[ Fehntjer Kurier ]

Geschichten aus dem Overledingerland

Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze


Fehntjer Kurier vom 16.02.1989

"Geheimnisvollen Buchstaben auf der Spur
Das "Gerippe" steht bald in Mitling-Mark

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Geheimnisvollen Buchstaben auf der Spur
Das "Gerippe" steht bald in Mitling-Mark

Das herrliche Wetter der vorigen Woche verleitete so manchen, den Versuch zu unternehmen, ein bißchen frühlingshafte Luft zu tanken. Auch Ostrhauderfehns Bürgermeister Alfred Pistoor und seine Frau Heide hatten eine lange Fahrradtour durch den Hammrich hinter sich, als sie sich in Backemoor auf den Rückweg machten. Über Collinghorst ging es über die Schwarzmoorstraße zurück, am Wasserwerk vorbei. Hier bogen die beiden ab in den "Königskiel", um die Abkürzung zur Vereinswieke zu nehmen.

"Hallo, moin moin", grüßten sie einen bärtigen Mann, der auf dem Boden kniete und eine Mauer fotografierte. "Wat makst du denn hier?" Diese berechtigte Frage war gar nicht so leicht zu beantworten, denn ein altes verfallenes Haus war bereits halb abgerissen. Nur das Vorderhaus und das gesamte Ständerwerk (das "Gerippe") standen noch. Dem Ostrhauderfehner Bürgermeister wurde erklärt, daß sein Westoverledinger Kollege Helmut Collmann namens der Gemeinde dieses Haus erworben habe, um es in Mitling-Mark wieder aufzubauen.

Das Ständerwerk des Gulfhauses von Gerd Park, später Harm Feldkamp, im Königskiel zu Collinghorst. Es wird zur Zeit demontiert, um später in Mitling-Mark bei der Mühle wiederaufgebaut zu werden.
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Das Ständerwerk des Gulfhauses von Gerd Park, später Harm Feldkamp, im Königskiel zu Collinghorst. Es wird zur Zeit demontiert, um später in Mitling-Mark bei der Mühle wiederaufgebaut zu werden.

Zufrieden fuhr Alfred Pistor mit seiner Frau weiter nach Ostrhauderfehn zurück. Zurück blieb ein etwas ratloser Fotograf, der soeben neben der Haustür Ziegelsteine entdeckt hatte, in denen Buchstaben und eine Jahreszahl eingeritzt waren. Einem der Arbeiter, der im Rahmen einer ABM-Maßnahme mit weiteren Kollegen den Abbau des Gulfhauses vornahm, konnten die "Eigentumssteine" gezeigt werden, damit sie später beim Wiederaufbau des Hauses an der richtigen Stelle eingesetzt werden können.

Aufriß vom Gulfhaus des Gerd Park, wie es die Gemeinde Westoverledingen wiederaufbauen will.
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Aufriß vom Gulfhaus des Gerd Park, wie es die Gemeinde Westoverledingen wiederaufbauen will.

Das Rätsel der geheimnisvollen Buchstaben sollte gelöst werden. Dazu bedarf es manchmal des Spürsinns eines Detektivs. Fangen wir beim Verkäufer des Hauses an. Es ist Gebhard Junker, ein großer, stattlicher Altenteiler, der mit seinen 82 Jahren erstaunlich rüstig ist. Er wohnt im Königskiel Nr.1. Da horcht der Leser auf und fragt: "Königskiel? Was für ein seltsamer Name!" "Tja, dat is so west", erklärt Gebhard Junker im schönen ostfriesischen Platt: "Damals als das Land aufgeteilt wurde, blieb ein keilförmiges Stück übrig. Das war Fiskusland, es gehörte dem König." So also ist der Flurname " Königskiel" entstanden.

"Früher war die Postanschrift für dieses Haus "An der Ziegelei Nr.1", fährt Gebhard Junker fort. Neben dem jetzigen Bauernhaus stand nämlich ehemals eine Ziegelei." Im Zuge der Gemeindereform konnte es nicht zwei Ziegeleistraßen innerhalb der Großgemeinde Rhauderfehn geben. So behielten die Rhaudermoorer ihren Ziegeleiring, während der alte Tichelwarksweg zu "Königskiel" umbenannt wurde.

Kartenausschnitt aus dem Ortsplan der Gemeinde Rhauderfehn.
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Kartenausschnitt aus dem Ortsplan der Gemeinde Rhauderfehn.

Nun fragt natürlich der eine oder andere: Was, da hinten hat es eine Ziegelei gegeben? Ja, das stimmt. Das ganze Gebiet zwischen der Rhauderwieke übers Tajemoor - bis hin zur Schwarzmoorstraße liegt auf einer mächtigen, oft 35 Meter starken Tonschicht. Es ist kein Lauenburger Ton aus dem Alluvium wie im Rheiderland, sondern diluvialer Ton. Wenn der Torf abgegraben und getrocknet war, konnte ein Unternehmer darangehen, den leicht bläulichen Ton auszugraben. Gebhard Junker erzählt, daß hier am Königskiel damals gebogene Püttsteine, angeschrägte Grüppsteine und Dachziegel gebrannt worden seien. Die Dachziegel, die auch jetzt noch auf seinem Hinterhaus lägen, seien zwar leicht schief, dafür aber sehr haltbar gewesen. Das konnte von den Ziegelsteinen nicht behauptet werden, da der Klei zu kalkhaltig sei.

Der 82jährige steigt noch leichten Fußes über den Weidezaundraht. "Hier hat der Brennofen gestanden und längs des Weges die Trockenschuppen" erzählt er bei ei-nem Gang über die Ländereien rund um sein Haus. Er zeigt die jetzt verfüllten Ton-gruben und den festen Weg, auf dem die Pferde den Klei zur Tonmühle brachten. Er zeigt den Grenzschlot zwischen Collinghorst, Rhaude und Rhaudermoor, und sein Arm weist die Richtung, in der die Hauptwasserleitung nach Ostrhauderfehn verläuft, mitten durch sein Land.

Nun müssen wir uns noch ein wenig mit der Familiengeschichte auseinandersetzen, denn wir sind ja wegen der Buchstaben gekommen. Früher sei das alles hier "Mesterland" gewesen. Dieses "Mestereimoor" gehörte der Schulgemeinde Collinghorst. Diese verkaufte es im Jahr 1852 an Pastor Stellwagen und Lehrer Focken aus Rhaude, denn das Land grenzte ja an die Rhauder Gemarkung. Die beiden unter-nehmungslustigen Dorfakademiker wollten es dem Rhauder Bauern Hinrich Jajen Roskam gleichtun, der an der Rhaudermoorer Mühlenwieke etwa um die gleiche Zeit eine Ziegelei erbauen ließ.

Das Bauernhaus von Gebhard Junker/Poppe Siebrands. Das Hinterhaus wurde etwa um die gleiche Zeit vom Ziegelfabrikanten Wobias Voskamp gebaut. Im Vordergrund die Königswieke, die zur Rajenwieke hin verläuft. Links von der Königswieke stand die Ziegelei mit dem Brennofen, dem Trockenschuppen und der Kalkbrennerei.
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Das Bauernhaus von Gebhard Junker/Poppe Siebrands. Das Hinterhaus wurde etwa um die gleiche Zeit vom Ziegelfabrikanten Wobias Voskamp gebaut. Im Vordergrund die Königswieke, die zur Rajenwieke hin verläuft. Links von der Königswieke stand die Ziegelei mit dem Brennofen, dem Trockenschuppen und der Kalkbrennerei.

Stellwagen und Focken kamen wohl nicht recht voran mit ihrer Unternehmung. Später tauchen als Besitzer "Pooker und Genossen" auf. Auch sie verstanden nicht viel vom Ziegelbrennen, so daß es jetzt endlich in die Hände eines Fachmannes namens Valk kam. Er verstarb aber bald, und seine nicht mehr ganz junge Witwe (Valkmöh) heiratete den jungen Ziegelarbeiter Wobias Voskamp aus Ihrhove. Unter ihm erlebte die Ziegelei im Collinghorstermoor am Königskiel einen enormen Aufschwung. Über die Königswieke brachten die Fehntjer ihren Splinttorf, den sie sonst nirgends loswerden konnten. Mit seinen eigenen Steinen und Dachziegeln baute sich Wobias Voskamp ein neues Haus neben der Ziegelei.

Etwa um die gleiche Zeit wurde auch das Haus gebaut, das jetzt abgerissen wird. Die Steine stammen aus der Ziegelei des Wobias Voskamp. Neben der Haustür wurden die Namen der Hausbewohner eingeritzt. 

Neben der Haustür ließ der Bauherr gern Steine mit einmauern, in die die Anfangsbuchstaben seiner Familienmitglieder eingeritzt waren. "St. F." steht für Staas Freese.
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Neben der Haustür ließ der Bauherr gern Steine mit einmauern, in die die Anfangsbuchstaben seiner Familienmitglieder eingeritzt waren. "St. F." steht für Staas Freese.

Die Buchstaben G. P. stehen für Gerd Park. Seine Frau A. F. = Aaltje Freese. Die beiden hatten einen Sohn, den sie G. P. nannten, nach dem Vater, also Gerd Park. Zugleich wohnte in dem Haus noch der Schwager, St. F., nämlich Staas Freese. Weiter wußte Gebhard Junker keine Lösung anzubieten. Da konnte uns aber Gerda Park aus der Vereinswieke helfen, denn sie ist, wie der Name verrät, eine Tochter von Gerd Park junior. Sie sagte uns, daß Staas Freese mit einer Gebke Ulpts verheiratet gewesen sei. So waren auch die vorletzten beiden Buchstaben G. U. entziffert. Die beiden letzten Buchstaben A. F. könnten für Antje Freese stehen, einer Schwester von Aaltje. Könnten, aber wir wissen es nicht genau. Der letzte Stein zeigt uns die Jahreszahl 1890. In diesem Jahr ist das Haus also gebaut worden.

Zuletzt wurde in der Buchstabensteinreihe das Baujahr angegeben.
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Zuletzt wurde in der Buchstabensteinreihe das Baujahr angegeben.
Fotos: Heinze

"Nu bölk doch nich so fell", meinte Gebhard Junker auf all unsere Fragen. Er hört und sieht noch gut. Er kann noch so viel erzählen. All die Akten und Unterlagen sind zur Überprüfung vorhanden. Die Gemeinde Westoverledingen hat ein geschichtsträchtiges Haus erworben. Bürgermeister Helmut Collmann, dessen Elternhaus in Glansdorf steht, wußte, was für ein Schmuckstück er in Mitling-Mark bei der Mühle wiederaufbauen läßt.

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