Liebevoll gesammelt und aufs getreulichste nacherzählt von Michael Till Heinze
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Folge der Elektrifizierung: Die Frauen in der ersten ....
Es gibt bislang keine Untersuchung darüber, wie der elektrische Strom nach Westrhauderfehn kam. Unser Mitarbeiter Michael Till Heinze veröffentlicht hier diesmal seine über zehnjährigen Nachforschungen im Fehntjer Kurier.
Am Heiligen Abend 1914 erstrahlte die evangelische Kirche zu Westrhauderfehn zum ersten Mal im Glanz des elektrischen Lichts. Pastor Johann Hinrich Voß. der zweite Prediger in Westrhauderfehn, der 32 Jahre lang Dienst tat, konnte in eine neue Epoche führen. Das ist vor 74 Jahren gewesen. Ob es wohl noch einen Fehntjer gibt, der bei diesem Ereignis dabei war? Erinnern wir uns: Das "Gaslücht" früherer Zeiten war die Petroleumlampe. Sie hatte sich gegenüber der alten Öl- und Tranfunzel durchgesetzt. Wer weiß heute noch, daß einmal auf der Hahnentange eine Fabrik für Gasöl und Paraffinkerzen gebaut werden sollte?
Diese beiden schönen Kronleuchter der Kirche zu Westrhauderfehn wurden entfernt, als hier das elektrische Licht installiert wurde. Hinrich Reents aus Ostrhauderfehn kann sich erinnern, daß sein ehemaliger Lehrherr Hermann Rugo in Leer den ganzen Boden voll ähnlicher Kronleuchter hatte. Wo mögen sie wohl hingekommen sein? |
Die Herren Schröder & Fofoot hatten in den Jahren 1850/60 schon etliche Moorflächen angekauft. Auf der Hahnentange, einer bizarr geformten Sanddüne, hatten die Herren Unternehmer festen Untergrund für ein Kontor und ein Kesselhaus mit Schornstein, dem späteren "Hahnentanger Turm". Weihnachten 1859 brannte im Frühgottesdienst der katholischen Kirche zu Westrhauderfehn/Langholt eine solche Paraffinkerze, die als Probe auf die zukünftigen Produktionen hinweisen sollte.
Um diese Zeit, als viele Ostfriesen noch auswanderten, fuhren die ersten Schiffe mit einer gefährlichen Ladung gen Europa: Petroleum. Der Siegeszug des "Gasöls" begann, und das aus Torf gewonnene Paraffinöl der Herren Schröder & Fofoot kam da nicht mit. In jedem Haus stand bald eine solche Petroleumlampe. Die ersten Versandhäuser boten Dochte und Glaszylinder für die Landbevölkerung an. Jeden Tag mußte diese gläserne Kuppel mit einer Spezialbürste gereinigt werden. Wunderschöne Modelle gab es zu kaufen, und die gutsituierten Bürgerhäuser hatten bald mächtige Lampen aus Gußeisen von der Decke hängen.
Es begann die moderne Zeit. Sanitätsrat Dr. Trepte bekam sein erstes Auto in die Rhauderwieke geliefert. Ein paar Jahre später bekam er auch Telefon. Das war so um 1905. Da kurbelte man noch fleißig, um Gleichstrom zu erzeugen. 1908 baute Tiedeken seine Sägerei neben der Schule im Untenende auf, wobei eine Dampfmaschine als Antrieb diente. Ein paar Häuser weiter zum Verlaat gab es die Holz- und Kolonialwarenhandlung Bernhards. Hier gab es schon früh eine Acetylenanlage, die später vergrößert wurde und das Untenende mit seinen typischen Gaslaternen in den winterlichen Abendstunden mit Licht versorgte.
Als sie einmal in die Luft flog, verlor der alte Bernhards sein Augenlicht. Die älteren Fehntjer kennen ihn noch, wie er auf der Bank vor seinem Haus saß, um die wärmenden Sonnenstrahlen im ausdruckslosen Gesicht zu spüren.
Die Mühle des Müllers Tj. Rudolf Müller zu Westrhauderfehn. Links das Verlaatshaus und hinter der Zugbrücke die alten Kastenschleuse. Direkt hinter den Zugseilen ist das Transformatorenhäuschen zu erkennen. Rechts daneben steht die Weizenmühle mit dem weißen Stern über der Tür. Dieser Stern hatte nichts mit der ehemaligen Sternschanze am alten Rhauder Heerweg zu tun, sondern die weiße Fläche diente als Reflektor für die Außenlampe, die der Müller hier anbringen ließ. Zwischen der Weizenmühle und der Windmühle befand sich das Maschinenhaus für die Dampfturbine. |
So um das Jahr 1903 baute die Berliner Firma Siemens das Kraftwerk in Wiesmoor, und schon 1909 erstrahlte das erste elektrische Licht in Leer. Diese Entwicklung blieb dem Müller Tjebbo Rudolf Müller nicht verborgen. Er war ein aufgeschlossener, unternehmungsfreudiger Mann. Als er die Mühle am Verlaat 1902 übernahm, ließ er sie durch den Einbau von Elevatoren modernisieren. Der Umschlag von Getreide ging nun wesentlich schneller. Als zusätzliche Antriebskraft schwebte dem technisch interessierten Mann ein Lokomobil vor, so daß er von der Windkraft unabhängig wurde. Nachdem 1910 eine verheerende Windhose einige seiner Neuerungen an der Mühle zerstört hatte, entschloß er sich zum Umbau.
Anzeige aus dem Leerer Anzeigenblatt vom 2. Juni 1925 |
Auf den verschiedenen Fotos von der Mühle "Zeldenrüst" am Verlaat kann die Entwicklung gut abgelesen werden. Zuerst wurde ein Maschinenhaus für das Lokomobil gebaut. Hier hatte der Heizer Gerd Ukena aus Ostrhauderfehn sein Reich. Er schippte die extra dicken Emder Briketts in den helleuchtenden Schlund des feurigen Ungeheuers. Lange Treibriemen liefen über eine Transmission zu den beiden riesigen Dynamos. Hier wurde der Gleichstrom erzeugt, der die großen Akkus auflud. Die standen im Gang zur Mühle an der Wand aufgereiht. Natürlich gehörte ein Schaltschrank dazu, der alles regelte. Nachmittags um 15 Uhr begann Gerd Ukena, seinen Dampfkessel aufzuheizen. Abends gegen 22 Uhr waren alle Akkus geladen, und er konnte zufrieden nach Hause gehen.
Auf dieser Postkarte ist das Untenende gut zu erkennen. Von der Mühle bis zur Kirche verlief die erste Stromleitung hinter den Häusern entlang. |
Zur Erinnerung: Es handelt sich hier um Gleichstrom. Jakob Schuver annoncierte noch 1932: "Elektrische Fahrradbeleuchtung billigst bei..." Damit meinte er seine Fahrraddynamos, die jetzt die Karbidlampen am Lenker ablösten. Die Fehntjer Häuser, die ab 1913 Strom vom Müller Tj. Rudolf Müller bezogen, mußten besondere Fadenbirnen haben, um den "Schwachstrom" überhaupt nutzen zu können. Stolz heißt es am 15. März 1913 sowohl im Anzeigen- als auch im Textteil des "Anzeigers für das Overledingerland": "Wie aus dem Inseratenteil ersichtlich, veranstaltet der R.-V. (= Radfahrerverein) "Einigkeit" von Westrhauderfehn und Rhaudermoor im großen , elektrisch erleuchteten Saale des Hotels "Frisia" ein Stiftungsfest, verbunden mit Kinoeinweihungsfeier, bestehend aus kinomatographischen Darbietungen und Ball. Die Festlichkeit, die öffentlich ist, verspricht großartig zu werden. Deshalb am 2. Ostertage die Parole: "Auf zu Bahns."
Das Kraftwerk und die elektrische Zentrale in Wiesmoor Ende der zwanziger Jahre. |
Was die Elektrizität nicht alles vermochte! Am 3. Mai 1913 hieß es in der gleichen Zeitung: "Wie schon aus der Annonce ersichtlich, findet am Sonntag, den 4. Mai, die zweite kinematographische Vorführung statt. Das Programm, welches vollständig neu, verspricht sehr reichhaltige Nummern, so daß einem jeden für wenig Geld genußreiche Stunden geboten werden. Um dem Publikum gerecht zu werden, hat der Besitzer mehrfachen Wünschen entsprechend mehrere humoristische Nummern ausgewählt, welche beim Publikum sicherlich Beifall finden werden. Hervorzuheben ist der große, zweiakter Sensationsfilm ,Seine schwierigste Rolle'. Weil dieser Film erst seit Januar herausgegeben, verspricht diese Vorführung großartig zu werden. Es wird höfl. gebeten, daß die Damen in der ersten Reihe die Hüte absetzen, auch ist das Rauchen polizeilich untersagt. Wer am kommenden Sonntag genußreiche Stunden verbringen will, versäume nicht, das ,Frisia'-Lichtspielhaus zu besuchen."
Ein Gittermast hinter Plümer-Ecke. Diese Gastwirtschaft
war seit alters her Treffpunkt aller Fehntjer Schiffer. Da an den Wieken
wegen des Treidelns keine Masten stehen durften, mußten die Leitungen
hinter den Häusern entlang verlegt werden. Die Drähte von den
Gittermasten überspannten die breiten Wieken Anfang der dreißiger Jahre.
Zur Verfügung gestellt von Karl Heinz Nußwaldt |
Das also waren die ersten elektrischen Gehversuche auf dem Fehn. Der Fortschritt ließ sich nicht mehr aufhalten. Ein Jahr später berichtet die Zeitung am 20. Juni 1914: "Jetzt wird mit dem Bauen der elektrischen Anlage auf dem Untenende begonnen. Herr Rud. Müller hat die Erlaubnis bekommen. Viele Häuser werden demnächst im elektrischen Licht erstrahlen. Schön wäre es, wenn wir jetzt auch Straßenbeleuchtung von der Zentrale aus bekämen.
Das Haus von Christian Stapelfeld war an den Winterabenden durch eine Karbidanlage hell erleuchtet. Dieses bislang unbekannte Foto hatte Tini Hoffmann in ihrem Album. Links steht der Schlachter Heinrich Klock, neben ihm der Junge ist Heinrich Stapelfeld, der in Stalingrad gefallen ist. Dann folgt Reinhard von Allen, der Radflicker, und Christian Stapelfeld selbst. Das Haus wurde 1907 gebaut. Rechts ist das alte "Kaufhaus zur Post" zu erkennen (heute Parkplatz). Nach Stapelfelds Tod war hier eine kurze Zeit ein Schuhgeschäft, bis dann Jakob Schuver sein bekanntes Fahrradgeschäft darin eröffnete. Heute steht hier ein Privathaus. |
Wer tut wieder mit?" Fast alle Geschäftshäuser des Untenendes bis hin zu Hagius waren aktiv dabei. Die Masten für die Stromversorgung liefen hinter den Häusern lang. Vor den Häusern waren die Telegraphendrähte an den Masten zu sehen. Tj. Rudolf Müller, der das elektrische Zeitalter auf dem Fehn einleitete, hatte ziemlich viel Angst vor der Kesselprobe, die alle zwei Jahre vorgeschrieben war. Er war dann immer "in dringenden Geschäften" unterwegs. Vermutlich befürchtete er aber nur, daß seine gebraucht gekaufte Anlage altersschwach wurde.
Auf dieser alten Postkarte drehen sich die Windmühlenflügel, und die Tjalken verlassen mit aufziehenden Segeln die Schleuse. Die Weizenmühle trägt noch keinen Stern, aber das Lokomobil im Maschinenhaus arbeitete schon. Schwach erkennt man den hohen Schornstein hinter der Windmühlengalerie: Der Rauch wird zum Fehntjer Meer geweht. |
Der 1. Weltkrieg brach aus. Viele Fehntjer mußten sich beim Landsturm melden. In der Zeitung hieß es nun am 18. Januar 1915: "Es sei daher wiederholt darauf hingewiesen, daß es direkt notwendig ist, daß wir uns in Deutschland von den Petroleumlieferungen aus dem Ausland dadurch unabhängig machen, daß wir die elektrische Beleuchtung überall einführen, so daß auch der kleine Mann elektrisches Licht brennen kann und die ungezählten Millionen, die bisher für Petroleum ins Ausland gingen, dann der deutschen Industrie und deutschen Arbeitern zu Gute kommen." Doch die angeblich viel billigere 25-kerzige Wotan-Lampe wollte sich auf dem Fehn nicht durchsetzen, die Kanäle waren für die zu legenden Freileitungen viel zu lang.
Nach dem 1. Weltkrieg übernahmen Elektrizitätsgenossenschaften die privaten Einrichtungen des Fehntjer Müllers. "Viele Köche verderben den Brei", heißt es im Volksmund. Auch bei den Genossenschaften wollte jeder möglichst viel zu sagen haben, und so kamen die elektrischen Stromleitungen nur langsam an den Wieken voran. |
Die Karbidlampe hielt wieder ihren Einzug. Tüftler wie Wilhelm Eschen, Christian Stapelfeld und Jan Garreis Roskam hatten eigene Hausversorgungen mit Acetylen-Apparaturen. Das war zwar nicht ganz ungefährlich, aber die Häuser der genannten waren taghell erleuchtet. Die anderen mußten sich weiterhin mit der guten alten Petroleumlampe zufriedengeben. Für sie galt es zu sparen und zu strecken. So gibt die Zeitung am 15. Februar 1915 folgenden Ratschlag: "Ein Mittel Petroleum zu sparen und die Leuchtkraft bedeutend zu erhöhen, ist folgendes: Man kocht etwa ein Viertel Pfd. Soda in Wasser, so daß es zusammen etwa eineinhalb Liter Flüssigkeit ausmacht. Diese schüttelt man kalt zu dem einhalb Liter Petroleum und hat so 1 Liter ganz gut brennendes Material. Um nun die Leuchtkraft des Petroleums ganz bedeutend zu bessern, gibt man hier und da eine Kugel Naphthalin, das in den Drogengeschäften gegen Mottenschutz käuflich ist, in das Petroleumbassin. Man versuche, und man wird sofort den Erfolg sehen."
Anzeige vom 22. Dezember 1914 | Anzeige vom 5. November 1921 |
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Anzeige vom 20. Oktober 1913 |
Auch dieses Notrezept half nur wenig. Schon bald gab es Teekarten und Petroleumbezugscheine in Ostfriesland. Am 12. Januar 1918 heißt es in der Zeitung: "Die Elektrizitätsfrage ist in Ostfriesland ein Schmerzenskind. Es wird bekanntgemacht, daß pro Haushalt nur noch eine Glühbirne erlaubt ist. Und das nur, weil Wiesmoor keine Kohlen hat. Bei der Gründung der Überlandzentrale Wiesmoor vor 15 Jahren haben die Siemens-Schuckert-Werke hochtönend versichert, daß auf hundert Jahre hinaus der Bedarf an Brennstoff des Werkes gesichert sei. Und jetzt?"
Jetzt hatte der Müller sich einen Diesel angeschafft. Sein Saugmotor tuckerte fleißig vor sich hin. Am 7. Juni 1922 gab der private Stromlieferant wegen der Inflation bekannt, daß die Preise für Lichtstrom 15 Mark und für Kraftstrom 10 Mark betragen. Die Inflation ließ diese Zahlen alsbald in astronomische Höhen schnellen. Danach übernehmen Genossenschaften den Vertrieb der kostbaren Elektrizität. Das klappte aber fast überhaupt nicht, denn am 20. September 1926 lesen wir in der Zeitung:
"Das Overledingerland ist heute zum soundsovielten Male wieder ohne Strom! Diese Tatsache heißt bei Unbeteiligten Heiterkeit bei Gleichgültigen ein Achselzucken, bei den Betroffenen aber eine helle Empörung auszulösen. Zu denen, die alle Klagen und Beschwerden über die ewigen Unterbrechungen mit einem Achselzucken beantworteten, gehört anscheinend auch der Vorstand der Elektrizitätsgenossenschaft Overledingerland."
Und nach vielem Lamento schließt der reichlich lange Artikel mit dem schönen Satz: "Die Elektrisierung (so!) des Overledinger Landes ist für viele keine Quelle reinen Genusses gewesen, mancher Betrieb hat durch die Schaden erlitten." Es entstand deshalb unter Führung des Preußischen Staates, der inzwischen Hauptaktionär der in die "Nordwestdeutsche Kraftwerke AG" umgewandelten "Siemens Elektrische Betriebe" geworden war, das Bestreben, die Stromversorgung einheitlich zusammenzufassen. Das führte 1929 zur Gründung der "Weser-Ems-Stromversorgungs-AG", eine Vorgängerin unserer heutigen EWE. Der bisher private Stromlieferant Tj. Rudolf Müller stellte seinen Zusatzbetrieb ein. 1930/31 wurde das Stromnetz auf dem Fehn immer mehr ausgebaut. Die Langholter Elektrizitätsgenossenschaft allerdings war am langlebigsten. Sie ist erst nach dem 2. Weltkrieg aufgelöst worden!
Wer jetzt an die Atomkraftwerke denkt, die heute den elektrischen Strom liefern, wird sicherlich mit gemischten Gefühlen auf den Heiligen Abend 1914 zurückblicken, als zum ersten Mal die schwachen Fadenglühbirnen in der Kirche zu Westrhauderfehn leicht schwankende Lichtschimmer über die Köpfe der andächtig lauschenden Gemeinde leuchten ließen.
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