vom Wocken mit den sorgfältig daraufgelegten Wollfasern einen Faden heraus, führte ihn über das erste Häkchen der Flucht und wickelte ihn um die Spule. Danach kam es darauf an, die Wolle sanft von dem Wocken abzuziehen, unter möglichst gleichmäßiger Spannung zu drehen und auf die rotierende Spule zu bringen. Um einen gleichmäßigen Faden zu bekommen, bedurfte es einer ganzen Menge Übung und Fingerspitzengefühl.
Am allerwichtigsten aber war das "Wullteepen" mit den "Kraassen", denn die Schafwolle ist durch das Scheren und anschließende Waschen stark verfilzt gewesen und mußte auseinandergeziept werden.

Nostalgie am offenen Kamin. Durch solche Postkarten wird späteren Generationen eine heile Welt vorgegaukelt. Das Spinnen war eine nervtötende Tätigkeit für Ungeübte. Zur Verfügung gestellt von Hinrich Reents
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Nostalgie am offenen Kamin. Durch solche Postkarten wird späteren Generationen eine heile Welt vorgegaukelt. Das Spinnen war eine nervtötende Tätigkeit für Ungeübte. 
Zur Verfügung gestellt von Hinrich Reents

 

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